Amazonas-Schutz Europas Einzelhändler fordern EU-Regeln gegen Regenwald-Zerstörung

Angesichts der Zerstörung des Regenwaldes gibt es auch am EU-Südamerika-Abkommen Mercosur heftige Kritik.
Brüssel Brasiliens Nationales Institut für Weltraumforschung (INPE) hat ein satellitengestütztes Programm entwickelt, das Alarm schlägt, wenn sich die Beschaffenheit des Landes auf einer größeren Fläche verändert. Etwa durch Rodungen. Im April wurde der Alarm so oft ausgelöst, wie seit sechs Jahren nicht mehr.
581 Quadratkilometer Regenwald gingen im April verloren, das sind drei Viertel des Stadtgebiets von Hamburg. Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum: 42 Prozent. Und die Brandsaison hat gerade erst begonnen. Vieles spricht dafür, dass 2021 das vierte Jahr in Folge wird, in dem die Zerstörung des Amazonasgebiets zunimmt, um noch mehr Platz für Sojafelder und Rinderherden zu schaffen.
Seit Jahrzehnten kämpfen Umweltschützer dafür, den Regenwald zu schützen – und die Macht der Agrarlobby zu brechen - vergeblich. Doch nun bekommen sie Unterstützung von überraschender Seite: Elf große europäische Handelsunternehmen, darunter die deutsche Metro AG, fordern die EU in einem gemeinsamen Appell auf, ihre Regulierungsmacht zu nutzen, um internationale Regeln gegen Brandrodungen zu erzwingen. Auch die Carrefour Group, Danone und Nestlé haben den Aufruf unterzeichnet.
Als größter Binnenmarkt der Welt könne Europa Standards setzen, „die über globale Wertschöpfungsketten hinweg gelten“, schreiben die Unternehmen. „Die EU befindet sich daher in einer starken Position, um eine nachhaltigere Beschaffung von Rohstoffen weltweit durch Handel zu fördern.“
Die Unternehmen machen sich für einen „ehrgeizigen“ Rechtsrahmen „zur Eindämmung und Umkehrung der EU-bedingten globalen Entwaldung“ stark, zu dessen Kontrolle „Satellitenüberwachung“ eingesetzt werden solle.
Die für Unternehmensverantwortung zuständige Metro-Managerin Veronika Pountcheva ergänzt: „Wir haben uns durch ehrgeizige Richtlinien und robuste Aktionspläne dazu verpflichtet, langfristige Verbesserungen in den relevanten Rohstoffsektoren zu erreichen.“ Daher müsse die EU nun „gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen“ schaffen.
Daran arbeitet Brüssel bereits. „Wir bereiten ein EU-Gesetz vor, das die Beschaffung von Waren aus Abholzungsgebieten verbieten würde“, sagte der für Handels- und Wirtschaftspolitik zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, dem Handelsblatt kürzlich.
EU will Mercosur-Kritiker besänftigen
Die Initiative geht auf eine Resolution des EU-Parlaments zurück, das sich im vergangenen Herbst mit deutlicher Mehrheit dafür ausgesprochen hatte, Importeure zu mehr Sorgfalt zu verpflichten. Unternehmen, die Produkte auf den europäischen Markt bringen, deren Herstellung Wälder und andere Ökosysteme gefährdet, sollten mit Strafen belegt werden.
Nach einer Untersuchung der Umweltschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) ist die EU für 16 Prozent der weltweiten Tropenwaldabholzung verantwortlich. Nur China steht im globalen Ranking noch schlechter da. „Es gibt breite Unterstützung von allen Seiten: Zivilgesellschaft, der Einzelhandel und auch das Europaparlament befürworten längst ein neues EU-Instrument, das gegen Importe vorgeht, die mit Abholzung in Verbindung stehen“, sagt die Grünen-Europapolitikerin Anna Cavazzini. Jetzt sei die Kommission am Zug.
Die Brüsseler Behörde will mit dem Antiabholzungsgesetz auch die Kritiker des umstrittenen Handelsdeals mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten besänftigen. Unterhändler der EU und der Mercosur-Staaten – Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – hatten sich 2019 auf das Freihandelsabkommen verständigt, von dem sich Brüssel erhebliche wirtschaftliche und geopolitische Vorteile verspricht.
Doch insbesondere wegen der Brandrodungen im Amazonasgebiet kommt die Ratifizierung nicht voran. Auch in Brasilien macht die Wirtschaft Druck auf die Politik: Mehr als 40 große europäische Einzelhandelsketten haben sich zusammengeschlossen, um gegen die Umweltpolitik der Regierung von Präsident Jair Bolsonaro zu protestieren.
In einem offenen Brief an den Kongress warnen sie, dass sie brasilianische Produkte aus ihren Filialen verbannen würden, wenn die Brandrodungen nicht eingedämmt würden. Unterzeichnet ist auch dieser Brief von der Metro, zudem von Aldi, Lidl, Migros, Sainsbury und Tesco.

Seit Jahrzehnten kämpfen Umweltschützer dafür, den Regenwald zu schützen.
Die Konzerne fürchten Boykotte durch europäische Konsumenten, die sich nicht länger für die Amazonaszerstörung mitverantwortlich fühlen wollen. Innerhalb Europas ist Deutschland nach WWF-Angaben der „Hauptimporteur von Entwaldung“. Denn die Bundesrepublik ist das Land in der EU, das mit Abstand am meisten Regenwaldprodukte einführt: Aus Brasilien ist das vor allem Soja und Rindfleisch, für dessen Produktion Urwald in Agrarland umgewandelt wird.
Christine Scholl, WWF-Expertin für nachhaltige Lieferketten, fordert: „Rohstoffe und Produkte, die auf dem europäischen Markt landen, dürfen nicht auf Kosten von Natur und Menschenrechten produziert werden.“
Doch Brasiliens Präsident Bolsonaro lässt sich von der wachsenden Drohkulisse bisher nicht beeindrucken. Unter seiner Führung wurden durch Budget- und Personalkürzungen systematisch alle Kontroll- und Überwachungsinstitutionen für den Regenwald geschwächt oder geschlossen. Politisch sieht sich der Ex-Hauptmann Bolsonaro seinen Wählern unter den Goldsuchern, illegalen Holzhändlern und Farmern im Amazonasgebiet verpflichtet. Seine Ankündigungen beim jüngsten Klimagipfel in Washington, eine Kurswende in der Umweltpolitik einzuleiten, nimmt ihm in Brasilien niemand ab.
"Nur eine völlige Umkehr in der Umweltpolitik könnte den Regenwald-Kahlschlag stoppen"
Innerhalb der Farmerverbände und den staatlichen Agrarinstitutionen haben sich Vertreter starkgemacht, die Regenwaldschutz für einen Spleen ausländischer Umweltschützer halten. Auch die in der Regierung stark vertretenen Militärangehörigen halten den Amazonas für das Spielfeld ausländischer Umweltschützer, welche die nationale Souveränität bedrohten. Die rekordhohen Sojapreise in diesem Jahr haben den Run auf Regenwaldflächen nochmals verstärkt.
Die neuesten Zahlen belegten die Ineffektivität der Regierung Bolsonaro beim Regenwaldschutz, sagt Suely Araújo, Ex-Chefin der brasilianischen Umweltbehörde Ibama. Nur eine völlige Umkehr in der Umweltpolitik könnte den Kahlschlag stoppen. Sie bezweifle aber, dass Bolsonaro diese, 19 Monate vor dem Ende seiner Amtszeit, noch vollziehen werde.
Es scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein: Die Regierung macht sich derzeit für ein Gesetz stark, das die Besitznahme im Amazonas nachträglich legalisieren soll. Ob die Drohungen aus Europa den erhofften Abschreckungseffekt haben werden, ist zweifelhaft. Britische Supermärkte und europäische Outdoor-Ausrüster hatten schon im Mai vergangenen Jahres mit Sanktionen gedroht – doch geändert hat das in Brasilien nichts.
Mehr: Widerstand gegen Mercosur-Abkommen: Abgeordnete fordern besseren Schutz des Amazonasgebiets
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Danke Herr Schönenberg für den subtilen Hinweis auf den Rechtschreibfehler des Privilegs. Es freut mich, dass Sie sich Ihrer Privilegien bewusst sind und auch weiterhin Maßnahmen für ein ökologisch und zugleich ökonomisches Eigenheim treffen können.
Ich gebe Ihnen auch recht, dass die Debatte hierzulande etwas zu eindimensional geführt wird.
Abschließend danke ich Ihnen für Ihren Tipp, allerdings esse ich nur noch gelegentlich Fleisch und wenn hole ich dieses beim Metzger um die Ecke. Ganz gemäß des chinesischen Aphorismus: Besser ist es in der Nähe Gutes zu tun, als in der Ferne Räucherwerk zu verbrennen. Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Herr Faeth: danke für Ihren Kommentar, in dem Sie mich als "priviligiert" bezeichnen; diesen Schuh ziehe ich mir gerne an! So lebe ich in dem Luxus, dass ich bereits 1981 beim Hausbau in damals moderne Wärmedämmmaßnahmen sowie bei der Heizung in Brennwerttechnik investieren zu können, ebenso bereits vor 15 Jahren die finanziellen Mittel für Solartechnik zu besitzen; weitere Maßnahmen auf dem aktuellen Level sind geplant. Die aktuellen Diskussionen in Deutschland sind zu eindimensional; soll heißen: wenn wir nur noch Energie aus Windkraft und Sonne einsetzen, wird alles gut! Dies sind lediglich einzelne, kleine Bausteine für Klimaschutz. Wenn die großen Handelskonzerne Europas jetzt entsprechende Gesetze der EU fordern, hätten die das bereits vor Jahren tun können. Für mich sind das lediglich Alibi-Mäntelchen. Versuchen Sie mal im Supermarkt Fleisch nach dem Fleisch-Label 3 und 4 zu bekommen. - Dabei will ich es belassen.
Ich danke ihnen für diesen Kommentar Herr Faeth. Sie haben absolut recht. Unser Lebensstil zerstört unseren Lebensstil, nichts anderes. Wie das BVerfG feststellte, wir leben auf Kosten der Freiheit zukünftiger Generationen. Das ist blanker Egoismus.
@Herr Zuckschwerdt, das Problem der Überbevölkerung ist ein konstruiertes und keines welches real existiert. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein Anachronismus, der schon in den 1980er überholt war. Der Pessimismus à la Malthus hat noch niemanden weitergebracht.
Fakt ist, dass kein Mensch Hunger leiden oder obdachlos sein muss, ein überbordender Lebensstil der Industrienationen und eine ineffiziente Ressourcenallokation sind viel mehr die Probleme, die der globale Süden ausbadet. Daher kann Ihr Kommentar und der von @Herrn Schönenberg als Paradebeispiel für eine priviligierte Schicht gelten, die Probleme lieber zuordnet, erkennt, deren Verantwortung auf andere (kommende Generationen) überträgt, als selbst tätig zu werden und wirklich konstruktive Lösungsvorschläge hervorzubringen.
Dass der Regenwald seit Jahren mehr und mehr abgeholzt wird sowie die Politik Jair Bolsonaros sind alles Ergebnisse einer Wirtschaft und einer Lebensweise die langfristig nicht nachhaltig sein kann. Es ist nicht Aufgabe von "selbsternannten Klimaschützern" diese Probleme zu lösen. Der gewählte Ansatz der hier vorgestellt wird ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Letztlich sind es aber Menschen wie Sie und auch Ich, die sich die vielleicht unangenehme Frage stellen müssen, ob mein Konsumverhalten nachhaltig ist und was ich für ein angenehmes Leben brauche und was vielleicht leere Bedürfnisse sind. Nolens volens bewegen wir uns in der globalisierten Welt von heute in einem Verantwortungsbereich gegenüber allen und jedem, weil unser Konsum unser Handeln indirekt Entwicklungen wie diese anstoßen.
8 Mrd Menschen wollen warm und trocken wohnen, sauberes Trinkwasser und mehr als nur Hafer essen. Am Ende aller Umweltprobleme bleibt unser größtes und gleichzeitig am meisten ignoriertes und verleugnetes Problem die Überbevölkerung der Erde.
Das sollte dringend mal ein Betätigungsfeld der selbsternannten Klimaschützer Friday for future und Co. sein. Sonst haben wir später keine Braunkohle-Förderung etc. mehr, aber auch keinen Co2-Speicher Regenwald mehr.