Asia Business Insights Chinas Risiko-Abbau führt zu Turbulenzen

Bangkok, Düsseldorf
Ein „ungewöhnliches Level an Turbulenzen in Chinas Wirtschaft“ hat Surendra Rosha in den vergangenen Monaten ausgemacht. Und der Co-CEO des Asien-Pazifik-Geschäfts der Großbank HSBC zählt auf: Die Covid-Pandemie, die Regulierung der Tech-Industrie, Turbulenzen auf dem riesigen Immobiliensektor, Energieknappheit und die neue politische Schwerpunktsetzung der Führung in Peking in Richtung eines „Wohlstands für alle“.
Und dennoch zeigt sich Rosha nicht beunruhigt. Die vermeintlichen Unsicherheitsfaktoren seien vielmehr eine Folge des „Risikoabbaus“, den die chinesische Staatsführung derzeit vorantreibe. Die Maßnahmen würden „unzweifelhaft“ dazu führen, eine stärkere, stabilere, nachhaltigere Wirtschaft aufzubauen, „und das wird allen helfen“, sagte Rosha auf der Konferenz „Asia Business Insights“, einer Veranstaltung von Handelsblatt und HSBC, zugeschaltet aus Hongkong.
So schnell wie keine andere große Volkswirtschaft der Welt hat sich China von dem Coronaeinbruch Anfang 2020 erholt. Die Nachfrage aus der Volksrepublik stützte die Weltwirtschaft. Doch nun trüben sich die Wachstumsaussichten in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft ein.
Die Hauptgründe dafür sind die Probleme im wichtigen Immobiliensektor und die Kaufzurückhaltung der chinesischen Konsumenten. Der Internationale Währungsfonds IWF korrigierte zuletzt seine Wachstumsprognose für China leicht nach unten, auf 8,0 Prozent in diesem und 5,6 Prozent im kommenden Jahr.
Ausländischen Unternehmen bereitet vor allem die zunehmende Regulierung Sorgen, insbesondere im Umgang mit Daten. Zudem beunruhigt sie Chinas Streben nach mehr wirtschaftlicher und technologischer Unabhängigkeit. Letzteres ist auch eine Reaktion auf den anhaltenden Handelskrieg mit den USA.
China plane aber keineswegs, sich abzuschotten oder vom Westen abzukoppeln, betont Wu Ken, Chinas Botschafter in Deutschland. Dies sei eine „Fehlinterpretation“. Ziel der chinesischen Wirtschaftspolitik sei lediglich, die „wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit des Landes gegenüber Risiken und Entkopplung zu stärken“.
„Politische Souveränität nur mit technologischer Souveränität“
Die Überzeugung, dass Öffnung Fortschritt und Abschottung Rückschritt bringe, sei nach 40 Jahren der Reform- und Öffnungspolitik in China tief verwurzelt. „China wird seine Türen zur Welt nicht schließen, sondern noch weiter als bisher geöffnet lassen“, versicherte Wu.
Angesprochen auf das Investitionsabkommen zwischen Europa und China (CAI), das derzeit auf Eis liegt, sieht Wu die EU im Zugzwang: Die „Schwierigkeiten sollen diejenigen beseitigen, die sie verursacht haben“, so Wu. Die EU hatte im Frühjahr personenbezogene Sanktionen gegen politische Verantwortliche für die Unterdrückung der Uiguren in der Volksrepublik erlassen. Peking reagierte mit Strafaktionen gegen europäische Institutionen und EU-Parlamentarier. Seitdem ruht der Ratifizierungsprozess des Investitionsabkommens.
Der neue Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Siemens-Chef Roland Busch, hofft auf eine „rasche Ratifizierung“ des Investitionsabkommens. Wirtschaftliche Beziehungen dürften „nicht zum Spielball politischer Interessen werden“, appellierte er. Busch mahnte zudem, Europa müsse die eigene Wettbewerbsfähigkeit und technologische Souveränität über eine pragmatische und gemeinsame Wirtschaftspolitik stärken. Bei Schlüsseltechnologien wie Wasserstoff, Halbleitern, Künstlicher Intelligenz und Quantencomputern dürfe die europäische Wirtschaft nicht den Anschluss verlieren. „Es gibt keine politische Souveränität ohne technologische Souveränität.“
China war im vergangenen Jahr zum fünften Mal in Folge der größte Handelspartner Deutschlands. Trotz der Turbulenzen seien die meisten europäischen Unternehmen weiterhin optimistisch für ihr Chinageschäft, sagte HSBC-Asienchef Rosha.

Der Inder sieht ein „ungewöhnliches Level an Turbulenzen in Chinas Wirtschaft.“
Ein weitgehendes Decoupling der beiden größten Volkswirtschaften USA und China schätzt Rosha trotz innenpolitischen Drucks als sehr unwahrscheinlich ein. Und er beobachtet: „Die Unternehmen gehen in die andere Richtung und stimmen mit ihren Euro, Dollar und Yen für eine engere Bindung.“
Unternehmen investieren trotz Unsicherheiten in China
Der deutschen Außenhandelskammer in China zufolge planen 72 Prozent der befragten deutschen Unternehmen, ihre Investitionen in China auszubauen. Der Chemiekonzern BASF etwa will bis 2025 acht bis zehn Milliarden Euro in einen neuen Verbundstandort in der südchinesischen Provinz Guangdong investieren – „die größte Investition in der Unternehmensgeschichte“, sagte Markus Kamieth, im Vorstand bei BASF unter anderem für das Asiengeschäft zuständig.
Für die chemische Industrie sei „China der mit Abstand wichtigste Wachstumsmarkt“, betonte Kamieth. Bis Ende der Dekade werde Chinas Anteil am globalen Chemiemarkt von heute 40 auf 50 Prozent steigen. BASF verfolge die Strategie, dort zu investieren und zu produzieren, wo die wichtigsten Absatzmärkte sind. Diese Lokalisierung habe sich in den vergangenen Monaten, in denen die Pandemie die Lieferketten belastet habe, ausgezahlt.
Auch Markus Wassenberg, Finanzvorstand von Heidelberger Druckmaschinen, sieht den Trend zu einer Regionalisierung der Wertschöpfungsketten durch die Friktionen seit Pandemieausbruch verstärkt. Das Unternehmen setze darauf, in China selbst zu produzieren und von dort aus den asiatischen Markt zu versorgen. Überlegungen, davon abzukehren, „haben wir verworfen, auch unter dem Eindruck der Pandemie“, betonte er.
Wassenberg beobachtet zudem, dass auch die Frage, wie sich die Reduktion von CO2 auf Lieferketten auswirke, an Bedeutung gewinne. Sein Unternehmen erhalte zunehmend Anfragen aus dem Maschinenbau nach Produkten aus der hauseigenen Gießerei, „weil die Produktion in China ökonomisch und ökologisch als nicht mehr vorteilhaft gesehen wird“.
Lieferketten folgen erneuerbaren Energien
Am Ende würden sich „Produktions- und Lieferketten daran ausrichten, wo erneuerbare Energien verfügbar sind“, ist BASF-Vorstand Kamieth überzeugt. Die ausreichende Versorgung mit erneuerbarer Energie zu wettbewerbsfähigen Kosten sei ein wichtiger Standortvorteil.
China hat sich zum Ziel gesetzt, vor 2060 klimaneutral zu werden. Vor 2030 soll der Höhepunkt an Emissionen erreicht werden. Noch aber ist das bevölkerungsreichste Land der Welt der größte Luftverschmutzer und trägt rund 28 Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei. Laut dem Forschungsinstitut für Klimawandel an der renommierten Tsinghua-Universität muss China in den kommenden 30 Jahren 138 Billionen Yuan (rund 18 Billionen Euro) für umweltfreundliche Investitionen aufwenden, um Kohlenstoffneutralität zu erreichen.
Hier sehen Experten Chancen für deutsche Unternehmen. Sie „haben das nötige Know-how, die Industrie weiter zu modernisieren und gleichzeitig den Ressourcenverbrauch zu senken“, betont APA-Chef Busch. Umgekehrt brauche Europa aber auch die Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen, um die Transformation der Energiesysteme und die digitale Transformation der Wirtschaft hierzulande umzusetzen.
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