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Asienstrategie Indien statt China? Europa strebt eine neue Partnerschaft in Asien an

Um sich von China unabhängiger zu machen, rückt der Westen Indien ins Zentrum seiner Asienpolitik. Doch ausländische Investoren sind skeptisch. Die deutsche Wirtschaft warnt vor Enttäuschungen.
04.04.2021 - 18:06 Uhr Kommentieren
Ausländische Unternehmen sind in Indien mit erheblichen Unsicherheiten konfrontiert. Quelle: Reuters
Audi-Verkaufshaus in Neu Delhi

Ausländische Unternehmen sind in Indien mit erheblichen Unsicherheiten konfrontiert.

(Foto: Reuters)

Bangkok Es ist ein 1,4-Milliarden-Dollar-Streit mit großer Symbolwirkung: Die indische Regierung hat aus Sicht des Ständigen Schiedshofs in Den Haag beim britischen Mineralölkonzern Cairn zu Unrecht eine Milliardensumme abkassiert und muss diese zurückzahlen. Doch die Regierung in Neu-Delhi will den Steuerkonflikt noch nicht zu den Akten legen, obwohl er sich schon über Jahre hinzieht. Wie diese Woche bekannt wurde, setzt sich Indien gegen den Schiedsspruch von Dezember juristisch zur Wehr.

Bei der Auseinandersetzung geht es um weit mehr als nur um einen Steuerstreit: Regierungen in Europa und den USA sehen Indien als bevorzugten neuen Partner in Asien, um sich auf dem Kontinent von China unabhängiger zu machen. Die EU-Außenminister wollen voraussichtlich im April eine gemeinsame Indo-Pazifik-Strategie beschließen, die Indien ins Zentrum des europäischen Engagements in der Region stellt. 

Doch Beobachter werten Indiens harten Umgang mit Investoren als Warnsignal: Ausländische Unternehmen sind in dem Land mit erheblichen Unsicherheiten konfrontiert. Wer darauf hofft, dass der Subkontinent für den Westen ein im Vergleich zu China unproblematischer Geschäftspartner wird, droht enttäuscht zu werden.

Der Cairn-Streit erweist sich dabei als exemplarisch für die Unberechenbarkeit der indischen Wirtschaftspolitik: Hintergrund des Disputs ist ein Gesetz aus dem Jahr 2012, das eine rückwirkende Steuerpflicht für bereits abgeschlossene Firmenübernahmen und Fusionen einführte. Cairn bekam die Rechnung für eine Umstrukturierung seiner Geschäfte im Jahrzehnt davor – weil das Unternehmen nicht bezahlte, beschlagnahmte die indische Regierung Vermögenswerte des ausländischen Investors.

Dass die Behörden damit gegen internationales Recht verstießen, wie die Richter in Den Haag auf 582 Seiten darlegten, will man in Neu-Delhi nicht akzeptieren. Auch in einem ähnlich gelagerten Streit mit Vodafone, bei dem ein Schiedsgericht eine milliardenschwere Steuerforderung für unrechtmäßig erklärte, geht Indien in Berufung.

Diplomatische Offensive des Westens

An der rückwirkenden Besteuerung will die Regierung von Ministerpräsident Narendra Modi trotz des internationalen Widerstands festhalten. „Ohne Zweifel sendet das eine negative Botschaft an potenzielle Investoren, die sich genau ansehen, ob sich die Regierung an Schiedssprüche hält“, kommentiert Tariq Khan, Investitionsrechtsexperte in Neu-Delhi. „Sie sehen Indien als instabilen und unberechenbaren Markt.“

Mangelnde Verlässlichkeit steht einem der Hauptziele in Europas und Amerikas Asienpolitik entgegen: Angesichts steigender Spannungen mit China setzt der Westen auf eine Diversifizierung der Lieferketten und Produktionsstandorte in Asien und sieht in Indien, das gemessen an der Bevölkerung in etwa gleich groß wie China ist, eine aussichtsreiche Alternative.

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Derzeit läuft eine diplomatische Offensive, um die Zusammenarbeit zu vertiefen: Mitte März schuf US-Präsident Joe Biden mit dem sogenannten Quad-Gipfel, an dem auch Australien und Japan teilnahmen, ein neues Gesprächsformat zum direkten Austausch mit Indiens Regierungschef.

Der britische Premier Boris Johnson sieht Indien als wesentlichen Teil seiner „Global Britain“-Strategie und will dies Ende April mit einem persönlichen Besuch in Neu-Delhi untermauern. Im Juni ist Premier Modi dann auch noch Gast beim G7-Gipfel in Cornwall.

Die EU plant für Mai dann einen EU-Indien-Gipfel in der portugiesischen Küstenstadt Porto, bei dem Modi die europäischen Staats- und Regierungschefs treffen soll. Auf der Agenda steht ein möglicher Neustart der Verhandlungen über ein Handels- und Investitionsabkommen. „Es gibt auf beiden Seiten hohe Erwartungen, in diesem Bereich echte Fortschritte zu machen“, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit.

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Doch während sich die Politik in Optimismus übt, sind die Hoffnungen der deutschen Wirtschaft gedämpft. Die Modi-Regierung habe in den vergangenen Jahren zwar wichtige Reformen zur Modernisierung und Öffnung der indischen Volkswirtschaft vorangetrieben, sagt Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) dem Handelsblatt. Er plädiert aber zur Vorsicht: „Die Hoffnung auf den Zukunftsmarkt Indien hat sich schon in der Vergangenheit immer wieder in Gegenwartsernüchterung verkehrt“, sagt der frühere Leiter der Hongkonger Auslandshandelskammer.

Zunehmender Protektionismus bereitet Sorgen

Niedermark kritisiert Indiens Umgang mit internationalen Partnern: „Deutsche Investoren hat verunsichert, dass Indien vor fünf Jahren die bilateralen Investitionsschutzabkommen mit 50 Ländern gekündigt hat, darunter 23 EU-Staaten“, sagt er. Einen Ersatz dafür gibt es bisher nicht. 

Dass die Zeichen für Verhandlungen über ein gemeinsames Investitionsabkommen zwischen der EU und Indien jetzt besser stünden, begrüße er, sagt Niedermark. Allerdings sei trotz signalisierter Gesprächsbereitschaft Realismus angebracht. Niedermark verweist auf Modis neues wirtschaftspolitisches Motto, mit dem er als Ausweg aus der Coronakrise für ein „selbstständiges Indien“ plädiert. 

„Der Begriff suggeriert einen Fokus auf nationale Politik und geringe Kompromissbereitschaft gegenüber internationalen Partnern“, sagt Niedermark. „Die deutsche Wirtschaft steht diesem Konzept skeptisch gegenüber und sieht die Gefahr einer zunehmenden wirtschaftlichen Isolation und Protektionismus.“

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Deutsche Automobilhersteller haben die protektionistischen Tendenzen in dem Land zuletzt mehrfach zu spüren bekommen. Sie haben seit Jahren mit steigenden Importzöllen zu kämpfen. Die Modi-Regierung will damit Anreize für eine lokale Produktion erhöhen. Doch im Premium-Segment, das Mercedes, BMW und Audi in Indien besetzen, sind die Verkaufszahlen zu gering, um eigene Fabriken aufzubauen. 

Gleichzeitig sorgen immer wieder neue Bestimmungen für Unruhe: Im vergangenen Jahr schockierte die Regierung die Hersteller mit neuen Einfuhrbestimmungen für Autokomponenten, die aus Sicht von Industrievertretern Geschäfte mit vergleichsweise niedrigen Absatzzahlen unrentabel zu machen drohen.

Problematisch sind aus Sicht deutscher Unternehmen auch gezielte Investitionshürden, die ausländische Unternehmen in bestimmten Branchen benachteiligen. Im indischen E-Commerce gelten für US-Investoren wie Amazon und Walmart etwa deutlich strengere Regeln als für inländische Anbieter. Zudem sorgen auch Vorschriften für Probleme, die internationale Firmen dazu zwingen, bestimmte Daten auf Servern in Indien zu speichern – „ein weiteres kritisches Thema für deutsche Unternehmen“, sagt Niedermark.

Indien erwartet schwierige Verhandlungen

Dass es kein Selbstläufer sein wird, sich den Europäern anzunähern, weiß auch die indische Regierung: „Ich stelle fest, dass ein Freihandelsabkommen mit Europa nicht einfach ist“, sagte Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar Ende vergangenen Jahres. „Es ist wahrscheinlich die schwierigste Verhandlung überhaupt.“ In Indien spricht man aus Erfahrung: Bereits vor einem Jahrzehnt wurde über einen EU-Indien-Handelsvertrag verhandelt, bis die Gespräche 2013 abgebrochen wurden, weil beide Seiten derart weit auseinander lagen.

Erst im vergangenen Jahr beschlossen beide Seiten, eine Neuaufnahme der Gespräche ausloten zu wollen. Dass es dabei wieder zu Enttäuschungen kommen könnte, hält Manisha Reuter, Koordinatorin des Asienprogramms beim European Council on Foreign Relations, für nicht ausgeschlossen. „Es wäre naiv zu glauben, dass sich die EU und Indien von allein annähern, nur weil der externe Druck wächst“, sagt sie. Zahlreiche Hürden, die eine effektive wirtschaftliche Partnerschaft zwischen der EU und Indien behindert haben, würden nicht einfach verschwinden.

Doch aus Reuters Sicht haben die Europäer kaum eine andere Wahl, als die Gespräche trotz der Hürden ernsthaft voranzutreiben. Für die EU sei eine Diversifikation in Asien essenziell. Und weil sich zuletzt auch die Beziehungen zwischen Indien und China verschlechtert hätten, gebe es nun eine einzigartige Gelegenheit für eine tiefere Zusammenarbeit. „Die gilt es nun strategisch zu nutzen“, sagt Reuter, „auch auf die Gefahr hin, dass es nicht gelingt.“

Mehr: Wie Premier Modi Hightech-Fabriken aus China nach Indien locken will

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