
Wikileaks hat neue Dokumente zum US-Lauschangriff auf die Kanzlerin veröffentlicht.
Berlin Es ist das Topthema für Politik und Medien: Die NSA hörte die Kanzlerin systematisch ab und wusste schon frühzeitig, dass Merkel keine echte Griechenland-Strategie hatte. Besonderen Zündstoff erhält die Enthüllung durch die Wahl des Zeitpunkts zum Höhepunkt der Grexit-Krise – Wasser auf die Mühlen von Wikileaks, der zuvor beinahe in Vergessenheit geratenen Whistleblower-Plattform, deren Rolle immer undurchsichtiger erscheint.
Veröffentlicht wurde die Story zwar von der Süddeutschen Zeitung, die Münchner werteten dafür allerdings ausschließlich Unterlagen von Wikileaks aus, die der Zeitung als medialer „preferred Partner“ vorab zur Sichtung zur Verfügung gestellt worden waren. Mit dem Merkel-Scoop feiert Wikileaks, um das es lange still geworden war, ein erstaunliches Comeback.
Seit über einer Woche beherrscht die Organisation, die noch immer von Assange aus einem kleinen Zimmer in der ecuadorianischen Botschaft in London aus gesteuert wird, wieder die politische Berichterstattung.
Erst stürzten die Presse-mit-Dokumenten-Versorger die französisch-amerikanischen Beziehungen in schwere Turbolenzen, in dem sie publik machten, dass die NSA mindestens drei Präsidenten abgehört hätte. Jetzt wendet sich Assange dem nächsten Land zu: Deutschland.
Ab Juni 2013 veröffentlichten der britische „Guardian“ und die amerikanische „Washington Post“ Geheimdokumente des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden. Die NSA und der britische Geheimdienst GCHQ wollen demnach die globale elektronische Kommunikation quasi komplett überwachen - und sind dabei weit gekommen. Der NSA und der GCHQ geht es um Terrorbekämpfung, aber offenbar auch um weitere politische wirtschaftliche und politische Interessen. Denn sie sollen mit ausgefeilten Programmen gezielt auch Unternehmen, Politiker und Behörden ausgeforscht haben.
Die Bundesregierung scheiterte 2013 mit dem Bemühen, ein No-Spy-Abkommen mit den USA abzuschließen. Der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) sagte am 12. August 2013: „Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland ist nach den Angaben der NSA, des britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste vom Tisch.“
Kern der Aufklärungsarbeit des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags ist derzeit die Datenausspähung des Bundesnachrichtendienst (BND) für die NSA. Der BND soll der NSA über Jahre geholfen haben, auch gegen deutsche und europäische Interessen Partnerländer auszuspionieren. Im Ausschuss liefern sich Vertreter des BND und des Aufsicht führenden Bundeskanzleramts als Zeugen seit Wochen ein Schwarze-Peter-Spiel darüber, wer über welche Missstände wann informiert war. Die Bundesregierung hat viele Informationen als geheim eingestuft.
Nach einer Vereinbarung von 2002 übermittelten die Amerikaner dem BND Suchmerkmale (Selektoren), nach denen die Datenströme durchsucht wurden. Das können etwa E-Mail-Adressen sein, Telefonnummern, IP-Adressen von Computern oder Namen für Chatdienste. EU-Partnerländer darf der BND nicht ausspionieren, bei deutschen Bürgern gelten extrem hohe Hürden. Zwischen 2004 und 2008 fingen die Deutschen mit Hilfe der Telekom Telefon- und Internetdaten in Frankfurt/Main ab und leiten Rohdaten an die NSA weiter. Die Daten von Deutschen sollten komplett ausgefiltert werden, was laut Medienberichten aber nicht immer funktionierte.
Der BND hat zehntausende der Suchmerkmale aussortiert, weil sie gegen deutsche Interesse verstoßen. Die entsprechende Geheimliste liegt im Kanzleramt in gedruckter Form vor. Ein Sonderermittler soll sie einsehen können, denn die USA stemmen sich gegen eine Freigabe an die Aufklärer des Bundestags.
Über die Süddeutsche Zeitung und deren Rechercheverbund mit dem NDR und WDR publiziert Wikileaks nun neue Dokumente, die beweisen sollen, „wie weit die Spionage der National Security Agency (NSA) ging und geht“. Weiter fasst die SZ die Ergebnisse zusammen: „Angefangen bei persönlichen Durchwahlen von Ministern über die Nummern parlamentarischer Staatssekretäre bis hin zu zentralen Faxnummern von Ministerien hat die NSA alles überwacht“.
Nach Einschätzung der Autoren Hans Leyendecker, John Goetz und Georg Mascolo dokumentieren die neuen Unterlagen „auch die Zusammenfassung eines Gesprächs, das Kanzlerin Merkel am 11. Oktober 2011 mit einer Vertrauten im Kanzleramt über die damaligen Verhandlungen der EU zu Griechenland führte. Offenbar verfügte die NSA nicht nur über die Nummer eines Handys der Kanzlerin, sondern auch über die weiterer Anschlüsse.“
Ein Satz ist in der Berichterstattung des Rechercheverbundes dabei besonders wichtig: „Vorige Woche hatte Wikileaks Unterlagen über NSA-Lauschangriffe auf drei französische Präsidenten veröffentlicht. Genauso wie jene Dokumente stammen auch die aktuellen, Deutschland betreffenden Unterlagen, offenkundig nicht von Edward Snowden, sondern von einer anderen, bislang nicht identifizierten NSA-Quelle.“

8 Kommentare zu "Auf dem Weg zur fünften Gewalt: Das erstaunliche Comeback von Wikileaks"
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Die Presse muß wieder wirklich frei und unabhängig werden! Es kann nicht sein, dass fast jede Kritik am Islam in der Presse verboten ist. Führend ist hier die "Welt" mit Hr. Z..
Danke, schöner Vergleich. Aber so schlecht ist der FC Schalke nun auch wieder nicht!
Gruss aus Dortmund
@Herr Sascha Fischer: Sie haben absolut recht. Genau das hat ein Herr vor bereits ca. 80 Jahren hier in Deutschland bemängelt und die Presse als eine Kanaille dargestellt. Auch er hatte recht.
So langsam krieg ich 'ne schwere Allergie gegen das Wörtchen "geheim".
Ich bin für totale Transparenz. Was spricht denn ernsthaft dagegen?! Verdorri.
Wer nichts zu verbergen hat (in aller Regel bestimmt nichts Gutes), braucht die auch nicht zu scheuen.
Interessant dazu: Gestern bei Markus Lanz (http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2435660/Markus-Lanz-vom-1.-Juli-2015#/beitrag/video/2435660/Markus-Lanz-vom-1.-Juli-2015 erzählte eine Teilnehmerin, Maike van den Boom, Autorin („Wo geht’s denn hier zum Glück? - Meine Reise durch die 13 glücklichsten Länder der Welt und was wir von ihnen lernen können), dass in Schweden z.B. jeder von jedem die Steuererklärung einsehen kann und auch sonst genau weiß, was er verdient.
Soviel ich weiß, gehören die skandinavischen Länder und Island eher zu den Ländern, wo es vieles in vielerlei Hinsicht um einiges besser zu laufen scheint als anderswo. So ganz falsch können die also kaum liegen.
Da wäre es wohl keine schlechte Idee, sich das, was dort besser läuft als hierzulande und in anderen Ländern mal näher anzusehen.
Und, wenn es keine einleuchtenden Gründe gibt, warum sich deren Lösungen nicht auch auf andere Länder übertragen lassen, es auch mal damit zu versuchen.
Von Siegern zu lernen, dürfte jedenfalls kein Fehler sein.
Einen Versuch wäre es allemal wert.
Die deutsche Presse als vierte Gewalt zu bezeichnen ist so als ob man Schalke 04 als Weltklasseverein bezeichnen würde.
Einer der Hauptprobleme der Presse ist eben, dass sie von einigen Familien (mit ihren Interessen) kontrolliert wird, die ihrerseits über die Miet-Journalisten in ihren Redaktionen die Berichterstattung, Themen und Inhalte entscheiden. Die Presse hat damit faktisch die Funktion als vierte Gewalt verloren. Wikileaks als Ersatz..warum nicht? Unterlagen veröffentlichen, die die Wahrheit ans Tageslicht bringen können? Dinge, die die Presse seit Jahrzehnten nicht mehr hinbekommt/darf.
WENN DAS AUFDECKEN VON VERBRECHEN WIE EIN BEGANGENES VERBRECHEN BEHANDELT WIRD;WERDEN WIR VON VERBRECHERN REGIERT !
Nach dem krachenden Flop des Vorschuss-Nobelpreises für den unwürdigen Obama sind die Schnapsnasen vom Nobelpreiskomitee nun in der Pflicht.
Wann haben die Leute endlich genug Eier in der Hose, um den Friedensnobelpreis endlich an Snowden und Wikileaks zu vergeben?