Aufschwung in den USA Boom auf Pump – die große Trump-Illusion

- Der Aufschwung in den USA ist ein Boom auf Pump – und keinesfalls Trumps alleiniges Verdienst
- Ein Erfolg der Republikaner bei den Kongresswahlen ist nicht sicher
- Interview mit Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff zu den Folgen von Trumps Politik: „Wir erleben einen Kulturkampf“
- Grafiken zu Amerikas Wirtschaft, zur Arbeitslosigkeit in den Bundesstaaten und der Börsenentwicklung seit Trumps Antritt
Von außen ist „T.J. Snow“ ein unscheinbares Kastengebäude am Rande des Regionalflughafens von Chattanooga, einer Stadt im Südosten von Tennessee. In der Werkshalle hängen neben schwerem Gerät und meterhohen Lagerregalen selbst gemalte Kinderbilder und gerahmte Urlaubsfotos.
Manche Mitarbeiter sind seit Jahrzehnten im Betrieb. Ein echtes Familienunternehmen: Tom Snow übernahm die Firma einst von seinem Vater, sein Großvater gründete den Fachbetrieb für Widerstandsschweißtechnik und Robotiksysteme. Sohn Sam arbeitet ebenfalls in leitender Funktion in dem Betrieb.
Tom Snow ist ein höflicher, zurückhaltender Mann. Beim Werksrundgang erklärt er jede Maschine geduldig, erklärt anschaulich technisch komplizierte Angelegenheiten. „Wenn es in einem Werbefilm ordentlich zischt und Funken herumfliegen, dann ist das Widerstandsschweißtechnik“, sagt er und grinst. „Werbeleute wollen immer alles schön dramatisch haben.“
Derzeit zischt und funkt es ganz ordentlich bei T.J. Snow. In den vergangenen zwei Jahren sei die Firma, so der Geschäftsführer, um zehn Prozent gewachsen. Snows Kunden, hauptsächlich Bauteile-Zulieferer für Autohersteller und Luftfahrtkonzerne, bestellen fleißig. Im Zuge der Steuerreform von US-Präsident Donald Trump können Unternehmen Investitionen leichter steuerlich absetzen.
Das treibt das Geschäft, auch für T.J.Snow. So verschickt der Betrieb Elektrodenwerkstoffe in die ganze Welt. Früher waren es 80 Päckchen pro Tag, in letzter Zeit sind es über hundert. „Gestern waren’s 112!“, ruft ein Mitarbeiter stolz.
Eine Fräsmaschine für 50.000 Dollar, eine Metallsäge für 20.000 Dollar, neue Dienstwagen für den Vertrieb: „Wir investieren substanziell in neue Geräte, haben acht neue Leute eingestellt“, sagt Snow, der insgesamt hundert Menschen beschäftigt. „Ich habe Trump gewählt“, sagt der Firmenchef, „und zwar genau deshalb, weil er wirtschaftsfreundlich ist, speziell für das produzierende Gewerbe. Er hat seine Versprechen eingelöst.“
Donald Trump: „Die Fed ist verrückt geworden“
Viele Amerikaner wie der Kleinunternehmer Snow sehen Trump nicht als chaotischen Dilettanten, der sich wie ein Bully benimmt, täglich Lügen und Gemeinheiten twittert und möglichst schnell aus dem Weißen Haus gejagt werden sollte. „Crazytown“ lautet das vernichtende Urteil des „Watergate“-Enthüllers Bob Woodward über Trumps Regierung. Vor allem jene Amerikaner, die fernab der politischen Blase in Washington leben, verbinden mit Trump eher den Begriff „Boomtown“.
Tatsächlich hat der US-Präsident den bereits unter seinem Vorgänger Obama begonnenen Wirtschaftsaufschwung noch einmal beschleunigt. Die Arbeitslosenquote fiel zuletzt auf 3,7 Prozent, so niedrig wie seit 1969 nicht – dem Jahr, in dem Neil Armstrong als erster Mensch auf dem Mond herumlief.
Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal mit einer enormen Jahresrate von 4,2 Prozent. „Die positiven Animal-Spirits sind wieder geweckt worden“, lobt Kennneth Rogoff, Harvard-Ökonom und ehemaliger Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Interview mit dem Handelsblatt.
„Animal-Spirits“ stehen für Pioniergeist und Unternehmertum – also jene Tugenden, die Amerika wirtschaftlich groß gemacht haben. „Make America great again“ steht auch auf Trumps Wahlplakaten für die so wichtigen Zwischenwahlen zum Kongress am 6. November.
Anhänger und Kritiker des Präsidenten haben den Urnengang zu einer Abstimmung über Trumps Bilanz gemacht. Gewinnen die Demokraten die Kongressmehrheit zurück, ist Trump in den ihm verbleibenden zwei Regierungsjahren nur noch eine „lahme Ente“ und kann politisch kaum noch etwas bewirken. Behalten die Republikaner jedoch im Kongress die Oberhand, kann Trump bis 2020 durchregieren – auch in der Wirtschaftspolitik.
Lange Zeit haben die Finanzmärkte Trumps wirtschaftsfreundlichen Kurs mit Beifall und Kursgewinnen begleitet. Niedrigere Steuern, der Abbau von Bürokratie und Regulierungen war genau nach dem Geschmack der Wirtschaft und ließ die Unternehmensgewinne der US-Firmen in den drei Monaten bis Ende Juni um mehr als 16 Prozent steigen. Das war der größte Gewinnsprung seit sechs Jahren.
Diese Woche wurde Trump jedoch von den Risiken des von ihm angefachten Wirtschaftsbooms eingeholt. Der Aktienmarkt an der Wall Street ging am Mittwoch um fast 900 Punkte in die Knie und riss auch die Börsen in Asien und Europa mit in die Tiefe. Grund für die „Oktober-Überraschung“ an den Finanzmärkten sind Befürchtungen der Anleger, die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) könnte ihre Zinserhöhungen beschleunigen und so den Boom in den USA abwürgen.
Dass Trump den Kurs der Fed postwendend als „verrückt“ brandmarkte, hat die Märkte noch zusätzlich verunsichert. Droht doch jetzt ein Kräftemessen zwischen dem mächtigsten Präsidenten und der mächtigsten Notenbank der Welt. „Don‘t fight the Fed“ – diese in Stein gemeißelte alte Weisheit der Börsianer wird von Trump nun auf die Probe gestellt.
Der Ausgang dieses Duells wird nicht nur über das Schicksal des Booms in Amerika entscheiden, sondern auch gravierende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben.
Ob es sich bei dem Beben an den Weltbörsen nur um einen Schluckauf oder um mehr handelt, hängt entscheidend von dem wirtschaftlichen Fundament Amerikas ab. Auf den ersten Blick sieht das ziemlich solide aus. Eine Analyse der Arbeitsstatistik zeigt: Es bahnt sich ein Turnaround in Amerika an, den Trump auch politisch nützen kann.
„Zum ersten Mal läuft es besser in roten als in blauen Bundesstaaten“, sagt Jed Kolko, Chefökonom von dem Arbeitsmarktinstitut Indeed Hiring Lab. Die Farbe Rot steht in den USA für die Republikaner, Blau für die Demokraten.
Grund für den Umschwung: Branchen, die überdurchschnittlich in Trump-Bundesstaaten vertreten sind, schaffen deutlich mehr Arbeitsplätze. So stieg die Beschäftigung beim Bergbau und der Forstwirtschaft in den ersten 18 Monaten der Präsidentschaft von Trump um neun Prozent, während sie in den letzten 18 Monaten von Präsident Barack Obama um fast 14 Prozent schrumpfte.
Das gleiche Bild zeigt sich bei der verarbeitenden Industrie, einer arbeitsintensiven Branche. Das Unternehmen „T.J. Snow“ in Tennessee ist das beste Beispiel: Unter Trump stiegen die Arbeitsplätze um zwei Prozent, während sie unter Obama nur um 0,1 Prozent gestiegen waren.
Harvard-Ökonom Rogoff macht die Steuerreform von Trump verantwortlich. „Die Senkung der Unternehmensbesteuerung war ein richtiger Schritt. Auch wenn eine Reduzierung des Steuersatzes auf 25 Prozent statt 21 Prozent ausgereicht hätte.“ Es würden vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen davon profitieren. Langfristig würde die Steuersenkung das Wachstum beschleunigen und für mehr Beschäftigung sorgen, sich also teilweise selbst tragen.
Ob Trumps Kalkül wirklich aufgeht, ist jedoch unter Ökonomen umstritten. Larry Summers, früher US-Finanzminister und heute wie Rogoff Wirtschaftsprofessor in Harvard, sieht die US-Wirtschaft vielmehr in einem „Zuckerrausch“, der von den Steuersenkungen und Deregulierungen ausgelöst wurde. Und das parteiunabhängige Haushaltsbüro des Kongresses befürchtet, dass die massiven Steuersenkungen die Defizite und Schulden in den USA in den kommenden Jahren massiv in die Höhe treiben werden.
Die Haushälter des Kongresses rechnen damit, dass die US-Wirtschaft im Gesamtjahr 2018 um etwa 3,4 Prozent wächst, der Boom sich danach jedoch abschwächt. Deshalb werde das Wachstum auch nicht reichen, um die Einnahmenausfälle durch die Steuersenkungen wettzumachen. Unterm Strich rechnet das Haushaltsbüro mit einem aggregierten Defizit im Bundeshaushalt von 11,7 Billionen Dollar bis 2027. Die Schuldenquote gemessen am Bruttoinlandsprodukt würde dann von derzeit 77 Prozent auf mehr als 100 Prozent steigen.
Thema Wirtschaft ist den US-Wählern nicht so wichtig
In wenigen Wochen geht Amerika an die Wahlurne. Die Republikaner hoffen aufgrund des wirtschaftlichen Booms auf einen Sieg. Sicher ist das allerdings nicht. „It‘s the economy, stupid“ – die Wirtschaft entscheidet über den Wahlausgang – mit diesem Motto gewann Bill Clinton 1992 die Präsidentschaft.
Diesmal könnte es anders kommen: Nach der jüngsten Meinungsumfrage des Gallup-Instituts in den USA halten nur zwölf Prozent der Amerikaner Wirtschaft für das wichtigste Thema im Wahlkampf. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center interessieren sich US-Wähler vor allem für die Gesundheitsversorgung, aber auch Einwanderung und Frauenrechte.
Das macht sich bemerkbar. Laut einer Umfrage von Meinungsforschungsinstitut SSRS und TV-Sender CNN bevorzugen 54 Prozent aller Amerikaner in ihrem Wahldistrikt Demokraten, während nur 41 Prozent Republikaner unterstützen – der größte Vorsprung seit 2006. Wahrscheinlich können die Demokraten das Repräsentantenhaus zurückgewinnen. „Der alte Leitspruch ,It’s the economy, stupid’ gilt nicht mehr so stark wie vor ein paar Jahrzehnten“, sagt Michael Barone von der Denkfabrik American Enterprise Institute.
Trump setze im Wahlkampf voll auf wirtschaftliche Erfolgsmeldungen, bekomme aber kaum Anerkennung dafür, die neue Wähler motivieren könnte, so Barone. Schuld daran sei der Präsident selbst: „Trump überschattet sich selbst“, mit Polarisierung und Provokationen, was zur Lagerbildung beitrage. „Die einen lieben ihn dafür, die anderen hassen ihn.“
Selbst seine Wirtschaftspolitik ist umstritten: 53 Prozent der US-Bürger lehnen Strafzölle ab, und nur ein Drittel der Menschen bewertet die Steuerreform durchweg positiv. Hinzu kommt, dass Trump seine zahlreichen Skandale schaden: sei es die heftig umstrittene Berufung des konservativen Richters Brett Kavanaugh zum Obersten Gerichtshof, sei es Trumps Umgang mit Frauen, sei es seine angebliche Affäre mit der Pornodarstellerin Stormy Daniel oder die immer noch laufende Untersuchung seiner „Russland-Connection“ durch Sonderermittler Robert Mueller.
Sein rüpelhaftes Auftreten und seine wilden Tweets kommen insbesondere bei besser ausgebildeten Amerikanern in den Vorstädten nicht gut an. „Manchmal wünschte ich, er würde weniger kontrovers sein“, sagt selbst Unternehmer und Trump-Wähler Snow. „Er sollte etwas nachdenken, bevor er twittert. Aber er ist eben, wie er ist.“
Ein neues Selbstwertgefühl
In der Tat. Trump kann es nicht lassen, braucht die Kontroverse fast genauso wie die Show – und die ist beim Wahlkampf im vollen Gang. Der New Yorker setzt wie sein politisches Vorbild Ronald Reagan auf den „Feelgood“-Faktor. Die wuchtigen Männer in Neonwesten, Schutzbrillen und Helmen sind deshalb die ideale Kulisse für Trump.
Wahlkampfmitarbeiter haben die Bergbauarbeiter kamerafreundlich hinter seinem Rednerpult platziert, auf der Tribüne bilden sie eine Wand aus starken Schultern und „Keep America Great“-Schildern. Durch die Mehrzweckhalle in Wheeling im Bundesstaat West Virginia schallt das Lied „We are the Champions“, die Kohlekumpel schunkeln im Takt. Doch erst als ihr Champion, der US-Präsident, erscheint, brechen sie in Begeisterung aus.
Trump lässt sich feiern, tänzelt zu „Country Roads“ über die Bühne, „ein schöner Song, ein wunderschöner Song!“, ruft der Präsident. „Diese Jungs hier hinter mir“, sagt er, „die haben mich vorhin kräftig umarmt. Große Hände haben die, riesig!“ Sein Fanblock johlt. „Ich habe sie gefragt: Wollt ihr mit winzigen Computerchips hantieren? Nein, natürlich nicht! Sie wollen buddeln, sie wollen nach Kohle graben.“
Bis zu fünfmal die Woche kehrt Trump derzeit dem Weißen Haus den Rücken, um sich auf Kundgebungen im ganzen Land zu zeigen. Auf der Wahlkampfbühne ist er in seinem Element, stundenlang attackiert er die Demokraten, verspricht den Bau der Mauer zu Mexiko und schwärmt über Jobzahlen, Wachstum und niedrige Steuern.

Für viele ist Trump kein Aufschneider. Endlich werden Arbeitsplätze geschaffen.
Im wichtigen Jahr der Midterm-Wahlen zieht Trump mit seiner Erfolgsbotschaft Nummer eins durch umkämpfte Bundesstaaten: Der Aufschwung ist im produzierenden Gewerbe wie Bergbau und Fertigung angekommen, was Experten lange für unwahrscheinlich gehalten hatten.
Einer Auswertung der Denkfabrik Brookings Institution zufolge profitiert von der Entwicklung vor allem die Bevölkerung in ländlichen Regionen und Kleinstädten. Also genau dort, wo Trump mit seinem „America first“-Versprechen 2016 Überraschungssiege einfuhr, vor allem im „Rust Belt“, dem Rostgürtel alter Industrien im Mittleren Westen der USA. In den etwas verächtlich als „Fly-over“-Staaten genannten Regionen leben viele Amerikaner, die sich von den Politikern in Washington lange Zeit nicht vertreten fühlten. Trump hat ihnen Gehör verschafft.
Das produzierende Gewerbe wachse derzeit schneller als die weitaus größere Dienstleistungswirtschaft der USA, heißt es in der Brookings-Studie. In den vergangenen zwölf Monaten wurden im sogenannten „Blue Collar“ Sektor 650.000 Jobs geschaffen – eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass nur 14 Prozent aller Beschäftigten in den USA im produzierenden Gewerbe tätig sind. „Viele Gemeinden spüren, dass sich die Dinge für sie in die richtige Richtung bewegen“, schreiben Mark Muro und Jacob Whiton in dem Report.
Fachkräfte werden knapp
Es ist ein schwüler Septembertag, typisch für den amerikanischen Süden. Seit ein paar Wochen läuft das Mercedes-Werk in Charleston im Bundesstaat South Carolina. Hier stellen die Deutschen den Lieferwagen Sprinter her. 500 Millionen Dollar hat Mercedes investiert, um die Sprinter-Vans vor Ort zusammenzubauen. 1.300 Jobs sind so entstanden.
Fabrikchef Michael Balke läuft stolz durch die hellen neuen Hallen, in denen auf 900.000 Quadratmetern riesige gelbe Krakenarme Schrauben an Aluminiumplatten anziehen, während an der Decke die halbfertigen Vans entlanggleiten. Alles ist in bester Ordnung für den drahtigen blonden Mann, bis auf eine Sache. „Es ist nicht einfach, in so einem Arbeitsmarkt die richtigen Leute zu bekommen.“
Zu Besuch war Trump nicht, aber das Werk wäre für ihn ein lohnendes Ziel. Daimler baute es, um die sogenannte „Chicken Tax“ in Höhe von 25 Prozent auf größere Fahrzeuge zu umgehen. Die „Hühnersteuer“ führte Präsident Lyndon Johnson 1964 ein, als Vergeltung auf die europäischen Tarife auf US-Hühnerfleisch.
Bislang baute Daimler die Fahrzeuge in Düsseldorf und Ludwigsfelde, um sie aufwendig auseinandernehmen zu müssen und in den USA wieder zusammenmontieren zu lassen. Laut Balke geht das neue Werk aber nicht zulasten der deutschen Fabriken und Arbeitsplätze. Die Nachfrage sei so groß in den USA, allein Amazon hat 20.000 der Lieferwagen geordert.
Um sich die wichtigen Arbeitskräfte frühzeitig zu sichern, arbeitet Balke in Charleston mit den Schulen zusammen und unterstützt dort etwa die Robotiks-Programme. „Wir laden die Schüler in unser Werk ein“, erklärt Balke. „Man kann die nicht früh genug für unsere Technologien begeistern.“ Auch mit den lokalen Colleges arbeitet der deutsche Autobauer zusammen, damit diese die Grundlagen vermitteln. „Wir leisten dann das jobspezifische Training“, erklärt der Mercedes-Manager.
Balke weiß: Amerikaner wechseln schnell, wenn der Arbeitsmarkt boomt. So rasch, wie die Unternehmen Mitarbeiter feuern können, so schnell können die sich auch verabschieden. Da muss man sich um sie bemühen. Damit Angestellte und Arbeiter, die schon unterschrieben haben, nicht auf die Idee kommen zu wechseln, veranstaltet der Fabrikchef beispielsweise Partys im Werkshof, bei denen sich Mitarbeiter und zukünftige Kollegen schon vorher beim Drink kennen lernen können.
Schöne Gesten sind nicht alles: Daimler zahlt im Vergleich zur Region überdurchschnittlich. Ein Trend, der in ganz Amerika zu verzeichnen ist. Walmart hat bereits zum zweiten Mal freiwillig die Löhne angehoben. Und auch der Onlineriese Amazon musste zuletzt nachziehen, um die Weihnachtssaison abzusichern und die Kritik an seinen Arbeitsbedingungen zu kontern.
„Wenn man die besten Leute gewinnen oder halten will, muss man mehr bieten als die Konkurrenz“, brachte es der Walmart-CEO Doug McMillon vor einiger Zeit auf den Punkt.
Boomzeiten machen Streiks möglich
Tina Graham arbeitet bei Palmer House als Zimmermädchen. Die 60-Jährige stand vor wenigen Wochen allerdings mit einem Schild vor ihrem Edelhotel in der Innenstadt von Chicago. Insgesamt streikten 6000 Köche, Türsteher oder andere Hotelangestellte, um mehr Geld und weniger Arbeit durchzusetzen. „Es ist ein guter Zeitpunkt zum Streik“, sagte sie Ende September. In der Tat. Vor wenigen Tagen lenkte der Mutterkonzern Hilton Worldwide ein.
Streiks sind in den USA eigentlich eine Seltenheit. Die Angestellten oder Arbeiter sind in vielen Bundesstaaten nicht in Gewerkschaften vereinigt. Wenn es welche gibt, sind sie oft zersplittert und zerstritten. Trotzdem geht die Anzahl der Arbeitskonflikte nach oben – dank dem angespannten Arbeitsmarkt.
Laut dem US-Arbeitsministerium gab es in den zwölf Monaten bis August 2018 insgesamt 633.000 Tage, an denen Amerikaner aufgrund von Streiks nicht ihrer Arbeit nachgingen. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum im Vorjahr waren es nur 440.000. „Wenn wir uns nicht bei weniger als vier Prozent Arbeitslosigkeit durchsetzen, wann sonst?“, sagte Christian Sweeney, stellvertretender Direktor bei AFL-CIO, dem mitgliederstärksten Gewerkschafts-Dachverband der USA.

Die verarbeitende Industrie ist der Motor für den Arbeitsmarkt. Die Steuerreform wirkt sich positiv aus.
Die Wirtschaft läuft rund. Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Shiller hält Donald Trump zwar für „den gefährlichsten Präsidenten aller Zeiten“. Aber auch er gesteht ihm zu: „Trump hat in Amerika den Unternehmergeist geweckt“. Mit seiner Hemdsärmeligkeit, seinen gezielten Tabubrüchen und Regelverletzungen gebe er den Amerikanern ein neues Selbstwertgefühl.
Diesen Effekt dürfe man neben den vielen enormen Risiken, die seine Politik mit sich bringt – seien es eskalierende Handelskonflikte oder auch geopolitische Waghalsigkeit – nicht unterschätzen.
„Abgesehen von seinem handelspolitischen Irrsinn hat Trump es geschafft, der US-Wirtschaft einen sehr großen Schub zu verpassen“, sagt Jagdish Natwarlal Bhagwati, Ökonomieprofessor an der Columbia-Universität. „Die größte Rolle spielte dabei die Abschaffung vieler völlig sinnloser Regulierungen“, so der indischstämmige Wirtschaftswissenschaftler, der seit 1986 in den USA lebt. Investments würden sich wieder lohnen, weil die Produktivität vor allem wegen der Deregulierungspolitik steige.
Hinter dem politischen Kampfbegriff Deregulierung verbirgt sich insbesondere der Abbau von Umweltschutzgesetzen, Verbraucherschutz, aber auch der enormen Bürokratie, die den US-Unternehmen nach der Finanzkrise 2008 von den Aufsichtsbehörden aufgebürdet wurde. Neben der Finanzwirtschaft hat vor allem die Energiebranche von Trumps Deregulierungsoffensive profitiert.
Harakiri mit Handelskrieg
So sehr sich Amerikas Unternehmer über niedrigere Steuern und weniger bürokratische Fesseln freuen, so sehr sorgen sich viele über die nationalistische Handelspolitik des Präsidenten. Über Politik wird im Betrieb von „T.J.Snow“ zwar selten geredet – so wie in ganz Amerika.
Ein Mitarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt nur so viel: Er sei Demokrat, und ja, er stelle fest, dass es der Wirtschaft unter Trump gut gehe. Aber man müsse sehen, wie lange das so weiterlaufe. „Ein Baum wächst nicht unendlich in die Höhe.“
Eine Sorge, die Firmenchef Snow teilt. Beim Rundgang durch die Fertigungshalle erfährt man, dass die Maschinen, die „T.J. Snow“ an Zulieferer für Autokonzerne und Flugzeugbauer weiterverkauft, aus Deutschland, Italien oder China stammen. Stahl- und Aluminiumzölle betreffen zudem genau die Branchen, die Snow mit Geräten versorgt.
„Noch sind die Lieferketten intakt, keiner unserer Kunden strich Aufträge“, sagt Snow, doch er stellt sich darauf ein, dass sich das ändern könnte. „Die Maschinen, die wir benötigen, könnten auf einer Zollliste landen. Darüber bin ich besorgt.“
Für Handelsexperte Bhagwati ist die aggressive Handelspolitik Trumps schlichtweg ein „Harakiri“. Noch unerträglicher als die Politik ist laut dem Ökonomieprofessor an der Columbia-Universität deren Begründung: dass etwa die nationale Sicherheit durch die wachsenden Stahl- oder Autoimporte gefährdet sei.

Bei Harley Davidson schlagen die Zölle in Europa auf Preise und Nachfrage durch.
Tatsächlich sorgt Trumps „America first“-Politik nicht nur bei den Handelspartnern im Ausland für Unmut. Auch die US-Wirtschaft selbst leidet unter dem Handelskrieg. Regierungsstatistiken zeigen, dass Trumps Strafzölle auf Waschmaschinen die Verbraucherpreise für diese Produkte in den ersten drei Monaten um 17 Prozent erhöht haben. Handelsminister Wilbur Ross bestreitet indes, dass die Amerikaner selbst den Preis für die Strafzölle zahlen müssen.
Als Beleg dafür hielt er öffentlich eine Suppendose der Firma Campbell Soup hoch und verwies darauf, dass importierter Stahl nur im Wert von einigen „Pennies“ in den Preis der Suppendose eingehe. Bei Campbell selbst sieht man das anders: Der Aktienkurs des Konzerns fiel nach der Ankündigung von Strafzöllen auf Stahl- und Aluminiumimporte um 14 Prozent, auch weil das Unternehmen die Zölle nicht voll an die Verbraucher weitergeben kann und deshalb mit Gewinneinbußen rechnet.
Wie umstritten die Handelsmaßnahmen des Präsidenten sind, zeigt sich auch daran, dass nur relativ kleine Branchen davon profitieren. Stand Mitte vergangenen Jahres gab es in den USA fast 30.000 stahlverarbeitende Betriebe mit etwa 900.000 Mitarbeitern. Die amerikanische Stahlindustrie besteht dagegen nur aus gut 900 Firmen mit 80.000 Beschäftigten.
Bislang hat der wirtschaftliche Boom die negativen Folgen von Trumps Handelspolitik verschleiert. Aber dabei muss es nicht bleiben. Zumal Trump den Handelskrieg mit China weiter befeuert und bereits chinesische Importe von 250 Milliarden Dollar mit Strafzöllen von bis zu 25 Prozent belegt hat. Viele der mehr als 5.000 Produkte, die davon betroffen sind, sind Billigwaren, die insbesondere von einkommensschwächeren Familien gekauft werden.
Schadensbilanz nach zwei Jahren
Bald treten wir ins dritte Jahr der Trump-Revolution ein. Keine zwei Jahre hat der US-Präsident gebraucht, um die alte Weltordnung in seinen Grundfesten zu erschüttern. Der Präsident hat Handelskriege losgetreten – auch gegen Kanada und Europa, den traditionellen Verbündeten Amerikas. Er kündigte internationale Verträge, wie das Atomabkommen mit dem Iran, an dem sich Generationen westlicher Diplomaten abgearbeitet hatten.
Oder das globale Klimaabkommen, das als entschiedener Schritt gegen die bedrohliche Erderwärmung weltweit galt. Er brüskierte die Uno, die Welthandelsorganisation (WTO), jene internationalen Institutionen, die als Rückgrat einer regelbasierten Weltordnung dienen, die von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg selbst entworfen worden waren. Trump selbst sieht sich als „Disruptor“ und Störenfried der alten Ordnung. Insofern war das Chaos der vergangenen zwei Jahre sein Ziel.
Vor diesem Hintergrund scheint es wie ein Wunder, dass Amerikas Wirtschaft, immer noch die größte der Welt, scheinbar unberührt von dieser destruktiven Politik des Präsidenten bleibt. Mehr noch: Während Europa immer noch mit den Spätfolgen der Finanz- und Euro-Krise kämpft und nun unter dem bevorstehenden Brexit leidet. Während China die besten Zeiten mit Wachstumsraten jenseits der zehn Prozent längst hinter sich gelassen hat und gegen eine rapide gestiegene Verschuldung des Privatsektors kämpfen muss, kann Trumps Amerika vor Kraft kaum laufen.
Noch im Wahlkampf hatte der New Yorker Wachstumsraten von mehr als vier Prozent vorausgesagt. Jetzt hat er sie zumindest in einem Quartal erreicht. In der größten Volkswirtschaft der Welt herrscht Vollbeschäftigung, Arbeitskräfte werden zum Teil händeringend gesucht. Die amerikanischen Unternehmen, allen voran die großen Internetkonzerne der Westküste, schreiben Milliardengewinne und setzen nach wie vor Maßstäbe, was ihre Innovationskraft angeht.
Wie robust die USA dastehen, wird deutlich, wenn man die ökonomische Entwicklung mit der Europas seit der Finanzkrise vergleicht. Das nominale Bruttoinlandsprodukt der USA wuchs seit 2009 um 42 Prozent, das der Europäischen Union gerade mal um 22 Prozent. Es liegen Welten zwischen den beiden größten Wirtschaftsräumen.
Aber: Der Aufschwung ist keinesfalls Trumps alleiniges Verdienst. Der US-Wirtschaft geht es schon seit vielen Jahren gut, auch unter Obama verbesserten sich Wachstum und Arbeitsmarkt deutlich. Rogoff glaubt, dass „rund achtzig Prozent des derzeitigen Booms immer noch dem Erholungsprozess nach dem großen Einbruch in der Finanzkrise zu verdanken“ seien.
Bereits zwischen 2009 und 2016 wuchs die US-Wirtschaft mit einer Jahresrate von etwa 2,2 Prozent. Seit Anfang 2018 hat die Konjunktur aber noch deutlich an Fahrt zugenommen.
Die entscheidende Frage lautet jetzt: Wie lange hält der Boom? Und hier ist der Blick der Ökonomen auf die US-Wirtschaft wesentlich skeptischer. Nobelpreisträger Shiller betont, dass die langfristigen Risiken der Trumponomics viel größer seien als der kurzfristige Nutzen. Der Yale-Ökomom schließt „mittelfristig selbst einen Crash an den Finanzmärkten“ nicht aus. Ein erstes Warnsignal gab es diese Woche.
Kommt 2020 die Rezession?
Andy Berke ist ein Demokrat. Ungewöhnlich für den Bundesstaat Tennessee, der fest in republikanischer Hand ist. Randlose Brille, grau meliertes Haar, schmale Figur – der Bürgermeister von Chattanooga bestreitet nicht, dass es seiner Stadt besser geht. Chattanooga, einst postindustriell und heruntergekommen, knackt inzwischen einen Rekord nach dem nächsten, hat dank Highspeed-Internet und Ansiedlungsinitiativen eine blühende Start-up-Szene, die Jobzahlen und Löhne steigen. Doch wie viel davon ist Trump zu verdanken?
Berke zögert einen Moment, will die Bedeutung in Wahlkampfzeiten nicht zu hoch hängen. „Es geht immer um eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen. Die US-Wirtschaft entwickelt sich seit vielen Jahren gut, das hilft sicherlich“, sagt er, was so viel heißt wie: Trumps wirtschaftsfreundliche Politik schadet immerhin nicht.
Allerdings konzentriere sich Trump auf das produzierende Gewerbe, was Berke als zu kurz gedacht betrachtet. „Wir wollen den Durchschnitt schlagen, hoch bezahlte Jobs schaffen, das bringt uns auf die nächste Stufe.“ Grundsätzlich müssten sich Städte wie seine gegen Wellen der Konjunktur wappnen, warnt der Bürgermeister. Er hält es für denkbar, dass die USA „in den nächsten Jahren auch wieder einen Abschwung erleben“, sagt Berke. „Hoffentlich wird es nicht allzu ernst.“
Die Meinung ist weitverbreitet bei Demokraten und Kritikern von Trump. Der ehemalige Notenbankchef Ben Bernanke sieht die Steuersenkung der US-Regierung zum falschen Zeitpunkt. Jetzt würde die Wirtschaft laufen, der Stimulus würde viel dringender bei einem Abschwung gebraucht. Der würde nicht sehr lange auf sich warten lassen. Laut Bernanke gehe die US-Wirtschaft in zwei Jahren „über die Klippe“.
Keine Einzelmeinung: In das gleiche Horn stößt rund die Hälfte aller der 100 Ökonomen, die die Online-Immobilien-Datenbank Zillow regelmäßig befragt. Die Begründung der Befragten: Leitzinserhöhungen bremsen die wirtschaftliche Aktivität. Es lohnt sich mehr, in Anleihen oder andere Zinspapiere zu investieren als in neue Fabriken oder Maschinen.
Warum steigen die Zinsen? Aufgrund steigender Löhne und anderer Preise muss die Notenbank den Satz erhöhen, um ihrem Auftrag Folge zu leisten, die Inflation im Zaum zu halten. Die Fed hebt bereits seit fast drei Jahren die Leitzinsen an, vorsichtig und zurückhaltend. Aber sie stehen derzeit schon bei zwei bis 2,25 Prozent. Geht es so weiter, stünden sie 2020 bei weit mehr als drei Prozent – ein hohes Niveau in einer Welt der Niedrigzinsen.
Ausgerechnet 2020. Das Jahr ist für Trump von entscheidender Bedeutung. Dann muss er gegen einen neuen Herausforderer der Demokraten antreten, beweisen, das sein Erfolg keine Eintagsfliege war. Zinserhöhungen könnten den Boom bis dahin so gebremst haben, dass Trump von der Wirtschaft kaum noch Rückenwind erwarten kann.
Deshalb übt er jetzt Druck auf die Notenbank aus, nennt ihren Kurs „verrückt“. Für Fed-Chef Jerome Powell ist das ein offener Affront. Trump hat ihn schließlich selbst an die Spitze der Notenbank berufen. Powell, der als ökonomisch solide und umsichtig gilt, wird sich kaum auf einen Schlagabtausch per Twitter mit dem Präsidenten einlassen. Aber er wird seinen restriktiven Kurs vermutlich auch nicht ändern.
Als amtierender Präsident besitzt Trump für seine Wiederwahl einen großen Vorteil: die Amtsinhaber hatten nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Wiederwahl fast immer die besseren Karten. Doch Trump? Mit seinen ständigen Provokationen hat er schon jetzt viel vom Amtsbonus eingebüßt.
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Obama machte mehr Schulden als alle anderen Präsidenten vor ihm zusammen! Das interessierte niemanden, da er Demokrat war! Würde Trump mehr Schulden machen als alle Präsident vor ihm zusammen, wäre das Geschrei groß! Genauso groß wäre das Geschrei, wenn Trump die US-Ausgaben der Nato auf das Deutsche Niveau absenken würde.
Ein "Boom auf Pump?". Na sowas! Wer will das Trump denn vorwerfen? Die Europäer mit ihrem "Boom auf Pump" via Nullzinspolitik? Oder China mit "Riesenboom auf Mega-Gigapump"? Der Kaiser ist nackt. Nicht nur in den USA. Das war er auch schon vor Trump.