Auftakt der Tech-Allianz USA und EU rüsten sich für die digitale Zukunft – zumindest auf dem Papier

Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Wettbewerb, ist für ein Europa, das fit für das digitale Zeitalter ist.
Brüssel, Washington Rein symbolisch hatte die Premiere der neuen transatlantischen Tech-Allianz viel Gewicht. Prominente Vertreter aus Washington und Brüssel trafen sich in Hazelwood Green, einer ehemaligen Stahlfabrik in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania. Heute werden auf dem Gelände moderne Fertigung, Robotik und autonomes Fahren entwickelt. Pittsburgh hat die Transformation von der Schwerindustrie zum Technologiezentrum geschafft. Ein ähnliches Aufbruchssignal erhoffen sich die USA und die EU vom transatlantischen Handels- und Technologierat (Trade and Technology Council, kurz: TTC).
Das Forum ist das wichtigste transatlantische Wirtschaftsprojekt seit der gescheiterten Freihandelszone TTIP – und der Auftakt war entsprechend hochkarätig besetzt. Angereist waren US-Außenminister Antony Blinken, Handelsministerin Gina Raimondo und die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai, dazu aus Brüssel die Vizepräsidenten der EU-Kommission, Margrethe Vestager und Valdis Dombrovskis.
Beide Seiten teilen ein Interesse: Den größten Wirtschaftsraum der Welt in einer zunehmend technisierten Industrie wettbewerbsfähig zu halten. Das geht kaum ohne gemeinsame Standards, Klima-Innovationen, sichere Lieferketten und Cyber-Infrastruktur. „Wir wollen die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts anführen“, hieß es am Mittwoch aus dem Weißen Haus.
Frankreich verwässert Abschlusserklärung
Allerdings überwogen im Vorfeld die Spannungen. Bis zuletzt gab es in Brüssel Streit um den TTC. Aus Wut darüber, einen U-Boot-Deal mit Australien an die Amerikaner verloren zu haben, wollte Frankreich das Treffen abblasen, konnte sich damit aber im Kreis der EU-Staaten nicht durchsetzen. Daraufhin konzentrierten sich die Franzosen darauf, die Abschlusserklärung zum TTC-Treffen zu verwässern. Vor allem die Passagen zur transatlantischen Zusammenarbeit gegen die Versorgungsprobleme mit Mikrochips sollten abgeschwächt werden.
Bis zuletzt gab es Gerangel mit anderen EU-Mitgliedsländern, dann schließlich stand der Kompromiss: In der Erklärung, die Washington und Brüssel am Mittwochabend veröffentlichten, heißt es nun, die EU werde sich bei der Chip-Kooperation mit den USA zunächst auf „kurzfristige Lieferketten-Probleme“ konzentrieren. Erst im kommenden Jahr wolle man die „Zusammenarbeit bei mittel- und langfristigen strategischen Halbleiterfragen“ vorantreiben. Konkret wird also frühestens 2022 darüber verhandelt, gemeinsame Produktionsstätten aufzubauen und Lieferketten zu verschränken. Angedacht ist, dass diese Gespräche in Frankreich stattfinden.
Dabei ist die Halbleiterkrise eines der drängendsten wirtschaftlichen Probleme auf beiden Seiten des Atlantiks. Weltweite Knappheiten haben sowohl in den USA als auch der EU zu Produktionsstopps geführt und Preise erhöht, vor allem in Autoproduktion. Das Weiße Haus unterstrich, sichere Lieferketten seien „oberste Priorität“. US-Präsident Joe Biden versucht über eine Reihe von Dekreten, den Chipmangel durch neue Förderungen und internationale Kooperationen zu mildern.
Beide Seiten wollen massiv in Chips investieren
Auf europäischer Seite dringt gerade Paris darauf, Europas Abhängigkeit von asiatischen Chipherstellern zu verringern – allerdings ohne dabei neue Abhängigkeiten von den USA zu schaffen. In der Kommission pocht vor allem der französische Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton auf mehr europäische Eigenständigkeit in strategisch bedeutenden Industriezweigen. Der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagene „European Chips Act“ geht auf seine Initiative zurück.
Während der TTC in Pittsburgh tagte, tourte Breton durch Japan, um für den Chips Act zu werben. Auch Japan, einst einer der wichtigsten Halbleiterproduzenten der Welt, ist inzwischen auf Chip-Importe angewiesen. Fast die Hälfte der Weltproduktion stammt heute aus zwei Ländern: Südkorea und Taiwan, beide geopolitische Risikozonen. Schon deshalb sieht Breton die Notwendigkeit, mehr Chipfabriken in Europa aufzubauen.
Immerhin in ihrer Zielsetzung sind die EU und die USA einigermaßen klar: „Der kürzlich angekündigte European Chips Act zielt darauf ab, ein hochmodernes europäisches Chip-Ökosystem zu schaffen, das bis 2030 einen Anteil von 20 Prozent an der weltweiten Chip-Produktion erreichen soll“, heißt es in einem Infoblatt, das Washington und Brüssel am Mittwoch veröffentlichten. „In ähnlicher Weise planen die USA mit dem vorgeschlagenen US CHIPS Act in den nächsten fünf bis 10 Jahren Investitionen in die Halbleiterherstellung und -forschung.“
Ein weiterer Fokus der Tech-Allianz ist der Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI), sowohl wirtschaftlich als auch ethisch. Beide Seiten unterstrichen das Ziel, „innovative und vertrauenswürdige KI-Systeme zu entwickeln, die die universellen Menschenrechte und demokratischen Werte respektieren“. Bemerkenswert ist, dass sich Washington zumindest auf dem Papier dazu bekannte, sich mit der EU auf gemeinsame Standards verständigen zu wollen, „einschließlich KI und anderen neuen Technologien“. Dass man sich der eher regulierungsfreudigen EU annähere, sei für die USA „ein großer Schritt“, kommentierte Karen Kornbluh, Digitalexpertin der Washingtoner Denkfabrik German Marshall Fund und frühere US-Botschafterin für die OECD.
Zwei große Konfliktfelder bleiben jedoch vorerst unangetastet: Der Streit um Big-Tech-Unternehmen sowie die Spirale des Protektionismus. Die EU reguliert die Riesen aus dem Silicon Valley deutlich stärker als die USA, wobei auch in Washington zunehmend Einschränkungen zum Kartellrecht oder Datenschutz vorangetrieben werden. In Pittsburgh blieben beide Seiten maximal vage. Man wolle weiterhin „Informationen und Meinungen“ über Big-Tech-Vorschriften austauschen und „die volle Regulierungsautonomie der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten respektieren“, hieß es in der Erklärung.
Dazu sind noch immer die amerikanischen Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus Europa in Kraft, was in Brüssel für Unmut sorgt. Neue protektionistische Maßnahmen sind bereits in Arbeit: Biden möchte Billionen in grüne Innovationen und Infrastruktur pumpen. Allerdings sollen die lukrativen Aufträge vorwiegend auf in den USA ansässige Firmen beschränkt werden.
Eine Bahnfahrt mit Folgen: Wie alles begann
Dennoch wird die Tech-Allianz auf beiden Seiten des Atlantiks überwiegend positiv gesehen. Unter Ex-Präsident Donald Trump wäre ein vergleichbares Format undenkbar gewesen. „Es ist ein erster wichtiger Schritt“, kommentierte die Denkfabrik Peterson Institut for International Economics.
Die EU-Kommission wertet den TTC als ihren Erfolg. Tatsächlich wurde das Konzept in Europa ersonnen: die Idee für das Technologie-Forum mit den USA entstand im vergangenen Jahr auf einer Bahnfahrt, auf der enge Berater von Kommissionschefin von der Leyen und der damaligen Handelskommissar Phil Hogan die Köpfe zusammenstecken. Aus einer Skizze auf einem Blatt Papier wurde das aktuell wichtigste transatlantische Wirtschaftsprojekt.
Die USA wiederum sind an den Beratungen mit den Europäern vor allem aus einem Grund interessiert: um ein technologisches Gegengewicht zu China zu bilden. Bald will die Biden-Regierung ihre China-Strategie vorlegen, die Handels- und Sicherheitspolitik umfasst. Im Vorfeld von Pittsburgh erhöhten die USA den Druck auf die EU, an einem Strang zu ziehen. „Wenn wir Chinas Innovationstempo wirklich bremsen wollen, müssen wir zusammenarbeiten“, sagte Wirtschaftsministerin Raimondo. Allerdings hat die EU wenig Interesse an einer Konfrontation mit China – was in Washington für Frust sorgt.
Die Pittsburgher Erklärung erwähnt China wohl auch wegen dieser Differenzen nicht direkt. Aber in dem Papier betonen beide Seiten ihre Absicht „unsere Unternehmen, Verbraucher und Arbeitnehmer vor unlauteren Handelspraktiken zu schützen, insbesondere vor solchen, die von Nichtmarktwirtschaften ausgehen“. Diese Umschreibung wird in offiziellen Texten gern benutzt, um das staatskapitalistische chinesisches System zu beschreiben – ohne es beim Namen zu nennen.
Mehr: So wehren sich die USA und Europa gegen chinesische Technologiestandards
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