Auslandsproduktion BMW in Ungarn – der Kampf um billige Arbeitskräfte verschärft sich

Der ungarische Ministerpräsident hat auch politische Interessen an einer Ansiedlung von BMW im ärmlichen Ostungarn.
Wien Wo sich bei der ostungarischen Stadt Debrecen einst bestes Ackerland erstreckte, sieht es nun aus wie auf dem Mond. Baumaschinen haben eine Fläche von 500 Hektaren planiert, damit der Autohersteller BMW und einige Zulieferer Fabriken bauen können. So riesig ist das firmeneigene Areal, dass die Baucontainer am anderen Ende des Geländes wie Lego-Bausteine wirken.
Beim Bau der Fabrik hat es wegen der Absatzkrise im Automobilmarkt zwar Verzögerungen gegeben. Spätestens 2025 sollen in der Fabrik aber pro Jahr 150.000 vornehmlich elektrische Fahrzeuge für den europäischen Markt produziert werden.
Unzählige Städte in Mitteleuropa hatten um die Gunst des Münchener Unternehmens gewetteifert. Immerhin plant BMW, eine Milliarde Euro in das neue Werk zu investieren. Zu Beginn des Suchprozesses durchleuchtete die Beraterfirma KPMG angeblich rund 170 Standorte für BMW. In die Endauswahl gelangten schließlich neben Debrecen das nahe gelegene Miskolc und die slowakische Stadt Kosice. Debrecen habe gewonnen, weil es halt ein kleiner Tiger sei, sagt Zoltan Poser, Chef der lokalen Standortförderung.
Doch in die Freude der Stadt mischen sich auch andere Gefühle. In Debrecen gibt es bereits viele andere Unternehmen aus dem Westen. Und bei denen herrscht Unmut. „In der Stadt gibt es einen großen Mangel an Fachkräften“, sagt Michael Wagner, operativer Chef (COO) von Hoffmann Neopac. Auch Pal Veres, Bürgermeister der im Buhlen um BMW unterlegenen Stadt Miskolc, bestätigt das Problem.
Viele gut ausgebildete Ungarn hätten das Land verlassen – und sie kämen, so sagt Veres, trotz steigender Löhne nicht wieder in großer Zahl zurück. „Unsere Aufgabe ist es, weitere Arbeitgeber anzuziehen, damit die ehemaligen Einwohner zurückkommen, und Arbeitskräfte aus der Region nach Miskolc zu holen.“ Im Nordosten des Landes gibt es nicht mehr viele billige Arbeitskräfte.
BMW könnte bis zu 5000 Arbeitnehmer benötigen
Es ist also der Kampf um billige Arbeiter, der die Produktion in Ungarn erschwert – und in den BMW nun einsteigen dürfte. Hoffmann Neopac etwa beschäftigt in Debrecen rund 200 Mitarbeiter, zehn Prozent der Stellen sind jedoch unbesetzt. Man findet in Debrecen laut Wagner zwar angelernte, aber kaum ausgebildete Fachkräfte. „Ich vermisse das duale Ausbildungssystem, wie es das in Deutschland und in der Schweiz gibt“, sagt er.
Trotzdem drängen nach wie vor viele Unternehmen nach Debrecen, Ungarns zweitgrößter Stadt mit 200.000 Einwohnern. Unzählige internationale Firmen sind bereits präsent, etwa Teva (Generika), Krones (Abfüllanlagen), Thyssen-Krupp (Stahl), Schaeffler (Automotive), Bürkle (Maschinenbau) und das Schweizer Familienunternehmen Neopac (Tuben).
Demnächst werden auch Werke der Züricher Firma Sensirion (Sensoren) und des chinesischen Batterieherstellers Semcorp in Betrieb gehen. Laut Standortförderer Poser werden dann 100 bis 200 Chinesen in die Stadt kommen.
BMW ließ verlauten, dass man in Debrecen 1000 Angestellte beschäftigen werde. Autoexperten sagen hingegen, für eine Fabrik, wie sie BMW plane, benötige man mindestens 2500 Mitarbeiter – wenn nicht noch mehr. In Debrecen ist gar die Rede davon, dass der Autoproduzent 4000 bis 5000 Mitarbeiter anstellen werde.
Wirtschaftsförderer Poser – ganz der Verkäufer – tut Bedenken über einen Kampf um Arbeiter allerdings als unbegründet ab. Je mehr Firmen sich in Debrecen ansiedelten, desto nachhaltiger sei der Aufschwung der Stadt. „Die neuen Unternehmen bringen auch Geschäfte für die bereits in der Stadt anwesenden Unternehmen“, sagt er.
Unternehmen bilden selbst aus
Offenbar lassen sich westliche Firmen vom Arbeitskräftemangel aber ohnehin nicht abschrecken, wobei es gerade im Fall von BMW nicht ganz einfach sein dürfte, irgendwo sonst im Umkreis von 1000 Kilometern von München ein großes, freies Areal zu finden. Debrecen ist flächenmäßig sogar ein wenig größer als die Metropole Wien.
Viele Unternehmen sind dazu übergegangen, die Angestellten selbst auszubilden. Neopac bietet Praktika an, und ein Sprecher von BMW sagt, man wolle mit ansässigen Schulen kooperieren. Mit diesem Anliegen rennen die westlichen Firmen bei den Ausbildungsstätten offene Türen ein. Universitäten und Mittelschulen in Ungarn passen die Lehrgänge immer mehr den Bedürfnissen der Wirtschaft und der Firmen an. „Die Ausbildung ist ein Schlüsselfaktor, um im Wettstreit mit anderen Städten zu gewinnen“, sagt Laszlo Papp, Bürgermeister von Debrecen.
Ungarn und Debrecen locken die Firmen darüber hinaus mit großzügigen Subventionen und Steuerbeihilfen. In der EU hängt es teilweise von der ökonomischen Stärke einer Region ab, in welchem Umfang ein Land Firmenansiedlungen finanziell unterstützen darf. Weil Ostungarn als eine der ärmsten Regionen der EU gilt, erhält eine ansiedlungswillige Firma bis zu 50 Prozent der Projektkosten von der Zentralregierung als Finanzhilfe erstattet. Im vergleichsweise wohlhabenden Kosice, Debrecens slowakischem Konkurrenten im Werben um BMW, liegt dieser Wert bei 25 Prozent.

Der deutsche Autohersteller plant ein Werk in Ungarn. Das stößt bei anderen Unternehmen in der Region auf Unmut.
Darüber hinaus bauen Ungarn und Debrecen großzügig die Infrastruktur rund um die BMW-Fabrik und weitere Industrieareale aus. Es entstehen neue Autobahnanschlüsse, Umgehungsstraßen sowie Bus- und Eisenbahnstationen. Es seien auch diese großzügigen Subventionen, die westliche Firmen trotz des allseits bekannten Fachkräftemangels dazu bewegten, nach Ungarn zu kommen, sagt Sandor Richter, Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.
Ungarn soll dank der ausländischen Investitionen eine konservative Mittelstandsgesellschaft werden, ähnlich wie sie im Westen in den 1950er-Jahren bestand. Das ist das Ziel von Victor Orbán, dem Ministerpräsidenten des Landes.
Politische Interessen im Spiel
Gerade im Fall von Debrecen dürfte die Regierung aber mit ihren Finanzhilfen nicht bloß wirtschaftliche, sondern auch politische Absichten verfolgen. Als Oppositionsbündnisse vor eineinhalb Jahren unter anderem in Budapest und Miskolc die Kommunalwahlen gewannen, war das für Orbán und seine Partei Fidesz eine böse Überraschung. Vor allem mit Budapests grünem Bürgermeister liefern sich der Ministerpräsident und seine Getreuen seither fast ständig Scharmützel.
Debrecen dagegen ist seit über 20 Jahren eine verlässliche Hochburg von Fidesz, und der Regierungspartei wird nachgesagt, die Stadt als Gegengewicht zur unbotmäßigen Hauptstadt nach Kräften zu fördern. Selbst Bürgermeister Papp meint, er finde als Fidesz-Mitglied bei der Zentralregierung in Budapest leichter Gehör als die Kollegen von der Opposition. Bis 2030 will er Debrecen zu einer starken Wirtschaftsmetropole ausbauen; die Bevölkerung soll um rund 30.000 Personen steigen.
Noch macht Debrecen aber nicht den Eindruck einer bunten Metropole, auch wenn es beeindruckende neue Bauten gibt wie das elegante Fußballstadion mit seinen VIP-Lounges. Hochqualifizierte Arbeitskräfte, welche die Möglichkeit haben, in München, London oder Zürich zu arbeiten, wird es in naher Zukunft denn auch kaum nach Debrecen verschlagen.
Im Vergleich mit den großzügig bemessenen Industriearealen wirkt vor allem die Verkehrsinfrastruktur der weitläufigen Stadt noch sehr unterentwickelt.
So gibt es in Debrecen, dessen Kernstadt eine Bevölkerungszahl aufweist wie eine kleinere Großstadt in Deutschland, bloß zwei Straßenbahnlinien. Derzeit kann man sich nur schwer vorstellen, wie die vielen Angestellten in die Fabriken und Büros am Stadtrand gelangen sollen, ohne dass sich in den Stoßzeiten der Verkehr staut.
Unruhe auch in der Bevölkerung
Papp verspricht, solche Probleme im Rahmen des Projekts „Debrecen 2030“ anzugehen. Der Bürgermeister muss aktiv werden, sonst besteht die Gefahr, dass in der Bevölkerung Unruhe aufkommt. „Viele Einwohner fragen sich, wo all die Leute denn wohnen sollen und welche Schulen die Kinder besuchen werden“, sagt der einheimische Journalist Zsolt Porcsin. Auch die steigenden Mieten sind ein Thema in der Stadt.
Porcsin stört, dass die Stadtregierung die geplante Entwicklung von Debrecen gleichsam als alternativlos darstellt und von oben diktiert. Gesprächspartner schauen mit einer gewissen Wehmut in die Vergangenheit. Früher waren die Industriebetriebe der Stadt darauf spezialisiert, Landwirtschaftsprodukte aus der Region zu verarbeiten, beispielsweis Fleisch. E-Autos waren damals bestenfalls ein futuristisches Produkt. Doch von den Nahrungsmittelherstellern hat fast keiner überlebt.
Mehr: Nach Bruch mit EVP: Orbán strebt Bündnis mit rechtsnationalen Kräften an.
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Was will der Autor uns mitteilen? Dass Orban böse ist und für eine Industrieansiedlung Subventionen erhält? Dass ungarische Arbeitnehmer Ungarn verlassen haben - weil sie im Ausland mehr verdienen - und jetzt vielleicht nach Ungarn zurückkehren und dort höhere Löhne als bislang - zum Leidwesen von westeuropäischen Unternehmen vor Ort - fordern könnten?
Und was passiert in Deutschland , zB Tesla in Brandenburg, wo Subventionen ohne Ende vergeben werden?
Eine etwas ausgewogenere Berichterstattung wäre hilfreich -- oder ist das schon Zuviel verlangt für eine Wirtschaftszeitung? Um ein politisches Magazin zu lesen, braucht es das Handelsblatt nicht.