Außenpolitik In 90 Minuten um die Welt: Kanzlerkandidaten streiten über Mali, China und Orbán
Berlin Außenpolitik spielte im beginnenden Bundestagswahlkampf bislang kaum eine Rolle. So war es auch kein Wunder, dass die erste außenpolitische Debatte zwischen den drei Kanzlerkandidaten am späten Samstagnachmittag abseits der großen Fernsehsender vom Nischenkanal „Phoenix“ übertragen wurde, während zeitgleich ein Achtelfinale der Fußballeuropameisterschaft lief.
Deutschland müsse „weltpolitikfähig“ werden, hatte Armin Laschet vorab gefordert. Diesem Anspruch wurden dann in dem von der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) organisierten „Triell“ weder der CDU-Spitzenmann noch seine Rivalen Annalena Baerbock von den Grünen und Olaf Scholz von der SPD gerecht.
Das lag vor allem daran, dass sich Laschet und Scholz kaum aus dem langen Schatten von Angela Merkel wagten, während Baerbock „Deutschlands gewachsene Rolle in der Welt“ zwar engagierter annahm, aber nicht widerspruchsfrei ausfüllen konnte.
Dabei gab es genug Zündstoff für eine kontroverse Debatte: Das ungeklärte Verhältnis zu China, der Selbstmordanschlag auf Bundeswehrsoldaten in Mali und der gerade zu Ende gegangene EU-Gipfel boten reichlich Gelegenheit, sich außenpolitisch zu profilieren. „Deutschland steht vor einer Zeitenwende“, betonte MSC-Chef Wolfgang Ischinger gleich zu Beginn angesichts der vielen internationalen Konflikte.
Eine Umfrage der Köber-Stiftung hatte im Vorfeld offenbart, dass die Deutschen in der Außenpolitik besonders Erfahrung schätzen – dem auf internationaler Bühne bekannten Finanzminister Scholz trauen 29 Prozent die größte Kompetenz zu, NRW-Chef Laschet konnte 23 Prozent der Befragten überzeugen, Baerbock, noch gänzlich ohne Regierungserfahrung, trauen nur 13 Prozent zu, das Land in der Welt kompetent zu vertreten.
Olaf Scholz gibt den Staatsmann
Entsprechend hatten sich die drei Kandidaten in dem kühlen Ambiente des TV-Studios in Sichtweite des Reichstags ihre Rollen zurechtgelegt: Scholz gab den welterfahrenen Staatsmann, der mit vielen Regierungschefs schon über die großen Fragen der Weltpolitik diskutiert hat. Laschet versuchte sich als „Merkel 2.0“, indem er in fast allen Grundsatzfragen ein „Weiter so“ der merkelschen Ausgleichspolitik predigte. Und Baerbock zeigte angriffslustig, dass dies nicht reichen wird, wenn Deutschland wirklich „weltpolitikfähig“ sein will.
Alle drei Kandidaten betonten pflichtgemäß die transatlantische Wertegemeinschaft mit den USA, forderten zugleich aber eine eigenständigere Rolle Europas. So waren sich Baerbock, Scholz und Laschet einig, dass sie sich im Kanzleramt für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen über außenpolitische Fragen in der EU einsetzen würden. Bislang müssen in der Gemeinschaft die außen- und sicherheitspolitischen Themen einstimmig entscheiden werden.
Ischinger und Co-Moderatorin Tina Hassel von der ARD holten sich bei den Streitfragen Schützenhilfe aus dem Ausland: So fragte der ehemalige US-General David Petraeus per Videobotschaft, ob die nächste deutsche Regierung bereit sei, mehr militärische Lasten zu übernehmen.
Hier taten sich alle drei Kandidaten schwer, verwiesen auf die vielen Auslandsmissionen der Bundeswehr und mussten am Ende einräumen, dass Deutschland auch bis 2025 nicht wie verabredet zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die eigene Verteidigung ausgeben werde.
Armin Laschet und Annalena Baerbock geraten aneinander
Meinungs- und Kompetenzunterschiede wurden dann aber bei der Frage nach künftigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr deutlich: Während Scholz sich um die Gesundheit der Soldaten in Mali sorgte und Laschet die Beschaffung von Drohnen forderte, konnte Baerbock hier mit Fachwissen punkten: Die UN-Mission zur Stabilisierung des afrikanischen Landes sei richtig, die Ausbildungsmission der EU lehne sie ab, weil davon auch Diktatoren profitieren könnten. „Deutschland braucht eine klare Haltung bei solchen Einsätzen“, forderte die Kanzlerkandidatin der Grünen.
Laschet und Baerbock gerieten sich auch beim Thema Ungarn in die Haare. Während der CDU-Kandidat darauf beharrte, den wegen seiner autoritären Regierung stark in die Kritik geratenen ungarischen Premier Victor Orbán weiterhin in die EU einzubinden, zeigte Baerbock auch hier klare Kante und forderte, den Ungarn den Geldhahn zuzudrehen. Scholz und Laschet bezweifelten, dass dies rechtlich möglich sei.
Streit über China und Russland
Die vielleicht bedeutendsten Differenzen zeigten sich beim künftigen Umgang mit den „Systemrivalen“ China und Russland. Laschet blieb hier fest auf Merkel-Linie: Bei allen Wertunterschieden müsse man weiter mit Peking sprechen. China sei ein wichtiger Wirtschaftspartner für Deutschland. Baerbock wollte sich damit nicht zufriedengeben und verlangte neben dem Dialog mehr „Härte“: zum Beispiel durch ein Importverbot für Produkte, die in China durch Zwangsarbeit gefertigt werden.
Eine Haltung, die durchaus von der Mehrheit der Bundesbürger geteilt wird. So sind nach der Körber-Umfrage 76 Prozent der Deutschen bereit, EU-Sanktionen gegen China mitzutragen. Nur 18 Prozent finden, die Wirtschaftsbeziehungen sollten Vorrang haben. Trotz dieses Rückhalts blieb Baerbock die Antwort auf die Frage schuldig, wie sie mit ihrer Formel aus „Dialog und Härte“ Peking für mehr Klimaschutz gewinnen will.
Zwei zu eins lautetet das Urteil der Kandidaten über den Weiterbau der umstrittenen russischen Gaspipeline Nord Stream 2: Laschet und Scholz sind dafür. Nur wenn der russische Präsident Wladimir Putin sich nicht an die Absprachen halte, werde man die Pipeline wieder stilllegen, versprachen die beiden Großkoalitionäre. Baerbock ist strickt dagegen und will das Projekt auf den letzten Metern noch stoppen.
Die letzte Frage machte alle drei Kandidaten zunächst sprachlos: Was sie an ihren Konkurrenten am meisten schätzen würden, wollten die Moderatoren wissen. Baerbock wurde für ihren engagierten Idealismus gelobt, Laschet für seine rheinische Standfestigkeit und Scholz für seinen ruhigen Pragmatismus. Der nächste Kanzler oder die nächste Kanzlerin wird vermutlich alle drei Eigenschaften brauchen, um „weltpolitikfähig“ zu werden.
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