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Weltgeschichten unserer Korrespondenten

Weltgeschichte Russischer Ska-Sänger will jetzt in der Politik mitmischen

Vom Underground in die Politik: Der Ska-Musiker Sergej Schnurow bringt eine Kleinpartei auf Trab. Von Gegnern wird er schon als Kremlmarionette kritisiert.
23.02.2020 - 15:01 Uhr Kommentieren
Der Frontmann der russischen Band „Leningrad“ (auf Russisch im Hintergrund) singt oft vulgäre Zeilen. Quelle: ddp/Peter Kovalev/TASS/Sipa USA
Ska-Sänger Sergej Schnurow

Der Frontmann der russischen Band „Leningrad“ (auf Russisch im Hintergrund) singt oft vulgäre Zeilen.

(Foto: ddp/Peter Kovalev/TASS/Sipa USA)

Moskau Vor ein paar Jahren sagte er noch: „Wenn in Russland etwas verboten ist, heißt es nicht, dass man es nicht machen darf. Es heißt nur, dass es etwas teurer wird.“ Jetzt will er selbst in der Politik aktiv werden. Der Frontmann der beliebten russischen Skacore-Band „Leningrad“ ist überraschend in die „Partei des Wachstums“ eingetreten. Schnurow und seine Band sind vor allem für provokative Zeilen und vulgäre Sprache bekannt. Der Musiker verspricht, dass es mit ihm „auf jeden Fall lustiger“ werde.

Die Partei von Milliardär Boris Titow bezeichnet sich selbst als Vertreter des Klein- und Mittelstandes und als gemäßigt oppositionell. Doch gilt sie als Kremlprojekt. Nicht nur weil Titow als Putins Ombudsmann für die russische Wirtschaft arbeitet, sondern auch weil bereits ihre Vorgängerpartei „Rechte Sache“ in den Hinterzimmern des Kremls erschaffen wurde, um den liberalen Teil der Russen zu binden.

Musikalisch steht Leningrad seit mehr als 20 Jahren für die Lust an der Provokation. Und das durchaus erfolgreich. Sergej Schnurow schlug sich vor seiner Künstlerkarriere als Wächter im Kindergarten, als Glaser, als Schmied, als Tischler und als Designer in einer Werbeagentur durch. Einst im russischen Underground, ist er heute einer der bekanntesten Musiker Russlands, und laut Forbes einer der bestbezahlten.

Zwischen Juni 2017 und Mai 2018 hat er demnach 13,9 Millionen Dollar verdient – nur unwesentlich weniger als Russlands Eishockeystar Alexander Owetschkin, aber wesentlich mehr als etablierte Schlagerstars wie Filip Kirkorow oder Dima Bilan.

In Deutschland wurde er durch die Russendisko-Veranstaltungen von Wladimir Kaminer bekannt. Aber er füllt auch in New York, Paris oder Sydney die Hallen – vorwiegend natürlich mit russischsprachigen Expats. Leningrad polarisiert. Ihre Fans begeistert die Band mit einem Mix aus verschiedenen Stilrichtungen von Ska und Rock über russische Folklore bis hin zu Hip-Hop, vor allem aber mit der anarchischen Sprache.

Satiriker mit Fäkalsprache

Gespickt mit Schimpfwörtern destilliert Schnurow darin den oft schwierigen Alltag der Russen. Seine Gegner stören sich hingegen an den schmutzigen Ausdrücken des 46-Jährigen. Wegen der Fäkalsprache hatte Schnurow auch jahrelang ein Auftrittsverbot in Moskau. Thematisierte er in den Anfangsjahren fast ausschließlich Wodka und Frauen, so hat er sein Repertoire inzwischen deutlich erweitert. Mit harten Worten und feiner Ironie verhöhnt er die Falschheit russisch-orthodoxer Priester, die Gier von Politikern oder die Ignoranz und Verbohrtheit vieler Bürger.

Auch auf die Politik von Kremlchef Wladimir Putin richtete er zuletzt in Gedichtform scharfe Breitseiten. Als Regimegegner taugt Schnurow allerdings nicht. Eher als Hofnarr, der auch mal die Wahrheit sagen darf. Denn seine Kritik ist stets richtig dosiert – und nie fundamental.

Selbst hat Schnurow dabei stets sein Interesse an der Politik geleugnet. Umso überraschender ist sein plötzlicher Eintritt in Partei des Milliardärs Titow. Populär war die Partei nie, einzig Milliardär Michail Prochorow gelang als deren Spitzenkandidat bei der Präsidentenwahl 2012 ein Achtungserfolg, als er auf der Protestwelle surfend überraschend Dritter wurde.

Das war es aber auch. Titow selbst holte 2018 bei den Präsidentenwahlen weniger als ein Prozent. Eine wohl im Kreml abgesprochene Kandidatur, die einzig darauf zielte, die Wahlbeteiligung etwas anzuheben und das liberale Lager zu spalten.

Eine ähnliche Rolle spielte damals auch die TV-Moderatorin Xenia Sobtschak, die sich als Oppositionsaktivistin präsentierte, aber durch ihre mit Putin abgesprochene Teilnahme an der Präsidentenwahl den geplanten Wahlboykott der Opposition unterhöhlte. Schnurow machte sich damals über Sobtschak lustig. Die revanchierte sich nun und kommentierte, Schnurows Parteibeitritt sei der Beweis, dass seine Häme damals nur Neid gewesen sei.

Schnurows plötzlicher Gang in die Politik ruft Spekulationen hervor: Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny sieht darin einen Versuch des Kremls, die Duma-Wahlen 2021 zu manipulieren. Schnurow habe seine Fans, aber auf mehr als vier Prozent werde die „Partei des Wachstums“ auch mit ihm nicht wachsen.

Wegen der Fünfprozentklausel werde sie daher nicht ins Parlament einziehen, wovon die Kremlpartei „Einiges Russland“ als voraussichtlich stärkste Partei am meisten profitiere, da sie so weniger Prozent brauche, um die Sitzmehrheit zu erzielen, argumentierte Nawalny.

Der Künstler Schnurow kommentierte den Wirbel um sein politisches Engagement in gewohnt vulgär-doppeldeutiger Manier: „Ich bin nicht das erste Mal Mitglied und gewohnt, fremde Hintern in Anspannung zu versetzen“, schrieb er. Er dementierte, dass die Kremlverwaltung hinter seinem Parteieintritt stecke. Er habe die Entscheidung aus eigenem Antrieb getroffen, sagte er, ohne aber seine Motivation offenzulegen.

Eine Kandidatur bei der Duma-Wahl schloss er zumindest nicht aus. Lustig werden dürfte der Wahlkampf dann allemal. Vor allem wenn der Kandidat Schnurow in seiner Kampagne das Lied abspielt, das er vor Jahren in der Komödie „Wahltag“ selbst gesungen hat: Das endet mit der Bemerkung, dass er nicht wählen gehe, weil „alle Kandidaten Päderasten“ seien.

Mehr: Wie eine Weltmeisterin zu Putins Verfassungsexpertin wurde

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