Bedrohte Meinungsfreiheit „Die Medien sollten polnisch sein“ – Wie regierungskritische Journalisten in Polen drangsaliert werden

Der Vorsitzende der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) setzt unliebsame Medien vor allem wirtschaftlich unter Druck.
Warschau Die Fußball-Europameisterschaft hat in Polen Emotionen geweckt, die weit über die andernorts übliche Fankultur hinausgehen. Als die Boulevardzeitung „Fakt“ die inzwischen ausgeschiedene heimische Mannschaft mit der Schlagzeile „Gebt uns heute Grund zum Stolz“ anfeuerte, regten sich bei Twitter-Kommentatoren nationalistische Gefühle.
„Eure Mannschaft spielt morgen“, hieß es zum Beispiel in dem Kurznachrichtendienst. Mit „eure Mannschaft“ war die deutsche Nationalelf gemeint. Denn die Zeitung „Fakt“ gehört zur deutsch-schweizerischen Firma Ringier Axel Springer Media (RAS).
Das macht sie bei Nationalisten verdächtig: Obwohl RAS mittlerweile indirekt gar den amerikanischen Private-Equity-Fonds KKR als Miteigentümer hat, verunglimpfen Nationalisten die Publikation als von deutschen Interessen gesteuert. Und: Polens Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) schürt solche Verdächtigungen noch.
Polen ist ein gespaltenes Land: Stadt gegen Land, gut ausgebildete Millennials gegen Rentner an der Armutsgrenze, liberales Denken gegen katholisch-konservative Haltung oder eben „wahres“ Polentum gegen ausländische Unterwanderung. Fronten gibt es viele, und der Ton der Auseinandersetzung ist hitzig. Er wird sich wohl noch verschärfen, je näher die nationalen Wahlen 2023 rücken.
Mittendrin stehen die Medien, von denen viele gegen alle Widrigkeiten für eine liberale Gesellschaft kämpfen. Wie in Westeuropa setzen ihnen im Werbegeschäft die Tech-Firmen zu; zusätzlich stehen sie aber seitens der Politik unter teilweise enormem Druck.
Dutzende Verleumdungsklagen
Keine andere bedeutende Zeitung steht zur Regierung in so heftiger Opposition wie die „Gazeta Wyborcza“, eine sozialliberale Publikation in einheimischem Besitz. Minister und regierungsnahe Kreise haben das Blatt in den vergangenen Jahren laut dem stellvertretenden Chefredakteur Bartosz Wielinski mit Dutzenden von Verleumdungsklagen eingedeckt. „Wir haben jedoch 99 Prozent der Fälle vor Gericht gewonnen“, sagt er.

Die regierende Partei PiS strebt die „Repolonisierung“ der Presse an.
Allerdings kosten solche Auseinandersetzungen kritischen Verlagen Geld und lähmen das Geschäft. „Die Medien müssen einfach bis zu den Wahlen überleben“, sagt Wielinski. Das ist ein wenig übertrieben, denn unmittelbar am Abgrund stehen die unabhängigen Medien in Polen nicht – weder die in ausländischer Hand noch die einheimischen.
Aber die PiS übt auf den Sektor vielfältigen Druck aus. „Die Medien sollten polnisch sein“, hat deren Chef Jaroslaw Kaczynski wiederholt erklärt. Der Regierung missfällt es zutiefst, dass ausländische Unternehmen im Land eine Rolle im politischen Journalismus spielen.
Sie sind zwar längst nicht so mächtig, wie die PiS behauptet, decken aber ein breites publizistisches Spektrum ab. So gehört nicht nur „Fakt“ zu RAS, sondern auch die erfolgreiche Onlinezeitung „Onet“ und die polnische „Newsweek“-Ausgabe. Zudem betreibt die amerikanische Discovery-Gruppe den Fernsehkanal TVN.
Für viele politisch interessierte Polen ist er eine willkommene Alternative zum öffentlich-rechtlichen Sender TVP, den die PiS-Regierung nach ihrer Machtübernahme im Jahr 2015 von missliebigen Journalisten „gesäubert“ hat.
Katholisch-konservative Kreise gestärkt
Die Eingriffe in den Medienmarkt beschränkten sich allerdings nicht auf TVP. Aus Sicht der PiS haben ausländische Konzerne nicht nur zu viel Macht im Land, sie glaubt auch, dass katholisch-konservative Kreise in den Medien generell nicht so ausgiebig zu Wort kommen, wie es ihnen angeblich zusteht. „Dieses Milieu ist tatsächlich unterrepräsentiert“, sagt selbst Boguslaw Chrabota, Chefredakteur der bürgerlich-liberalen Zeitung „Rzeczpospolita“.
Als der teilstaatliche Mineralölkonzern Orlen im Dezember 2020 die Medienfirma Polska Press kaufte, war deshalb allen klar, dass dies kein rein wirtschaftliches Unterfangen war. Vielmehr passte das Sammelsurium von 20 Regionalzeitungen und über hundert Wochenblättern, das zuvor der deutschen Verlagsgruppe Passau gehört hatte, zur Strategie der „Repolonisierung“ des Mediensektors. Die wirtschaftlich schwachen Blätter sind vor allem in Kleinstädten und auf dem Land vertreten. Dort befindet sich auch die Machtbasis der PiS.
Gleichzeitig ist die Mineralölgruppe Orlen, deren Chef Daniel Obajtek ein Vertrauter von Kaczynski ist, für die Regierung ein Instrument, um die Medienbranche wirtschaftlich zu beeinflussen.
Das hängt damit zusammen, dass das Unternehmen auch im Zeitungsvertrieb eine starke Stellung besitzt: Es betreibt nicht nur Tankstellen, wo Zeitungen und Zeitschriften verkauft werden: Ihm gehört seit vergangenem November auch die Kioskkette Ruch. Diese war in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und musste aufgefangen werden.
Selbstverständlich befürchten regierungskritische Zeitungen nun, sie würden im Vertrieb benachteiligt. Harte Beweise dafür haben sie allerdings noch keine. Dazu kommt eine weitere Sorge: Orlen schaltet fast ausschließlich in regierungsfreundlichen Zeitungen Anzeigen und schneidet die kritischen Publikationen weitgehend.
Diese zweifelhafte Form der Presseförderung ist ein Übel Polens und geht über Orlen hinaus. Der Staat ist nämlich nicht nur bei Orlen Großaktionär, sondern auch bei Banken, Versicherungen und weiteren Energiefirmen. Indirekt kann er also große Mengen von Anzeigen steuern – und diese Unsitte hat beileibe nicht die jetzige Regierung erfunden.
„Die teilstaatlichen Firmen werden für politische Zwecke gemolken“, sagt Chrabota von „Rzeczpospolita“. Bevor die PiS an die Macht gekommen sei, habe davon auch die „Gazeta Wyborcza“ profitiert. Heute geht sie weitgehend leer aus.
Die PiS habe nach der RegieruRedangsübernahme die Werbeaufträge gestrichen, ohne die Kündigungsfrist einzuhalten, bestätigt Wielinski, der stellvertretende Chefredaktor der „Gazeta Wyborcza“. „Kaczynski hat sich an der Zeitung gerächt, weil wir vor ihm gewarnt haben.“
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Bald schon ungarische Zustände?
Angesichts solcher Entwicklungen fürchten manche Beobachter, dass sich die Zustände in Polen jenen in Ungarn schleichend annähern. In Ungarn gehören viele ehemals private Zeitungen einer staatsnahen Stiftung. Mit einer regierungskritischen Berichterstattung ist es nicht mehr weit her. Vor allem ausländische Kreise prophezeien, dass die Pressefreiheit auch in Polen immer mehr erodieren werde.
Einheimische Journalisten sehen die Situation hingegen differenzierter. „Die polnische Gesellschaft ist nicht so schwarz-weiß, wie die Regierung sie darstellt“, sagt Lukasz Lipinski, stellvertretender Chefredakteur des Magazins „Polityka“.
Im Land gebe es eine vielfältige Zivilgesellschaft. Ähnlich sieht es Chrabota. „Die Regierung mag davon träumen, den unabhängigen Journalismus zu zerstören“, sagt er. „Die Verhältnisse sind aber komplizierter.“
Mit einer Justizreform übt die Regierung zwar großen Druck auf die Richter aus, aber längst nicht alle von ihnen haben ihre Unabhängigkeit verloren. Das hilft den Medien in Konflikten mit dem Staat, etwa bei Verleumdungsklagen.
Gleichzeitig arbeiten die Journalisten unter einer Art amerikanischem Schutzschirm: Sie profitieren davon, dass US-Investoren mit Discovery und RAS gleich an zwei Medienunternehmen beteiligt sind.
Seit Joe Biden den Republikaner Donald Trump im Präsidentenamt abgelöst hat, ist das Verhältnis der beiden Länder zwar nicht mehr so eng. „Wenn die polnische Regierung aber auf jemanden hört, dann sind das die USA“, sagt ein Medienmanager.
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