Bekämpfung der Pandemie Streit zwischen USA und China lähmt die Weltgesundheitsorganisation

Der WHO-Generaldirektor steht unter Druck. Vor allem aus den USA kommt harsche Kritik.
Genf, Berlin Chinas Staatschef brachte eine üppige Zusage mit. Bei der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kam Xi Jinping als einer der ersten Redner zu Wort und kündigte an, zwei Milliarden Dollar für die Unterstützung ärmerer Länder in der Corona-Pandemie bereitzustellen.
„Solidarität und Zusammenarbeit sind die stärksten Waffen, um das Virus zu besiegen“, sagte Xi in einer Videobotschaft. Die Weltgesundheitsversammlung ist das höchste Gremium der WHO, wegen der Pandemie findet die Tagung am Montag und Dienstag als Onlinekonferenz statt.
Die Organisation der Vereinten Nationen könnte im Kampf gegen das Coronavirus und bei der gemeinsamen Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten eine zentrale Rolle spielen. Stattdessen überlagert der Streit zwischen den USA und China über die Schuldfrage bei der Pandemie die Beratungen.
US-Präsident Donald Trump wirft der Regierung in Peking vor, den Ausbruch in der chinesischen Millionenstadt Wuhan anfänglich vertuscht und die rasante Ausbreitung des Erregers auf der Erde so erst ermöglicht zu haben. China habe die WHO dabei als „PR-Agentur“ genutzt.
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Trump hat seine unternehmerische und politische Karriere auf bombastischer Eigenvermarktung aufgebaut. Wenn es in der Coronakrise um PR auf der Weltbühne geht, überlässt der US-Präsident aber den Chinesen das Feld. Xi erklärte in der Videobotschaft, sein Land habe „mit Liebe und Mitgefühl“ auf das gefährliche Virus reagiert, mit „Offenheit“ und „Transparenz“ die Welt informiert.
Während der chinesische Staatschef auf prominentem Platz als großzügiger Geldgeber seine Sichtweise präsentieren konnte, stand der Redebeitrag aus Washington erst am späteren Nachmittag an. Da kein Vertreter aus der ersten politischen Reihe sprechen sollte, landeten die Vereinigten Staaten hinten auf der Rednerliste. So sehen es die diplomatischen Gepflogenheiten vor.
Besonders gern gesehen sind die Vereinigten Staaten ohnehin nicht, seit Trump im April die Zahlungen an die WHO stoppte. US-Gesundheitsminister Alex Azar nutzte sein Statement dafür, die Kritik an der WHO und an China zu bekräftigen. Angela Merkel lief dagegen im Hauptprogramm.
Die Bundeskanzlerin versuchte in ihrer Videoansprache, trotz der angespannten geopolitischen Lage für Zusammenarbeit zu werben. „Diese Krise kann kein Land allein lösen, wir müssen gemeinsam handeln“, sagte sie. Die WHO sei „die legitimierte globale Institution, bei der die Fäden zusammenlaufen“.
Es gehe um das „globale Gemeinwohl“, die Entwicklung von bezahlbaren und für alle zugänglichen Therapien und Impfstoffen. „Ich bin überzeugt, dass wir die Coronavirus-Pandemie überwinden werden“, sagte die Kanzlerin. „Je mehr wir global gemeinsam daran arbeiten, umso schneller und besser wird uns das gelingen.“
Spahn: Unabhängiger werden
Deutschland bemüht sich zusammen mit anderen europäischen Ländern darum, eine Impfstoff-Initiative zu starten. Die Kräfte sollen bei der Forschung sowie der Zulassung und Produktion geeigneter Mittel gegen das Coronavirus gebündelt werden. Am Montag beriet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nach Informationen des Handelsblatts in einer Telefonkonferenz mit seinen Kollegen aus Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden über die Pläne.
Deutschland und Frankreich streben auch eine Reform der WHO an. Spahn erklärte, die Organisation müsse „unabhängiger werden vom Einfluss einzelner Staaten“. Welche Länder übermäßigen Einfluss ausüben, sagte Spahn nicht. Auch Merkel vermied es in ihrer Videobotschaft am Montag, sich in die Auseinandersetzung zwischen Peking und Washington einzuschalten.
Allerdings werden die Rufe, die Rolle der WHO und Chinas in der Pandemie aufzuarbeiten, auch außerhalb der USA immer lauter. Die EU-Staaten hatten für die Weltgesundheitsversammlung einen Resolutionsentwurf erarbeitet, in dem eine „unparteiische, unabhängige und umfassende Überprüfung“ der WHO-Reaktion auf das Virus gefordert wird. Der Entwurf hatte im Vorfeld die Unterstützung einer Mehrheit der WHO-Mitgliedsländer.
Eine solche Untersuchung solle zum frühestmöglichen Zeitpunkt starten, kündigte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag zu Beginn der virtuellen Jahresversammlung der Genfer Organisation an.
Im Gespräch war außerdem eine abgeschwächte Fassung der Resolution, die auch China und die USA mittragen könnten. Xi zeigte sich in seiner Ansprache offen für eine Untersuchung, die „objektiv und fair“ bleibe. Bestandteil des Resolutionsentwurfs ist außerdem das Ziel, einen zeitnahen und gerechten Zugang zu sicheren und wirksamen Diagnostika, Medikamenten und Impfstoffen gegen das Coronavirus zu gewährleisten.
Menschenrechtler kritisieren China
Die WHO hat in der Coronakrise an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Die Organisation zögerte lange, einen internationalen Gesundheitsnotstand auszurufen. Mitgliedsländern riet man, den Reiseverkehr und den Warenaustausch mit China aufrechtzuerhalten – was im wirtschaftlichen Interesse Pekings lag.
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus überschüttete die chinesische Regierung mit Lob, als es längst Zweifel an deren Coronapolitik gab. Noch Ende Januar versicherte er: „China setzt derzeit neue Maßstäbe bei der Reaktion auf einen Ausbruch.“ Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) weist dagegen darauf hin, dass chinesische Behörden in der Frühphase des Ausbruchs viele Warner wie den Arzt Li Wenliang mundtot machten.
China habe Nachrichten unterdrückt und rücksichtslos zensiert. „Wenn China eine offene Berichterstattung zugelassen hätte, wäre die Pandemie möglicherweise zu vermeiden gewesen“, so HRW-Chef Kenneth Roth.
UN-Generalsekretär António Guterres verlangte ebenfalls Antworten auf die Fragen, woher das neuartige Coronavirus ursprünglich gekommen ist und wie es sich mit so verheerenden Auswirkungen und so schnell über die Welt ausbreiten konnte. Zugleich machte er in seiner Ansprache deutlich, dass gegenwärtig „nicht der richtige Zeitpunkt“ für eine Untersuchung sei. Jetzt müsse die Welt zunächst solidarisch zusammenarbeiten, um das Virus zu stoppen. WHO-Chef Tedros versprach eine Untersuchung „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“.
Ein anderes kontroverses Thema wurde bei der WHO-Konferenz vorerst abgeräumt: Die USA hatten verlangt, dass Taiwan als Beobachter an der Weltgesundheitsversammlung teilnehmen darf – eine weitere Spitze aus Washington gegen China, das den Inselstaat als abtrünnige Provinz betrachtet. Nun soll erst bei einem späteren WHO-Treffen im Laufe dieses Jahres über die Taiwan-Frage entschieden werden.
Mehr: Die Corona-Pandemie offenbart das Versagen der Weltgemeinschaft
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