Brasilien Bolsonaro nach Kabinettumbau unter Druck – Spitzen des Militärs treten zurück

Bolsonaro nahm den erzwungenen Rücktritt seines Außenministers quasi zum Anlass für einen größeren Umbau.
Brasília Die Kommandeure aller drei Teilstreitkräfte Brasiliens sind geschlossen zurückgetreten. Dies teilte das Verteidigungsministerium am Dienstag mit. Die Abgänge der Generäle von Heer, Luftwaffe und Marine folgten auf die Entscheidung von Präsident Jair Bolsonaro, angesichts zunehmender Kritik wegen des fehlenden Krisenmanagements in der Corona-Pandemie die Spitzen von sechs Ministerien neu zu besetzen.
Im Rahmen der Kabinettsumbildung will Bolsanero auch seinen bisherigen Verteidigungsminister Fernando Azevedo e Silva austauschen. Silva schrieb in seinem Rücktrittsschreiben, dass er den Status der „Streitkräfte als staatliche Institution gewahrt“ habe. Der Satz wurde als Verweis auf seine Bemühungen gewertet, die Generäle aus der Politik herauszuhalten.
Die jüngste Entwicklung löste die Sorge vor einem Personalumbruch im Militär aus, der den politischen Interessen Bolsonaros dienen könnte. Der ultrakonservative Ex-Armeehauptmann fiel oft mit Lobeshymnen auf Brasiliens Phase der Militärdiktatur auf. Bei der Besetzung von Schlüsselstellen in seinem Kabinett verlässt sich der Staatschef seit seinem Amtsantritt im Januar 2019 zudem stark auf aktuelle und frühere Soldaten. Das Militär selbst habe sich aber bisher aus der Politik herausgehalten, erklärte Carlos Melo, Politologe an der Insper-Universität in São Paulo. „Wird dieser Widerstand anhalten? Das ist die Frage.“
Auch Außenminister Ernesto Araújo gehört zu den Abgängen, ebenso wie der Karrierediplomat Carlos Alberto Franco França und der General Walter Souza Braga Netto, bisher „Chefe da Casa Civil“, vergleichbar mit dem Kanzleramtschef.
Der Umfang der Umbildung kam für viele Beobachter überraschend: Weder Bolsonaro noch die meisten Minister hatten darauf Hinweise gegeben. Nur der Abschied von Außenminister Araújo hatte sich zuletzt angedeutet.
Araújo, der zum ideologischen Flügel der Regierung des Rechtspopulisten Bolsonaro zählt, war vor allem nach einem Treffen mit den Präsidenten von Senat und Kongress in der vergangenen Woche unter Druck geraten. Am Dienstag vergangener Woche hatte Brasilien erstmals über 3000 Corona-Tote in 24 Stunden registriert. Am Mittwoch überschritt das größte Land in Lateinamerika die Marke von 300.000 Corona-Toten insgesamt.
Dem Außenminister wurde vorgeworfen, Brasilien auf der internationalen Bühne isoliert und das Land in eine schlechte Position gebracht zu haben, um Impfstoffe zu erwerben. So zettelte Araújo Überwerfungen mit wichtigen Handelspartnern wie China an - das Land, von dem Brasilien Arzneistoff für die Produktion von Corona-Impfstoff importiert.
Mit dem Umbau machte Bolsonaro dem „Centrão“ Zugeständnisse
Bolsonaro nahm den erzwungenen Rücktritt seines Außenministers quasi zum Anlass für einen größeren Umbau. Und dafür, um zum einem dem „Centrão“ - kleine und kleinste Parteien, die ihre Unterstützung gegen Ämter und Posten tauschen - Zugeständnisse zu machen.
Im Wahlkampf hatte er versprochen, nicht vor der „alten Politik“ des „dort zu nehmen, hier zu geben“ zu kapitulieren. Doch der Präsident der Abgeordnetenkammer, Arthur Lira, der auch Chef des „Centrão“ ist, hatte den Ton - auch mit Blick auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten - in der in Brasilien außer Kontrolle geratenen Corona-Pandemie verschärft.
Zum anderen will Bolsonaro laut Stimmen aus dem politischen Brasília mehr Einfluss auf das Militär bekommen. Der damalige Verteidigungsminister Azevedo hatte sich demnach geweigert, die Politik Bolsonaros zu unterstützen.
Der Präsident soll in der vergangenen Woche erneut haben durchblicken lassen, dass er die Unterstützung des Militärs wollte, um wegen des Lockdowns, den Bundesstaaten und Städte ausgerufen hatten, Notstandsmaßnahmen zu verhängen.
Einen Lockdown lehnt Bolsonaro aus wirtschaftlichen Gründen ab. Die Spitzen von Armee, Luftwaffe und Marine trafen sich Medienberichten zufolge am Dienstag mit dem neuen Verteidigungsminister Braga Netto. Es wurde spekuliert, dass sie in der Gefolgschaft von Azevedo ihren Rücktritt anbieten.
Mehr: Wie Brasiliens Präsident in die chinesische Falle tappte.
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