Brexit Die EU-Handelsgespräche mit Großbritannien stehen vor dem Endspurt

Der britische Regierungschef hat bereits beim Ausstiegsvertrag bewiesen, dass er selbst eine Verhandlungsniederlage als Erfolg verkaufen kann.
London Die Freihandelsgespräche zwischen der EU und Großbritannien gehen in die entscheidende Phase. Am Dienstag beginnt der Endspurt in Brüssel, bis Ende September wird nun durchgehend verhandelt. Dann muss es eine Einigung geben – oder das Königreich scheidet am Ende des Jahres ohne Abkommen aus dem europäischen Binnenmarkt und der Zollunion aus.
Der Frust auf beiden Seiten ist groß. In den zentralen Streitfragen Staatshilfen und Fischerei liegen die Positionen immer noch weit auseinander. Nach der sechsten Verhandlungsrunde Ende Juli hatte EU-Chefunterhändler Michel Barnier deshalb erklärt, ein Abkommen sei unwahrscheinlich. Als Grund wird in Brüssel die Blockadehaltung der Briten genannt.
In London hingegen wird bemängelt, dass die EU sich weigere, in die detaillierte Arbeit am Vertragstext einzusteigen, solange es keine Annäherung bei Staatshilfen und Fischerei gebe.
Deadline im September
Dabei drängt die Zeit: Anders als bei den Ausstiegsverhandlungen im vergangenen Jahr soll es dieses Mal keine Verlängerung geben. An Silvester läuft die Übergangsperiode aus. Um vorher genug Zeit für die Ratifizierung zu haben, muss das fertige Freihandelsabkommen im Oktober vorliegen. Der britische Chefunterhändler David Frost hat sich deshalb Mitte September als Deadline gesetzt: Wenn sich bis dahin keine Einigung abzeichnet, will er die Gespräche abbrechen und den „No Deal“ erklären.
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Noch ist kein Kompromiss zu erkennen. Besonders in der Frage der Staatshilfen prallen zwei unterschiedliche Philosophien aufeinander.
Barnier verlangt „robuste Garantien“, dass Großbritannien künftig nicht durch Deregulierung und Subventionen einen unfairen Wettbewerb startet. London soll sich verpflichten, ähnlich strikte Vorschriften wie die EU einzuführen und eine unabhängige Wettbewerbsbehörde zu deren Überwachung einzusetzen.
Die britische Regierung hingegen will sich nicht vorschreiben lassen, wie sie künftig ihre Politik zu gestalten hat. Sie führt drei Argumente an: Erstens widerspreche dies dem Grundgedanken des Brexits, zweitens gebe es solche Auflagen in keinem anderen EU-Freihandelsabkommen, und drittens vergebe Großbritannien traditionell kaum Staatshilfen.
Tatsächlich gewährt London im EU-Vergleich sehr selten Staatshilfen. Brüssel fürchtet aber, dass sich das in Zukunft ändern könnte. Auch stellt der Nachbar aus EU-Sicht eine größere Bedrohung dar als Kanada oder Japan.
Briten wollen eigenes Subventionsregime
Die Briten schlagen ein Subventionsregime auf Basis der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) vor. Während in der EU prinzipiell alle Staatshilfen verboten sind und es nur auf Antrag Ausnahmen gibt, ist unter der WTO vieles erlaubt, bis sich ein anderer Staat beschwert. Diese Herangehensweise sei internationaler Standard, heißt es in London. Doch die EU scheint bereit, ihre Machtposition als größerer Partner in dieser Frage auszuspielen.
Bei der Fischerei hingegen sitzt Großbritannien am längeren Hebel. Der Großteil des europäischen Fischbestands befindet sich in britischen Gewässern, die EU-Boote sind daher auf Zugang angewiesen. Es gibt noch erhebliche Differenzen über die Fangquoten und darüber, wie häufig diese festgesetzt werden sollen. Obendrein ist die Fischerei ein emotionales Thema bei allen Nordsee-Anrainern. In Brüssel weiß man, dass sich der Status quo nicht verteidigen lässt.
Der britische Premier Boris Johnson steht unter großem Druck aus seiner Partei, nicht nachzugeben. Dennoch rechnen Beobachter in London mit einer Einigung im Herbst. Die „No Deal“-Drohung sei eine taktische Verhandlungsposition, sagt Tim Bale, Politikprofessor an der Queen Mary University in London. Johnson werde in der Frage der Staatshilfen einlenken, die EU in der Frage der Fischereirechte. „Keine Seite wird es gegen die Wand fahren.“
Die Coronakrise erhöht den Druck auf den Premierminister, sich mit der EU zu einigen. „Ein Scheitern der Gespräche würde die Zweifel an Johnsons Kompetenz verstärken“, meint Bale. Die meisten Briten wollten einen ungeordneten Brexit verhindern. Und Johnson werde es schaffen, ihnen jeden Kompromiss schmackhaft zu machen. Er habe beim Ausstiegsvertrag bereits bewiesen, dass er auch eine Verhandlungsniederlage als Erfolg verkaufen kann.
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Die miesen Eurozentralisten sind immer noch sauer auf die Briten und wollen ein Exempel statuierte. Sie glauben bzw. reden sich ein, dass der zentralstaat am längeren hebel sitzt und die Briten erpressen kann. In Wahrheit fließen aber doppelt so viel Waren aus der EU nach UK als umgekehrt.
(...)
Es ist das beste, wenn es kein abkommen gibt.
Das wird zwar kurzfristig zu schmerzhaften Anpassungen in UK kommen. UK darf den betroffenen Unternehmen dann aber helfen. UK nimmt doppelt soviel an Zöllen ein, wie die gesamte EU. Mit diesen Zöllen können Sie solche Hilfen auch leicht finanzieren.
Betroffen wird natürlich nicht die gesamte EU sein, sondern vor allem Deutschland, (...).
Nur wenn die Briten hart bleiben, werden (...) lernen, dass Sie nicht mit dem Kopf durch die Wand kommen und dass die EU nicht Europa ist.
(...) Beitrag von der Redaktion editiert. Unterstellungen oder Verdächtigungen ohne Bezug oder glaubwürdige Argument, die durch keine Quelle gestützt werden, sind nicht erwünscht. Bitte bleiben Sie sachlich.