Brexit gefährdet Prestigeprojekt Europäisches Patentgericht steht vor dem Aus

Seit Jahrzehnten wartet die gesamte europäische Wirtschaft auf einfacheren, günstigeren Patentschutz für ihre Erfindungen – doch das geplante Einheitspatent steht nach dem Brexit vor dem Aus.
Durch den Brexit steht das lang ersehnte Europäische Patentgericht vor dem Aus. Denn nach dem Votum der Briten für den EU-Ausstieg könnte nicht nur das europäische Einheitspatent zusammenbrechen. Auch der geplante Gerichtssitz in London würde keinen Sinn mehr machen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt nun vor einer Hängepartie für deutsche Unternehmen, die bekanntlich sehr patentstark sind. „Am besten wäre es, wenn Großbritannien das Abkommen so schnell wie möglich ratifizieren würde“, sagte BDI-Rechtsexpertin Julia Hentsch dem Handelsblatt. „Die Industrie wartet darauf.“
Doch so einfach dürfte es mit der Ratifizierung nicht werden. Jahrzehntelang verhandelten die EU-Mitgliedsstaaten über ein einheitliches Patent und ein einheitliches europäisches Patentgericht. 2013 wurde das Vorzeigeprojekt beschlossen, jetzt im Juli sollte für das Gericht ein halbjähriger Probebetrieb beginnen. Im April 2017 sollten Zentralkammer und Außenstellen ihre Arbeit aufnehmen. Zeitgleich würde auch das neue EU-Patent in Kraft treten. So war der Plan, der nun jedoch ins Wanken gerät.
Bislang herrscht in Europa ein Flickenteppich. Will ein Unternehmen seine Innovationen europaweit schützen lassen, wendet er sich an das Europäische Patentamt (EPA) und wählt dort die Länder aus, für die das Patent gelten soll. Allerdings muss das EPA-Patent dann noch bei den nationalen Patentämtern angemeldet werden – was mit Bürokratie, Übersetzungskosten und Gebühren verbunden ist. Für die Unternehmen stellt das einen enormen Aufwand da und jährliche Kosten in Millionenhöhe. Prozesse gegen Patentverletzungen müssen ebenfalls vor nationalen Gerichten geführt werden, mit sehr unterschiedlicher Rechtsprechung.
Das geplante Einheitspatent sollte hingegen vom EPA erteilt werden und automatisch in allen EU-Staaten gelten. Nur Spanien will zunächst nicht mitmachen. Bei Streitigkeiten wäre das Europäische Patentgericht mit Sitz in Paris zuständig, mit Kammern in München und London. Das brächte Rechtssicherheit bei Patentstreitigkeiten.
Doch das geplante Patentsystem wäre ohne Großbritannien kaum noch etwas wert. Zum einen muss Großbritannien das Abkommen zwingend ratifizieren, weil es neben Deutschland und Frankreich zu den drei EU-Staaten mit den meisten Patenten zählt. Diese Ratifikation ist mit dem Brexit nun zunächst blockiert. Rechtlich fragwürdig wäre zudem, ob das Einheitspatent nach dem EU-Ausstieg in Großbritannien überhaupt gelten würde. Das könnte das Patent insgesamt zu Fall bringen, weil einer der größten Märkte aus dem Patentschutz fiele. Dass in London eine Kammer des Europäischen Patentgerichts residiert und für die EU bindendes Recht spricht, wäre rechtlich ebenfalls umstritten.
„Die Auswirkungen des britischen Referendums auf das Europäische Patentgericht sind derzeit völlig offen“, meint denn auch die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). „Tatsächlich würde ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU sowohl das Übereinkommen zum Patentgericht in der bisherigen Fassung als auch den Standort London in Frage stellen“, sagte sie dem Handelsblatt.
Ähnlich sieht das auch der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner: „Das Prestigeprojekt hängt derzeit komplett in der Schwebe.“ Fechner warnt jedoch davor, das Einheitspatent einfach aufzugeben. Dafür sei die wirtschaftliche Bedeutung für deutsche Unternehmen und Erfinder viel zu groß. „Es werden aber auf jeden Fall Nachverhandlungen nötig sein“, sagte Fechner dem Handelsblatt. Dass London nun noch Gerichtssitz wird, hält der SPD-Politiker indes für ausgeschlossen.
Die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne), betonte: „Das Vereinigte Königreich muss dabei sein, so steht es klar im Gesetz.“ Das entbinde Deutschland, Frankreich und die anderen Mitgliedstaaten jedoch nicht von der Pflicht, erst einmal das Gesetz zu ratifizieren. „Wie es weitergeht, wird man erst sehen und sagen können, wenn Großbritannien tatsächlich einen Austrittsantrag gestellt haben sollte und darüber verhandelt werden wird“, sagte Künast dem Handelsblatt. Der Rechtsausschuss vertagte am Mittwoch die Beratungen über das Europäische Einheitspatent erst einmal.
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