
Selbst die für sie günstigsten Umfragen sehen sie als Verliererin im zweiten Wahlgang.
Paris Nach dem britischen Referendum konnte die rechtsextreme Front National ihren Triumph nicht laut genug herausschreien. „Nach dem Brexit ist der Frühling der Völker nicht mehr aufzuhalten“, sagte Front-National-Chefin Marine Le Pen. Das Volk habe „die Verbindungen zur EU gekappt“ und verstanden, was die FN seit Jahren wiederhole: „Die EU ist ein Gefängnis“. Bald werde Frankreich dem britischen Vorbild folgen.
Die Partei hat ein wenig Auftrieb bitter nötig: Seit der Regionalwahl vor einem halben Jahr, bei der sie keine einzige Region erobern konnte, ist die Stimmung schicksalsergeben bis depressiv. Auch wenn Le Pen hoffen darf, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2017 in den zweiten Wahlgang zu kommen: Die Erwartung, die Franzosen könnten ihr die Macht anvertrauen und damit tatsächlich den Weg zum Austritt aus der Euro-Zone und der EU beschreiten, kann sie nicht haben. Denn selbst die für sie günstigsten Umfragen sehen sie als Verliererin im zweiten Wahlgang.
Wäre rechtlich möglich. Das Ergebnis des Referendums ist kein Gesetz, mehr eine „Empfehlung“. Das britische Unterhaus könnte abstimmen und beschließen, den berüchtigten Austritts-Artikel 50 nicht zu aktivieren. Es ist aber kaum auszudenken, welchen Aufschrei das im Land geben würde. Nicht vergessen: Insgesamt 17 410 742 Briten haben für den Brexit gestimmt.
Premierminister David Cameron dankt ab, die Suche nach einem Nachfolger läuft gerade an. Der könnte Neuwahlen ausrufen, schließlich hat vergangenes Jahr das Volk Cameron, nicht ihn – oder sie – ins Amt gewählt. Wenn dann zum Beispiel die Labour-Partei im Programm hätte, dass sie den Exit vom Brexit will, und gewinnen würde, dann könnte man das als demokratisch legitimiert betrachten.
Die Petition für ein zweites Referendum hat inzwischen mehr als vier Millionen Unterschriften gesammelt. Das Argument: Das Ergebnis ist zu knapp, die Wahlbeteiligung zu niedrig. Da aber im Vorhinein keine Regeln für so einen Fall festgelegt wurden, dürfte diese Forderung nichts bringen. Im Gespräch war auch mal, nach einem „No“ mit der aufgeschreckten EU einen neuen Vertrag mit aus britischer Sicht besseren Bedingungen auszuhandeln, und das Referendum dann zu wiederholen. Da hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aber schon gleich den Daumen gesenkt.
Nicht einfach das Referendum wiederholen, sondern so tun, als gehe man, einen Ausstiegs-Deal mit der EU aushandeln und den dann dem Volk zur Abstimmung stellen, das ist die Idee von Jeremy Hunt, dem britischen Gesundheitsminister, der gegen den Brexit war. In seinen Augen hat das Land gegen die Freizügigkeit von EU-Bürgern in ihrer jetzigen Form gestimmt, nicht so sehr gegen die EU insgesamt. Das Echo war verhalten – und es ist kaum denkbar, dass Brüssel und die anderen 27 Staaten das mitmachen würden.
Das ginge schon. Aber allein der Austritt dauert schon mindestens zwei Jahre. Dann kämen neue Verhandlungen, alle anderen Mitgliedstaaten müssten einverstanden sein. Bisher haben die Briten einen Sonderdeal. Dass der wieder auf dem Tisch läge, scheint gerade undenkbar. Für die nächsten paar Jahre hilft diese Perspektive also nicht.
Nicola Sturgeon, Chefin der schottischen Regionalregierung, will den Brexit notfalls mit einem Veto des schottischen Parlaments verhindern – wenn möglich, sagte sie. Da sind sich Experten nicht einig. Grundlage wäre der Scotland Act von 1998, der Kompetenzen des schottischen Regionalparlaments bestimmt. Dort steht zwar, dass auswärtige Angelegenheiten von London geregelt werden, aber auch, dass es Sache Edinburghs sei, EU-Gesetze zu implementieren.
Die jüngsten Proteste gegen die Arbeitsreform der Sozialisten haben daran nichts geändert. Im Gegenteil: Wie immer, wenn es konkret wird, eiert die Front National herum. Sie sei gegen die Reform, sagte Marines Nichte Marion Maréchal-Le Pen, die bei den harten Rechtsextremen besonders beliebt ist. Aber bei den Protesten mache die Front nicht mit. Ob sie denn wenigstens Änderungsanträge eingebracht habe, wollte ein Radiokommentator von ihr wissen. „Oh ja, viele!“ sagte Marion Maréchal-Le Pen. Was denn deren Inhalt sei, hakte der Interviewer nach: Sendepause bei der sonst so wortgewaltigen Abgeordneten.
Die Front National weiß nicht, was sie will – oder vielmehr: Was zu wollen sie sich traut. Denn einerseits will sie auf der Protestwelle mitschwimmen, andererseits gehen ihre eigenen Vorstellungen, zumindest die des Marion-Flügels, eher über das Gesetz hinaus, wollen noch mehr Spielräume für die Unternehmen. Das ist nicht eben populär. Da hält man eben lieber den Mund, wenn man gefragt wird.
