Journalismus Live „Mein Herz sagt bleiben, mein Kopf sagt gehen“
Videotagebuch Tag 1: Zwischen Hipster-Restaurant und EU-Referendum
London/Bristol/Manchester/Belfast Tag eins in London, noch drei Tage bis zur Abstimmung über den Brexit. Die Handelsblatt-Redaktion ist mit fast 50 Journalisten vor Ort. Die City empfing das Team mit „London Sunshine“, wie der Pilot im Flieger von München in die britische Metropole charmant den strömenden Regen an der Themse umschrieb. Aber ist die Stimmung in der Hauptstadt genauso trüb wie das Wetter?
Handelsblatt-Redakteurin Kirsten Ludowig testete die Stimmung in der altehrwürdigen London School of Economics and Political Science (LSE). Die Universität wurde 1895 gegründet und sieht sich als führend im Bereich Sozialwissenschaften - in einer Reihe mit Harvard und Stanford. An der LSE studieren rund 9.600 Studenten aus 140 Ländern. „Die Atmosphäre ist international und weltoffen - auch wenn es in Strömen geregnet hat“, berichtet die stellvertretende Ressortleiterin Unternehmen und Märkte. „Ich traf dort Anton Jarrod, einen 37-jährigen Teilzeit-Studenten. Er fühlt sich mehr als Europäer denn als Brite und stimmt deshalb am Donnerstag für den EU-Verbleib. So wie die meisten seiner Studienkollegen.“
Jarrod findet, die EU habe viel Gutes gebracht: Frieden, Freiheit, Wohlstand. Nichtsdestotrotz müsse sich die EU wandeln. Es brauche keine stärkere Integration und politische Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten à la „Vereinigte Staaten von Europa“". Seine Überzeugung: „Wir sind alle so verschieden in Europa, darauf sollten wir stolz sein.“
Mit der Kamera waren Jessica Springfeld und Johannes Steger auf Stimmenfang. „Wir hatten es uns einfach vorgestellt: einfach vor die U-Bahn Station stellen, denn dort ist es immerhin regengeschützt, und ein paar Wahlstimmen einfangen. Angeblich ist das Ganze ja eine knappe Entscheidung.“ Doch sie mussten feststellen, dass das doch nicht so einfach war. „Entweder die Vorbeihastenden waren keine Briten und durften somit nicht wählen, oder sie hatten sich nicht für die Wahl registriert, oder aber sie wollen fast alle für den Verbleib stimmen“, berichteten sie. Von circa 15 auskunftswilligen Passanten wollten nur zwei für den Brexit stimmen. Einer von ihnen ist sogar ein Banker.
Leave or remain – Das Ergebnis überrascht
Kerstin Leitel zog es in einen traditionellen Bagel-Shop im hippen Shoreditch. Dort traf sie den 31-jährigen Adam. Es sei „besorgt, sehr besorgt“, sagte er. „Ich werde auf jeden Fall für einen Verbleib in der EU stimmen und ich hoffe, dass sich die EU-Befürworter durchsetzen. Die Gegner haben kein einziges überzeugendes Argument geliefert, warum wir austreten sollten.“
Das Problem in Großbritannien sei aber, dass viele nicht zur Wahl gehen würden – das kann eine Wahl drehen. „In meiner Generation und der meiner Eltern haben viele gute Erfahrungen mit Einwanderern gemacht“, so der 31-Jährige. „Meine Großtante ist aus Polen gekommen, ich habe auch viele Freunde und Bekannte, die immigriert sind, und ich würde auch gern mal in Deutschland arbeiten.“