Britisches Unterhaus „Order!“ und bunte Krawatten – Das ist „Mister Speaker“ John Bercow

Schon zu seiner Studienzeit war Bercow in der Konservativen Partei aktiv.
London, Düsseldorf Wenn Theresa May sich im britischen Unterhaus zum Sprechen erhebt, ist es in diesen Zeiten mit der Ruhe schnell vorbei. Besonders am vergangenen Dienstag, als die Regierungschefin vor der Abstimmung ein letztes Mal für ihren Brexit-Deal wirbt, wird May dauernd unterbrochen. Lautes Gejohle, Gelächter und Zwischenrufe hallen immer wieder durch das „House of Commons“. Mays Worte würden wohl vollends untergehen, wäre da nicht der Mann mit der bunten Krawatte.
An jenem Tag hat der Schlips von John Bercow ein Zickzackmuster; ein bisschen wie eine schiefe Treppe, die man nicht hinuntergehen möchte. Und bunt ist sie, wie alle anderen Krawattenmodelle des Sprechers des britischen Unterhauses. Bercows ausgefallener Stil hat ihn auch ein bisschen zur Modeikone gemacht: Es gibt eine eigene Tumblr-Seite, gespickt mit Bildern vom Sprecher und seinen Krawatten.
Immer wieder fährt Bercow den Zwischenrufern in die Parade. „Mister Speaker“, wie er von den Abgeordneten genannt wird, fordert mehrfach mit einem schallenden „Order!“ die Parlamentarier zur Ruhe auf.
Als Sprecher ist Bercow die höchste Autorität im britischen Unterhaus. Ganz ähnlich wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble – nur eben mit deutlich mehr Lautstärke. Er ist der Einzige, der den Abgeordneten das Sprechen erlaubt, und er entscheidet, über welche Gesetzesanträge debattiert und abgestimmt wird.
Sein Kleidungsstil und seine Sprachgewalt haben Bercow längst über die Grenzen der britischen Insel hinaus bekannt gemacht. Während der Debatten im Unterhaus versammeln sich unter #Bercow bei Twitter mittlerweile Massen von Nutzern und erfreuen sich an „Mister Speaker“.
Doch Bercow steht seit einiger Zeit in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, dass er nicht unparteiisch sei, wie es von seinem Amt gefordert wird. Selbst nach seiner Amtszeit soll der Sprecher keine Stellung zu politischen Fragen einnehmen.
Bercow aber hatte erklärt, beim Referendum 2016 für den Verbleib in der EU gestimmt zu haben. Sein mehr oder minder offener Umgang mit seiner Brexit-Abneigung gefährdet nun sogar seine Berufung in das britische Oberhaus durch die Verleihung des Titels „Lord“. Seit Jahrhunderten wird der Sprecher des Unterhauses nach dem Ende seiner Amtszeit mit diesem Titel geehrt. Berichten zufolge soll Bercow diese Ehre vorenthalten bleiben.
Erst vor wenigen Tagen warf ihm der Abgeordnete Adam Holloway im Parlament vor, dass an seinem Auto ein „Anti-Brexit“-Sticker klebe, auf dem stehe: „Mach mich nicht dafür verantwortlich, ich habe für den Verbleib gestimmt.“
Dieser Vorwurf enthalte aber einen „faktischen Fehler“, entgegnete Bercow während der Debatte gewohnt eloquent. Der Sticker befinde sich nicht hinter seiner, sondern hinter der Windschutzscheibe des Autos seiner Ehefrau Sally.
„Und ich bin mir sicher, dass der Abgeordnete nicht einmal für einen Augenblick daran denken würde zu insinuieren, dass eine Ehefrau in irgendeiner Weise zum Eigentum oder Hab und Gut ihres Ehemanns zähle. Sie hat das Recht auf ihre eigene Meinung“, sagte Bercow über seine Frau, die Unterstützerin der Labour-Partei ist.
Sally glänzte übrigens einst in der englischen Version von „Promi-Big-Brother“. Das Paar war auch wochenlang in den Klatschspalten, als Sally mit dem Vetter von Bercow fremdgegangen sein soll. John und Sally haben drei Kinder zusammen.
Rüge für Johnson
Wenn es um lautstarke Ansagen in der britischen Politik geht, kommt einem auch schnell Boris Johnson in den Sinn. Doch selbst der Anführer der Brexit-Bewegung und Ex-Außenminister kassierte im März 2018 eine Rüge von Bercow. Johnson hatte die Labour-Abgeordnete Emily Thornberry im Parlament als „Lady Nugee“ bezeichnet. Thornberry ist mit dem Richter am Obersten Gerichtshof, Sir Christopher Nugee, verheiratet – entschied sich jedoch dafür, ihren Mädchennamen zu behalten.
Bercow wies Johnson daraufhin zurecht: Es sei „unangemessen“ und sexistisch, eine Abgeordnete beim Namen ihres Ehepartners zu nennen. „Egal, wie hochrangig ein Mitglied ist, diese Sprache ist nicht legitim“, sagte Bercow. Johnson entschuldigte sich anschließend für seinen „unbeabsichtigten Sexismus“.
Eigentlich war erwartet worden, dass Bercow schon längst in den Ruhestand wechselt. Doch weil er den Brexit weiter aus seiner Position begleiten wollte, war er im Amt geblieben – zum großen Bedauern nicht nur einiger Brexit-Anhänger. Bercow wird beschuldigt, dass er zu Wutausbrüchen neige und dass er seine Angestellten terrorisiere und sie vor ihm Angst hätten.
So musste er vor einiger Zeit zugegeben, dass er einmal leise murmelnd die Fraktionsvorsitzende der Konservativen, Andrea Leadsom, ein „dummes, nutzloses Weib“ genannt habe. Gefeiert wurde der gerade einmal 1,67 Meter große Brite hingegen, als er vor dem anstehenden Besuch von US-Präsident Donald Trump ablehnte, dass dieser im Parlament spricht.
John Simon Bercow wurde 1963 geboren und studierte an der University of Essex im Osten Englands, wo er 1985 seinen Abschluss in Verwaltungswissenschaften mit Auszeichnung machte. Schon zu seiner Studienzeit war Bercow in der Konservativen Partei aktiv. Als Hobbys gibt er Tennis – er ist ausgebildeter Trainer –, Squash, Schwimmen, Lesen und Musik an.
1997 war Bercow für den Wahlbezirk Buckingham erstmals in das britische Unterhaus gewählt worden. Am 22. Juni 2009 wurde er nach dem Rücktritt seines Vorgängers Michael Martin zum Sprecher gewählt. Er setzte sich unter zehn Kandidaten durch.
Schon bei seinem Amtsantritt hatte Bercow für Aufsehen gesorgt. Als er das Amt übernahm, schaffte er zuerst die Regel ab, dass die Parlamentsbeamten Perücken tragen müssen.
Nach jeder Parlamentswahl wird der Sprecher neu gewählt – ebenso, wenn ein Sprecher verstirbt oder zurücktritt. Wenn sich ein Abgeordneter jedoch zur Wiederwahl stellt, kann er durch ein verkürztes Verfahren „den Vorsitz des Hauses als Sprecher übernehmen“, sofern diese Entscheidung nicht angefochten wird. Bei den Wahlen 2015 und den vorgezogenen Neuwahlen 2017 behielt Bercow so jeweils sein Amt.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.