Chaostage in Washington Billionen für die Politik-Wende? Joe Biden droht seine erste große Niederlage

Der Showdown im Kongress kommt für US-Präsident Biden zum ungünstigsten Zeitpunkt. Seine Umfragewerte sind seit dem desaströsen Abzug aus Afghanistan im Abwärtstrend.
Washington Joe Biden kämpft in diesen Tagen nicht nur um Mehrheiten für massive Investitionen, die seine Präsidentschaft definieren sollen. Noch vor dem Wochenende könnte sich entscheiden, ob seine Demokraten zwei billionenschwere Pakete für Infrastruktur und Sozialprogramme durch den Kongress bekommen – oder ob Biden am Ende mit leeren Händen dasteht.
Parallel müssen die US-Demokraten einen Regierungsstillstand, einen sogenannten Shutdown, abwenden und einen Staatsbankrott verhindern. Zum 03. Dezember geht den US-Behörden das Geld aus, wenn bis dahin kein Haushaltsplan bewilligt wird. Dazu droht den USA in weniger als drei Wochen die Zahlungsunfähigkeit, sollte der Kongress die Schuldengrenze nicht anheben.
Die Gemengelage ist extrem kompliziert: Ultraknappe Mehrheiten im Kongress schränken die Manövrierfähigkeit von Biden ein, auf dem Capitol Hill laufen chaotische Verhandlungen. Die Stimmung in Washington ist aufgeladen, denn Bidens Demokraten sind in sich gespalten und die republikanische Opposition verwehrt fast jegliche Kooperation.
Der Showdown im Kongress kommt für Biden zum ungünstigsten Zeitpunkt. Seine Umfragewerte sind seit dem desaströsen Abzug aus Afghanistan im Abwärtstrend, die Pandemie kratzt am Wirtschaftsaufschwung, an der Südgrenze zu Mexiko stranden täglich Zehntausende Flüchtlinge. Das Ringen um Billionen zwingt Biden jetzt erneut in die Rolle des Krisenmanagers. Eine Reise nach Chicago, wo er für das Covid-Impfprogramm werben wollte, sagte er kurzfristig ab.
Das Abwenden eines Shutdowns ist ebenfalls dringend. Die Frist wurde von Freitag auf den 03. Dezember verschoben. Sollte sich der Kongress bis dahin nicht auf eine Finanzierung für den Haushalt einigen können, müssen die US-Regierungsbehörden Tausende Angestellte nach Hause schicken. Der letzte Shutdown unter der Präsidentschaft von Donald Trump dauerte 35 Tage. Für die Demokraten wäre ein Regierungsstillstand ein fatales Signal. Denn Biden hat sich als Alternative der Vernunft positioniert, er will im Gegensatz zu Trump für Stabilität sorgen.
Ausgerechnet jetzt, wo viele Ministerien Gelder für Impfungen und Naturkatastrophen verteilen, wäre ein Shutdown im ganzen Land spürbar. Beobachter rechnen aber damit, dass die Demokraten, die in beiden Kammern des Kongresses dünne Mehrheiten halten, in letzter Minute einen vorläufigen Haushaltsplan verabschieden. „Die USA haben viele Shutdowns ohne Spätfolgen überstanden, und wir glauben, dass dies auch jetzt gilt“, analysierte das Investorenbüro BBH Global Currency Strategy.

Viele konservative Senatoren wie John Barrasso aus Wyoming (Mitte) lehnen die Haushaltspläne des US-Präsidenten ab.
Am Donnerstag geht es um alles
Politisch heikler ist der Kampf um Bidens gigantische Reformen, die zusammen mehr als vier Billionen Dollar kosten sollen. Ein Teil davon ist ein rund 1,2 Billionen schweres Infrastrukturpaket, das in seltener Zusammenarbeit mit den Republikanern entstanden ist. Im August hatte der US-Senat, die mächtigste Kammer im Kongress, die Reform bereits verabschiedet.
Doch seitdem hängt sie in der zweiten Kammer fest, dem Repräsentantenhaus. Schuld ist ein Machtkampf innerhalb der Demokraten. Das linke Lager will eine Zustimmung nur dann garantieren, wenn der Kongress parallel ein 3,5 Billionen teures Haushaltspaket verabschiedet – zur Not im Alleingang und ohne republikanische Stimmen. Allerdings ist dieses Mega-Paket auch unter moderaten Demokraten umstritten, die die damit verbundenen Steuererhöhungen und hohen Kosten ablehnen.

Die Vize-Präsidentin unterstützt die Vorhaben von Joe Biden.
Die riskante Tandem-Abstimmung war bis vor Kurzem vom Weißen Haus unterstützt worden: Alles oder nichts, schien Bidens Devise. Doch jetzt zeichnet sich eine Kehrtwende ab. Die Demokratenchefin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, drängt seit Dienstag darauf, dass das Infrastrukturpaket in jedem Fall verabschiedet werden muss, zunächst unabhängig von der 3,5-Billionen-Reform. Sie will für Donnerstag ein Votum ansetzen.
In diesem Strategiewechsel spiegelt sich der Druck wider, unter dem die Demokraten stehen. Die Angst scheint groß, vor den wichtigen Kongresswahlen im kommenden Jahr gar kein großes Projekt mehr anschieben zu können. Weder Barack Obama noch Trump gelang eine Infrastrukturreform, für Biden wäre sie ein großer innenpolitischer Sieg.
Alle Augen werden deshalb am Donnerstag auf das Repräsentantenhaus gerichtet sein. Nicht mehr als drei Abweichler können sich die Demokraten in der Kammer leisten. Doch ob die Mehrheit steht oder Biden blamiert wird, ist ungewiss. Pelosi hielt sich die Option offen, das Votum zur Not verschieben zu müssen. „Wir planen von Stunde zur Stunde“, sagte sie am Mittwochabend. Der linke Flügel um die Abgeordneten Pramila Jayapal und Alexandria Ocasio-Cortez will bislang nicht umschwenken. „Unsere Position ist klar, sie bleibt unverändert“, twitterte Jayapal.
Unterstützung bekam sie vom linken Senator Bernie Sanders, der die Sozialreformen konzipiert hat. „Es gibt kein Infrastrukturpaket ohne 3,5-Billionen-Dollar-Paket“, schrieb er. Straßen und Brücken seien wichtig, „aber Familien und Klimaschutz sind wichtiger.“ Scheitert das Infrastrukturpaket, kann Biden vorerst gar keinen Erfolg vorweisen – und das Ringen um Billionen geht von vorne los.
„Ein potenziell katastrophales Ereignis“
Über allem schwelt die Gefahr eines Staatsbankrotts, dessen Dimension das Ringen um Billionen-Pakete verblassen lassen und die Finanzmärkte in Panik versetzen würde. Noch nie zuvor waren die USA zahlungsunfähig. Der größte Kreditgeber des Landes, JPMorgan Chase & Co, entwirft bereits Szenarien für einen möglichen Kreditausfall. „Wir sprechen von einem potenziell katastrophalen Ereignis“, sagte CEO Jamie Dimon. „So nah an den Rand sollten wir nie kommen.“
Experten warnen vor einem Börsencrash, steigenden Zinsen für Hypotheken und Kredite sowie einer Entlassungswelle, sollte der Kongress die Schuldenobergrenze nicht anheben. US-Finanzministerin Janet Yellen erklärte im Kongress, der Stichtag, an dem die USA in die Pleite schlittern, sei bereits am 18. Oktober. „Das Vertrauen und die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten würden beeinträchtigt, unser Land würde wahrscheinlich vor einer Finanzkrise und einer Rezession stehen“, sagte sie im Bankenausschuss.
Die USA haben, wie viele Industriestaaten, ein Haushaltsdefizit und müssen sich riesige Geldsummen leihen, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Der Kongress legt die Obergrenze für die Kreditaufnahme des Finanzministeriums jährlich neu fest. Derzeit liegt sie bei 28,4 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Das US-Bruttoinlandsprodukt betrug im vergangenen Jahr 20,93 Billionen US-Dollar.
In diesem Jahr ist das Ringen um die Schuldengrenze besonders aufgeladen. Die Republikaner verweigern die Zustimmung auch deshalb, weil sie Bidens geplante Billionenpakete für gefährlich teuer halten. Allerdings trugen sie unter Trump selbst dazu bei, die Staatsverschuldung nach oben zu treiben, unter anderem durch die Steuerreform von 2017. Insgesamt drei Mal hoben die Republikaner die Schuldenobergrenze zu Zeiten von Trump an – stets mit Unterstützung der Demokraten.
„Die Überschreitung der Schuldengrenze kann schwerwiegende Folgen haben“, warnt BBH Global Currency Strategy. „Das Letzte, was die Märkte brauchen, ist eine zusätzliche Dosis Unsicherheit.“ Das Investorenbüro geht davon aus, dass der Kongress die Zahlungsunfähigkeit in letzter Minute verhindern wird. „Bis dahin werden die Märkte aber wahrscheinlich volatil bleiben.“
Den Demokraten bleibt wohl nur die Möglichkeit, die Schuldenobergrenze im Alleingang anzuheben. Jedoch ist unklar, ob sie das verfahrenstechnisch rechtzeitig vor dem 18. Oktober hinbekommen.
Der Präsident drängt auf Geschlossenheit und schnelle Lösungen. Als er sich am Montag seine Covid-Auffrischungsimpfung in den Oberarm spritzen ließ, mahnte er: „Wir müssen die Schuldenobergrenze anheben, einen Shutdown verhindern und beide Gesetzespakete verabschieden. Wenn wir das tun, wird das Land in bester Verfassung sein.“ Was passiert, wenn all das nicht gelingt, ließ er offen.
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