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Christian Kern Der Österreich-CEO im Kanzleramt

Die österreichische Wirtschaft verspricht sich viel vom neuen Bundeskanzler Christian Kern. Der ehemalige ÖBB-Chef muss den Worten schnell Taten folgen lassen. Eine Analyse.
18.05.2016 - 18:43 Uhr
Als Chef der Österreichischen Bundesbahn hat Christian Kern beste Kontakte in die Industrie geknüpft. Zeit, sie zu pflegen. Quelle: dpa
Ex-ÖBB-Chef

Als Chef der Österreichischen Bundesbahn hat Christian Kern beste Kontakte in die Industrie geknüpft. Zeit, sie zu pflegen.

(Foto: dpa)

Mehr Vorschusslorbeeren aus der Wirtschaft hat ein neuer österreichischer Bundeskanzler seit Jahrzehnten nicht mehr erhalten. Die Sehnsucht nach einem Regierungschef, der die Sorgen und Nöte der Unternehmen in der verkrusteten Alpenrepublik kennt, ist gewaltig. Die Erwartungen an den früheren Bahn-Chef Christian Kern sind daher gewaltig.

Egal ob ausländische Konzerne wie Siemens, Henkel oder Boehringer-Ingelheim oder auch die österreichische Industrie – alle haben einen ellenlangen Wunschzettel für den neuen Bundeskanzler. Die Forderungen reichen zum Beispiel vom schnellen Bürokratieabbau über Flexibilisierung von Arbeitszeiten sowie Verbesserung von Forschung und Entwicklung bis zu einer wirtschaftsfreundlichen Steuerpolitik.

Der Druck auf den frischgebackenen Bundeskanzler und seine rot-schwarze Koalition ist gewaltig. Denn in den vergangenen Jahren hat Österreich an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Deutsche Investoren lassen die Alpenrepublik links liegen, und einheimische Firmen expandieren lieber im Ausland, wie etwa der Stahlkonzern Voestalpine. Das Wirtschaftswachstum liegt schon lange deutlich unter dem EU-Durchschnitt.

Der Autor ist Korrespondent für Südosteuropa. Sie erreichen ihn unter: siebenhaar@handelsblatt.com
Hans-Peter Siebenhaar

Der Autor ist Korrespondent für Südosteuropa. Sie erreichen ihn unter: [email protected]

Kern begreift sich nicht als klassischer Bundeskanzler, sondern als CEO Österreichs. Das zeichnet ihn aus. Deshalb hat der 50-jährige Kommunikationswissenschaftler auch kein Problem damit, die miese Wirtschaftslage offen anzusprechen.

Als die größte Wachstumsbremse macht der Klartext-Kanzler in seiner Ruck-Rede die schlechte Laune zwischen Bodensee und Neusiedler See aus. Die von Kern diagnostizierte Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit haben dem Land geschadet. Doch um die Stimmung zu drehen, werden wohlfeile Analysen nicht ausreichen. Die Wirtschaft erwartet nach jahrelanger Kommunikationspause mit dem Bundeskanzleramt Taten.

Österreich kann es sich nicht mehr leisten, in den antiquierten Denk- und Handlungsmustern Politik zu betreiben. Die unternehmensfeindliche Grundstimmung im Land, angefeuert von wirklichkeitsfremden Arbeitnehmervertretungen, hat Tradition. Hinzu kommt das ineffiziente Postengeschacher auf allen Ebenen, insbesondere in staatsnahen Unternehmen. Kern beschwört mit Recht die dramatische Situation, dass es nur noch wenige Monate bis zum Aufprall seien.

Mit seinem kraftvollen Amtsbeginn hat der Kanzler tatsächlich auch den konservativen Koalitionspartner ÖVP aus der Lethargie geholt. ÖVP-Parteichef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner weiß, dass es für beide Volksparteien im Grunde genommen ums Überleben geht.

Der Klartext-Kanzler

Der Schock sitzt noch tief, dass es beim Kampf um das Amt des Bundespräsidenten weder der sozialdemokratische noch der konservative Spitzenkandidat in die Stichwahl geschafft haben. Längst ist die rechtspopulistische FPÖ zur stärksten politischen Kraft aufgestiegen. Am kommenden Sonntag hat der islamophobe FPÖ-Chefideologe Norbert Hofer gute Chancen, Österreichs neues Staatsoberhaupt zu werden. Damit würde erstmals ein Rechtspopulist an der Spitze eines westeuropäischen Landes stehen.

Kern – der Klartext-Kanzler und designierte SPÖ-Chef – sagte unmissverständlich: „Das ist unsere letzte Chance, sonst werden die beiden Großparteien von der Bildfläche verschwinden – wahrscheinlich zu Recht.“ Niemand in der Großen Koalition in Wien widersprach.

Österreich ist Deutschland womöglich politisch zehn Jahre voraus: Noch ist die Alternative für Deutschland (AfD) nicht im Bundestag vertreten, noch schleppt sich die Große Koalition mühsam von Kompromiss zu Kompromiss, noch brummt die Konjunktur. Felix Germania.

Österreich hingegen steht an einer historischen Weggabelung. Gelingt es dem neuen Kanzler Kern, die politische Erstarrung des Alpenlandes radikal aufzubrechen und mit tiefgreifenden Wirtschafts-, Sozial- und Bildungsreformen den Standort wieder in Europa wettbewerbsfähig zu machen, wird Österreich weiter ein verlässlicher Partner Deutschlands bleiben. Dann haben die beiden bislang so selbstgefälligen Volksparteien auch wieder eine politische Zukunft.

Scheitern aber die bürgerlichen Parteien mit dem wahrscheinlich letztmaligen Versuch, das bereits zerrissene Alpenland zu einen und wirtschaftlichen Wohlstand sowie soziale Sicherheit voranzutreiben, droht dem Land im Herzen von Europa das Zerbröseln seiner politischen Stabilität

Die Folgen wären – gerade in Kombination mit dem vom Rechtspopulisten Viktor Orbán regierten Nachbarland Ungarn – unvorhersehbar.

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