COP26 in Glasgow Kohleausstieg, Finanzhilfen, Regelbuch: Wovon Scheitern und Erfolg der Klimakonferenz abhängen

Am Mittwoch kam der Premierminister erneut nach Glasgow, um den Verhandlern bei der Abschlusserklärung einen Push zu geben.
Berlin, Glasgow Boris Johnson mag der Gastgeber sein, aber Tina Stege ist das Gesicht der Weltklimakonferenz. Die Klimabotschafterin der Marshallinseln mahnt, treibt an und wirbt um die Unterstützung der großen Länder. „Die Regierungen liegen derzeit auf Kurs, ihre Ziele zu verpassen“, warnt sie in dem überfüllten Konferenzzentrum in Glasgow. „Wir müssen sicherstellen, dass die nationalen Klimapläne auf das 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet sind.“
Nach anderthalb Wochen beginnt nun der Endspurt bei der COP26. Bis Samstag soll eine Einigung stehen, die das Pariser Klimaabkommen von 2015 mit konkreten Schritten untermauert. Damals hatten sich die Staaten dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf unter zwei Grad oder besser noch 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Nun müssen sie liefern.
Die bisherigen Pläne und Ankündigungen der Staaten reichen jedoch nicht aus. Erst am Dienstag machten die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch und die Denkfabrik Newclimate Institute die große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit noch einmal deutlich: Kein Land befindet sich auf dem weltweit angestrebten 1,5-Grad-Pfad.
Viele Staaten haben zwar kein Problem damit, sich zur Klimaneutralität im Jahr 2050 zu bekennen – also in ferner Zukunft. Sie tun sich jedoch schwer, kurzfristig bis 2030 ihre Treibhausgasemissionen zu senken. Zentral werde daher bleiben, dass die nationalen Ziele für 2030 weiter angehoben und mit konkreten Maßnahmen unterlegt würden, heißt es in einer Zwischenbilanz des Umweltministeriums zum Gipfel.
Deshalb schlägt in Glasgow nun die Stunde von Tina Stege. Als Vorsitzende der sogenannten High Ambition Coalition versucht sie, die Bremser und Blockierer zu mehr Tempo zu bewegen. In der Koalition haben sich die Staaten zusammengetan, die sich als Vorreiter beim Klimaschutz sehen, darunter viele kleine Inselstaaten, aber auch die EU und die USA.

Die Marshallinseln, Steges Heimat, würden mit als Erstes verschwinden, wenn der Meeresspiegel weitersteigt.
Steges moralische Überzeugungskraft rührt daher, dass ihre Heimat als einer der ersten Orte verschwinden würde, wenn der Klimawandel ungebremst weiterginge. Die Marshallinseln, eine kleine Inselgruppe im Pazifik, liegen nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. „Ein Scheitern der COP kann ich nicht akzeptieren“, sagt Stege. „Das würde bedeuten, dass mein Land keine Zukunft hat.“
Die britische Präsidentschaft des Gipfels legte einen ersten Entwurf für die Abschlusserklärung vor. Dieser „atmet durchweg den Geist von mehr Anstrengung“, sagte Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, man sei aber noch nicht am Ziel. Großbritanniens Premier Boris Johnson reiste am Mittwoch erneut nach Glasgow, um den Verhandlern einen letzten Push zu geben.
Um diese vier Punkte gibt es Streit:
1. Nationale Klimaziele: Erstmals soll es eine politische Erklärung geben, in der sich die Länder dazu bekennen, dass sie ihre Bemühungen zum Klimaschutz beschleunigen. Dagegen sträuben sich noch Länder wie Saudi-Arabien und China. Die Briten drängen jedoch auf einen Beschluss zu Verschärfungen bei nationalen Klimazielen. Auch Umweltorganisationen fordern, dass die Klimapläne jährlich überprüft werden und die Regierungen nachlegen müssen, wenn ihre Maßnahmen nicht ausreichen.
Der Entwurf sieht Nachbesserungen vor allem im laufenden Jahrzehnt vor. Die Staaten sollten „ihre Ziele bis 2030 überprüfen und so verschärfen, dass sie Ende 2022 im Einklang mit der im Weltklimavertrag vereinbarten Vorgabe zur Erderwärmung stehen“, heißt es.
Staatssekretär Flasbarth machte erneut deutlich, dass die Welt „vor einer Dekade der Aufholjagd“ stehe. Es sei aber klar, dass nicht die kleinen Inselstaaten die notwendigen Emissionsminderungen erbringen könnten. „Es geht im Kern um die G20“, also die größten 20 Industrie- und Schwellenländer, sagte er. In den nächsten Tagen müsse es noch gelingen, deutlich zu machen, „wer hier eigentlich handeln muss“.
China und USA einigen sich überraschend auf Klimaschutz-Maßnahmen
2. Regelwerk: Die Verhandlungen zum Abschluss des Regelwerks zum Pariser Abkommen gelten als grundsätzlich konstruktiv. Es fehlen aber noch Standards für einen Austausch- und Anrechnungsmodus für Treibhausgasminderungen aus internationalen Klimaschutzprojekten. Doppelbuchungen darf es dabei nicht geben. Auch Regelungen, wie die verschiedenen Klimaziele vergleichbar gemacht werden können, fehlen noch.
3. Kohleausstieg: Gestritten wird auch um eine Erklärung über den Kohleausstieg. Umweltschützer fordern ein klares Datum, womit sich aber Länder, die bislang noch stark auf Kohle setzen, schwertun. Im Umweltministerium hält man eine Formulierung zur Beschleunigung des Kohleausstiegs für möglich. Achim Steiner, Chef der Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen, UNDP, forderte ein klares Signal, dass „Kohle auf dem Weg in die Geschichte“ sei. „Wenn dieses Signal ausbleibt, wäre das sicher eine verpasste Chance.“
4. Geld: Ein Dauerstreitthema bleiben die finanziellen Hilfen für die Entwicklungsländer. Die Zusage der Industrieländer, bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar Klimahilfen an ärmere Länder zu zahlen, soll erst 2023 erreicht und dann möglichst übertroffen werden. 2019 flossen 80 Milliarden. „Das ist peinlich“, sagt Nick Mabey, Chef des Thinktanks E3G. Am größten sei der Fehlbetrag der USA. Das habe die Industrieländer viel politisches Kapital im Rest der Welt gekostet und erschwere nun eine Einigung.
Diskutiert wird zudem über die Fragen, auf welche Weise die Einhaltung des 100-Milliarden-Ziels nachgehalten wird, wie es nach 2025 weitergeht und inwieweit den ärmsten Ländern der Welt angemessen bei den massiv wachsenden Schäden und Verlusten geholfen werden kann. „Die nächsten Tage erfordern eine große Anstrengung von uns allen“, mahnt der britische COP-Präsident Alok Sharma. „Wenn wir nicht liefern, wird die Öffentlichkeit erzürnt sein.“
Trotz Kritik: „Glasgow hat die Welt vorangebracht“
Auch wenn Experten sich einig sind, dass die Fortschritte nicht ausreichen, hat das Treffen von Glasgow die Welt doch vorangebracht. „Es gibt das Gefühl, dass die Weltwirtschaft sich in die richtige Richtung bewegt“, sagt Mabey. Als Beispiel führt er den Kohleausstieg an.
40 weitere Länder, darunter Indonesien, Südafrika und Nigeria, haben angekündigt, keine neuen Kohlekraftwerke mehr zu bauen. Zwar wird sich der Ausstieg noch bis in die 2040er-Jahre hinziehen, aber ein Anfang ist gemacht. Es sei enttäuschend, dass China weiterhin neue Kohlekraftwerke im eigenen Land baue, sagt Mabey.
Dagegen ist China aber mit von der Partie, die Finanzierung fossiler Brennstoffe im Ausland bis Ende 2022 zu stoppen, ebenso wie Deutschland. Das gilt als großer Erfolg. Einem Pakt für mehr Klimaschutz in der Luftverkehrsbranche schloss sich Deutschland wie auch einer Allianz zum Ende des Verbrennungsmotors zunächst aber nicht an.
Es bestehe innerhalb der Regierung zwar Konsens, dass bis 2035 nur noch Null-Emissionsfahrzeuge zugelassen werden sollten, hieß es. Allerdings bestehe keine Einigkeit zu einem Randaspekt der Erklärung, ob aus erneuerbaren Energien gewonnene synthetische Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren Teil der Lösung sein könnten.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.