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Corona-Ausbruch Wer ist für die Infektionen in Ischgl verantwortlich? In dem Prozess ist eine juristische Spitzfindigkeit zentral

Unzählige Touristen sollen sich in dem Tiroler Ferienort infiziert und das Coronavirus nach halb Europa getragen haben. Nun beginnt die rechtliche Aufarbeitung. 
17.09.2021 - 07:41 Uhr Kommentieren
Die zahlreichen Infektionen mit dem Coronavirus im Wintersportort Ischgl haben juristische Folgen. Quelle: dpa
Ischgl-Prozess beginnt

Die zahlreichen Infektionen mit dem Coronavirus im Wintersportort Ischgl haben juristische Folgen.

(Foto: dpa)

Wien Am 13. März 2020 ist in Ischgl das Chaos ausgebrochen. Tausende von Touristen verließen überstürzt den Tiroler Ferienort, nachdem Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz in einer Medienkonferenz angekündigt hatte, das ganze Paznauntal wegen der Pandemie unter Quarantäne zu stellen.

Ischgl gilt seither als Superspreader-Ort: In dem für seine Partyszene bekannten Wintersportort war es mitten in der Skisaison zu einem Corona-Ausbruch gekommen. Hunderte Österreicher und Tausende ausländische Urlauber, darunter auch viele Deutsche, infizierten sich vermutlich unter anderem in überfüllten Après-Ski-Bars. Die in ihre Heimatländer zurückgekehrten Wintersportler verbreiteten daraufhin das Virus in ganz Europa.

Die Behörden hätten das Ausmaß dieser Gefahr nicht erkannt, lautet der Verdacht. Deshalb seien die Après-Ski-Bars und die Transportanlagen im Ferienort trotz Warnsignalen zu spät geschlossen worden.

Ob dieses Versäumnis der großen Hektik in der Frühphase der Pandemie geschuldet war oder örtliche Politiker und die Tourismus-Branche den lukrativen Skibetrieb nicht unterbinden wollten, lässt sich kaum schlüssig beantworten.

Juristen, Richter und Expertengruppen sind in Österreich seither damit beschäftigt, die dramatischen Ereignisse von jenem März aufzuarbeiten. An diesem Freitag beginnt die juristische Auseinandersetzung: Die Witwe und der Sohn eines an Covid-19 verstorbenen Österreichers haben Klage gegen die Republik eingereicht. Die Angehörigen klagen unter anderem auf Schmerzensgeld. Unterstützt werden sie dabei vom österreichischen Verbraucherschutzverein.

Derzeit sieht es danach aus, als ob die juristische Aufarbeitung von Ischgl Jahre dauern wird. Der Verbraucherschutzverein und sein Anwalt Alexander Klauser erklärten zwar bereits vor zwölf Monaten, dass sie es am liebsten sähen, wenn eine außergerichtliche Einigung zustande käme. Österreich habe sich dafür aber zu entschuldigen und eine Entschädigung zu bezahlen. Und diese müsse „mehr als symbolisch sein“, sagt Klauser.

Schuld der Behörden nur schwer nachzuweisen

Die Finanzprokuratur, welche die Republik vertritt, ist auf diese Forderung aber bisher nicht eingegangen. Sie vertritt weiterhin den Standpunkt, dass die Behörden im März 2020 alles richtig gemacht hätten– immer gemessen am damaligen Wissensstand („ex ante“). Und sie beruft sich ferner auf das Epidemiegesetz, das nicht auf den Schutz des Einzelnen abziele, sondern allgemein auf die Volksgesundheit.

Diese scheinbare juristische Spitzfindigkeit ist zentral. In einem Zivilprozess wie dem Ischgl-Verfahren müssen die Kläger erstens nachweisen, dass die Behörden ein Verschulden trifft. Eine Entschädigung erhalten sie zweitens nur, wenn der Schaden eindeutig auf dieses Verschulden zurückzuführen ist. Dieser Nachweis ist meist schwierig zu erbringen, wohl auch im Fall Ischgl.

Die Kläger und ihr Anwalt Klauser setzen daher bei der Interpretation des Epidemiegesetzes an: Anders als die Finanzprokuratur deuten sie dieses als Schutzgesetz. Das führt zu einer Beweislastumkehr. Laut dieser Deutung muss die Finanzprokuratur den Klägern nachweisen, dass sie sich nicht in Ischgl angesteckt haben.

Mitarbeiter der Bar wurden schon einige Tage vor dem Lockdown positiv getestet. Eine Expertenkommission sagt, der Wintersportbetrieb hätte sofort eingestellt werden müssen. Quelle: dpa
Après-Ski-Bar „Kitzloch“

Mitarbeiter der Bar wurden schon einige Tage vor dem Lockdown positiv getestet. Eine Expertenkommission sagt, der Wintersportbetrieb hätte sofort eingestellt werden müssen.

(Foto: dpa)

Die juristische Auseinandersetzung ist also vertrackt, und der Fall weist auch sonst in mancher Hinsicht große Dimensionen auf. Angeblich haben sich beim Verbraucherschutzverein 6000 Geschädigte gemeldet. Rund ein Drittel von ihnen stammt aus Deutschland, weitere kommen aus den Beneluxstaaten, Großbritannien und der Schweiz.

14 Klagen liegen bereits beim Gericht; Anwalt Klauser strebt zudem eine Art Sammelklage gegen Österreich an. Noch scheint diese aber in einer frühen Phase zu sein. „Wir müssen noch einen Prozessfinanzierer finden“, sagt Klauser. Mindestens ein Teil der Geschädigten dürfte aber eine Rechtsschutzversicherung haben.

Experten kritisieren Kanzler Kurz

Während die juristische Aufarbeitung somit erst am Anfang steht, gibt es bereits einen Expertenbericht zum Verhalten der Behörden. Er stammt von Ronald Rohrer, einem ehemaligen Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs, und wurde im Oktober 2020 veröffentlicht. 

Akribisch zeichnet der Bericht die Ereignisse jener dramatischen Tage nach. Einerseits bringen die Autoren darin für das Verhalten der Behörden ein gewisses Verständnis auf. Im März 2020 seien sich selbst Mediziner uneinig darüber gewesen, wie die Pandemie zu bewerten sei, heißt es etwa. Andererseits sei es im Bezirk Landeck zu „folgenschweren Fehleinschätzungen“ gekommen.

Kurz stellte am 13. März 2020 die ganze Region unter Quarantäne. Doch dafür war er gar nicht zuständig, urteilt Gutachter Ronald Rohrer. Quelle: Reuters
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz steht in der Kritik

Kurz stellte am 13. März 2020 die ganze Region unter Quarantäne. Doch dafür war er gar nicht zuständig, urteilt Gutachter Ronald Rohrer.

(Foto: Reuters)

Anfang März erfuhr die Bezirkverwaltungsbehörde, dass sich isländische Feriengäste angesteckt hatten. Wenig später wurde ein Mitarbeiter des Après-Ski-Lokals „Kitzloch“ positiv auf Covid-19 getestet. Deshalb hätten bereits am 9. März alle Après-Ski-Lokale geschlossen und der Skibetrieb eingestellt werden müssen, heißt es im Bericht. Die Gefahr sei an jenem Tag erkennbar gewesen.

Kritik übt Rohrer auch an Kanzler Kurz. Dieser habe die Quarantäne überraschend angekündigt, ohne dass er für eine solche Maßnahme direkt zuständig gewesen sei. Dadurch sei eine sinnvolle epidemiologische Kontrolle behindert worden.

Obwohl die Kritik Rohrers an den Behörden teilweise hart ausfällt, betont er, es gehe ihm nicht um die Schuldfrage. Diese stellt sich nun in den kommenden Monaten, ja vielleicht Jahren vor Gericht.

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