Corona Bratwurst, Freibier oder Impfpflicht? Was die Verhaltensökonomie über den Umgang mit Impfskeptikern lehrt

Impfwillige können sich im Landkreis Vorpommern-Greifswald am Strand impfen lassen.
Berlin Der Erste holte sich seine Bratwurst um sechs Uhr morgens ab – und bekam im Gegenzug eine Corona-Impfung verpasst. In der thüringischen Kleinstadt Sonneberg kamen am Freitag der vergangenen Woche mehr als 250 Menschen zum „Bratwurst-Impfen“ – das sind 110 oder fast 80 Prozent mehr als an normalen Tagen ohne Wurst.
Seit in vielen Ländern die Impfbereitschaft nachlässt und die nationalen Impfquoten bei der 60-Prozent-Marke verharren, zugleich aber die Delta-Variante eine vierte Ansteckungswelle ausgelöst hat, versuchen die Behörden, die Bürger mit ungewöhnlichen Ideen zur Impfung zu bringen.
In Thüringen ist es die kostenlose Bratwurst, im Sauerland gibt es „Big Macs“, in Peking locken Lebensmittelgutscheine und Kinokarten. In den USA werden die immer noch zahlreichen Impfunwilligen mit Freikarten für Basketballballspiele, Freibier und Geldprämien von 100 Dollar an die Impfnadel gebracht.
„Nudging“ (Anstoßen) nennen Verhaltensökonomen die Anreize, mit denen Gesundheitsbehörden derzeit weltweit versuchen, die Pandemie endlich unter Kontrolle zu bekommen. Der Schlüssel dafür ist eine hohe Impfquote – da sind sich fast alle Wissenschaftler einig.
Das „Nudging“ ist ein bewährtes Mittel, um menschliches Verhalten mit den Anreizen in die gewünschte Richtung zu lenken. Vor allem die Briten setzen seit vielen Jahren auf sanften Druck und haben unter Leitung des Psychologen David Halpern dafür extra ein halbstaatliches „Behavioural Insights Team“ aufgebaut.
Kurze Fahrwege, einfache Terminvereinbarungen und schnelle Durchführung
Die auch unter dem Namen „Nudging Unit“ bekannten Wissenschaftler glauben, dass sich vor allem mithilfe von zwei Anstößen die Impfbereitschaft der Bürger steigern lässt: Wichtig sei es, das Impfen durch kurze Fahrwege, einfache Terminvereinbarung und schnelle Durchführung so einfach und komfortabel wie möglich zu machen. Genauso bedeutsam sei es jedoch, die Bürger durch gezielte Informationen zum Impfen zu motivieren.
Das hat sich gerade die US-Regierung zu Herzen genommen, da die Impfbereitschaft vor allem in den südlichen Bundesstaaten trotz hoher Ansteckungszahlen mit der Delta-Variante immer noch gering ist. Das Weiße Haus hat jetzt rund 50 prominente Influencer aus sozialen Medien wie Tiktok engagiert, um insbesondere die Impfbereitschaft der Zwölf- bis 18-Jährigen zu steigern. Auch Lokalmatadore mit mehr als 5000 Onlinefans können bis zu 1000 Dollar im Monat verdienen, wenn sie die Impfkampagne unterstützen.
Sollte der sanfte Druck nicht reichen, greifen einige Regierungen aber auch zu härteren Maßnahmen. Die Impfpflicht für Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie Impf- oder Gesundheitspässe sorgen in Ländern wie Frankreich und Italien bereits für Proteste der Impfgegner. Auch deutsche Politiker wie der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) drohen Impfunwilligen mit Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheiten.
Wirtschaftswissenschaftler hält wenig von allgemeiner Impfpflicht
Im Handelsblatt-Interview äußert sich der Kölner Wirtschaftswissenschaftler Axel Ockenfels zu der Frage, wie das Impftempo gesteigert werden kann. Von einer allgemeinen Impfpflicht hält der Ökonom wenig. Besser sei eine Impflotterie, bei der nur Geimpfte gewinnen könnten.
Aber auch Verhaltenseinschränkungen für Ungeimpfte würden die Impfquoten nach oben bringen. Um künftige Pandemien schneller zu bekämpfen, rät Ockenfels, die spieltheoretischen Erkenntnisse von Marktdesignern zu nutzen. Wenn der Preismechanismus in Krisen an seine Grenzen stoße, müsse man andere Anreize setzen. Aber auch dabei gebe es manchmal unerwünschte Nebenwirkungen.
Lesen Sie hier das komplette Interview:

Der Wirtschaftswissenschaftler lehrt seit 2003 als Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität zu Köln.
Herr Ockenfels, in vielen westlichen Ländern hat sich das Impftempo deutlich verlangsamt, zugleich entstehen durch die Delta-Variante neue Risiken. In den USA versucht man jetzt, die impfunwilligen Bürger durch Geld- und Sachprämien zu überzeugen. Ist das der richtige Weg?
Der Gedanke ist naheliegend, denn Menschen reagieren auf Anreize. Übrigens auch die Ärzte: Die Entlohnung für einen aufklärenden oder impfenden Arzt könnte ebenso die Impfquote beeinflussen wie Impfprämien, die direkt an die Bürger gehen. Allerdings sollte man mit finanziellen Anreizen bei Impfungen vorsichtig sein, denn es können unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Prämien könnten das Misstrauen der Zögerer und Verweigerer noch vertiefen. Sie könnten auch die intrinsische Impfbereitschaft verdrängen oder die Impfung riskanter erscheinen lassen, als sie ist. Vorschläge dazu sollten daher unbedingt vor einem großflächigen Einsatz getestet werden.
In Großbritannien setzt man in der Coronakrise auf das bewährte „Nudging“, um die Menschen zur kollektiven Vernunft zu bringen. Wie sind die Erfahrungen damit, könnte das auch ein Modell für Deutschland sein?
Einige Ungeimpfte sind unentschlossen oder einfach nur bequem. Für diese Gruppe kann Nudging wirksam sein. Viele Maßnahmen lassen sich schon mit gesundem Menschenverstand und etwas Kreativität erfinden, beispielsweise Drive-in-Angebote, die nahe bei den Menschen, unbürokratisch und zeitlich flexibel sind. Andere Interventionen zur Beeinflussung des Verhaltens sind weniger harmlos und werfen heikle ethische Fragen auf. Denken Sie etwa an personalisierte Kampagnen in sozialen Netzwerken, die sich ausgeklügelter psychologischer und algorithmischer Kniffe bedienen, um unsere Einstellungen und unser Verhalten in bestimmte Richtungen zu bewegen.
Sie haben kürzlich eine Impflotterie vorgeschlagen. Wie soll das funktionieren?
Jeder Bürger und jede Bürgerin könnte automatisch für eine Lotterie registriert werden. Die Lotterie gewinnen kann allerdings nur, wer zum Zeitpunkt der Ziehung auch tatsächlich geimpft ist. So profitieren auch die früher Geimpften von der Lotterie, und Zögern bei der Impfentscheidung wird nicht belohnt.
Was wird dadurch bewegt?
Lotterien besitzen weitere Vorteile im Vergleich zu einigen anderen Interventionen. Sie erzeugen große mediale Aufmerksamkeit und werden schnell zum Gesprächsthema Nummer eins. Außerdem neigen Menschen dazu, besonders auf den Lotteriegewinn zu schielen, die geringe Gewinnwahrscheinlichkeit jedoch zu vernachlässigen, sodass die Ausgaben vergleichsweise gering sind. Schließlich kann das antizipierte Gefühl des Bedauerns, wenn man in der Lotterie gezogen wird, aber als Ungeimpfter leer ausgeht, zusätzlich zur Impfung motivieren.

Die Impfpflicht für Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie Impf- oder Gesundheitspässe sorgen in Ländern wie Frankreich und Italien bereits für Proteste der Impfgegner.
Wie sind die Erfahrungen mit der Impfverlosung?
Vor einigen Tagen sind Daten aus den USA bekannt geworden, die nahelegen, dass der Effekt von Lotterien auf die Impfquote bislang teilweise gering und nur von kurzer Dauer gewesen ist. Auch Lotterien sind also für sich genommen noch kein Allheilmittel für eine vielschichtige Herausforderung.
Grenzen der Freiheit für Ungeimpfte
Was schlagen Sie also vor?
In manchen Ländern sehen wir, dass Geimpfte nicht mehr die gleichen Verhaltenseinschränkungen hinnehmen müssen wie Ungeimpfte, was in der Folge zu steigenden Impfquoten beigetragen hat. Ähnliches wäre auch in Deutschland zu erwarten, wenn Politik und Wirtschaft sich für diesen Weg entscheiden. Über die Wirkung anderer Vorschläge, die derzeit gemacht werden, wissen wir leider recht wenig.
Das könnte man ändern. So wie experimentelle Studien neue Impfstoffe auf Effektivität und Nebenwirkungen testen, so können Studien auch prüfen, welche Maßnahmen zur Erhöhung der Impfquote effektiv sind. Viele Verhaltensforscher machen sich seit Längerem für eine bessere Datenlage stark, denn es war ja klar, dass es zu dieser Herausforderung kommen wird. Doch anders als in Teilen der Wirtschaft ist die Verhaltensforschung bei politischen Entscheidungen und im Gesundheitssektor noch nicht so auf der Tagesordnung.
Letztes Mittel ist eine Impfpflicht, wie sie bereits bei Unternehmen wie Google und Facebook, in einigen US-amerikanischen Universitäten oder für bestimmte Berufsgruppen eingeführt wird. Das ist rechtlich und ethisch umstritten. Wie beurteilt der Ökonom die Impfpflicht?
Auch eine Impfpflicht benötigt am Ende des Tages Anreize in Form von glaubwürdigen Strafen im Falle der Impfverweigerung. Solche Anreize mögen in abgegrenzten Einzelfällen funktionieren und vielleicht eine breite gesellschaftliche Zustimmung erfahren. Aber ich habe noch kein Konzept gesehen, das mich davon überzeugt hat, dass eine allgemeine Impfpflicht erfolgreicher ist und weniger Probleme bereitet hat als ein Mix aus zielgerichteten Maßnahmen.
Inzwischen sind die Impfstoffe in den Industrieländern von einem knappen Gut zu einer Überflussware geworden. Mit welchem Marktdesign bekommt man ein Gleichgewicht hin?
Solange die Impfdosen knapp waren, haben sich die reichen Länder fast alle verfügbaren Impfdosen gesichert, sodass nur enttäuschend geringe Mengen an ärmere Länder verteilt werden konnten. In einem globalen Nullsummenspiel auf Leben und Tod gibt es kaum Auswege aus dieser Tragödie. Moralische Appelle bleiben oft wirkungslos. Es kommt also darauf an, künftig die Spielregeln anders zu gestalten.
Gerechtere Verteilung der Vakzine auch in ärmeren Ländern
Wie das?
Eine Chance ist die Beschleunigung der Impfstoffproduktion, um die Anzahl der Impfdosen zu vergrößern, die überhaupt verteilt werden können. Für die Zukunft kann auch ein reiches Land wie Deutschland bei der Vorbereitung auf biologische Gefahren nur auf wenige Technologien setzen und deshalb von einer international koordinierten, geografischen Streuung der Risiken profitieren. Ärmere Länder mit eigener Impfstoffproduktion und Zugang zu relevanten Technologien ermöglichen eine resilientere und gerechtere globale Versorgung.
Was tut Deutschland für eine gerechtere Verteilung der Impfstoffe?
Deutschland leistet mit seiner Unterstützung afrikanischer Produktionskapazität und den Plänen zur Pandemiebereitschaft der „Taskforce Impfstoffproduktion“ Beiträge dafür, dass sich die Tragödie nicht wiederholen muss.
Wie kann die Spieltheorie dabei helfen, uns auf die nächste Pandemie besser vorzubereiten?
Ein Bereich der Spieltheorie hat sich in den letzten Monaten als besonders erfolgreich herausgestellt: „Marktdesign“. Marktdesigner gestalten Anreize und Märkte, sodass sie robust funktionieren – und zwar gerade dann, wenn Preismechanismen in Krisen an ihre ethischen, sozialen und ökonomischen Grenzen kommen. In den letzten Jahren haben Marktdesigner Mechanismen konzipiert, die helfen, katastrophale Blackouts in Strommärkten, Marktabstürze in Finanzmärkten, Fehlzuteilungen lebenswichtiger Güter und andere Formen des Marktversagens zu reparieren oder gänzlich zu verhindern.
Und wie hilft das in der Pandemie?
Dabei wurden ökonomische Werkzeuge entwickelt, die auch während einer Pandemie nützlich sind, etwa bei der Beschleunigung der Impfstoffentwicklung und -produktion, bei der Ausgestaltung der Anreize bei der Pandemiebereitschaft und bei den Herausforderungen, die sich bei nationalen und globalen Verteilungs- und Kooperationsproblemen ergeben. Zukünftig könnte beispielsweise eine klug ausgestaltete globale Verteilungsplattform im Rahmen der Covax-Initiative wertvolle Dienste für einen koordinierten Austausch und eine faire Verteilung von Impfdosen leisten und zugleich das Horten von Impfdosen eindämmen helfen.
Herr Ockenfels, vielen Dank für das Interview.
Mehr: So gefährlich ist die Delta-Variante wirklich: Das sagt die Wissenschaft
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Es gab zu allen Zeiten immer schon Horden von gefälligen Volksgenossen, die sich unkritisch der jeweils aktuellen Ideologie der Herrschenden freudig unterwarfen. Es ist zu einfach, bequem und verführerisch, die Dinge einfach so zu tun, wie man sie gesagt bekommt. Komfortzone pur.
Der Duktus einer vermeintlich sicheren Mehrheitsmeinung erlaubt demjenigen dabei, herablassend, süffisant und verhöhnend auf "die anderen", "die Dummen" herunter zu schauen und sich in wohltuenden Ego-Gefühlen des "Hach, was bin ich doch für ein Guter" zu baden.
Jedoch - essenziell für dieses "Wohlgefühl" ist nicht die freiheitliche Authentizität. Es ist ein Akt des Mitläufertums, der Konfrontation vermeidet. Es ist brav, es ist folgsam, es ist anbiedernd, es ist unkritisch. Es ist ein Holz, aus dem sich ein jeder Herrschende sich seine Untertanen nur so wünschen könnte.
Wenn dann einer aus der Minderheit eine abweichende Haltung hat, so hat derjenige in aller Regel seine guten Gründe dafür. Er hat Aspekte, die für gewöhnlich über das oberflächliche Massengesumse hinausgehen dürften. Aspekte, die üblicher Weise mit einer extra Portion Aufwand, mit viel "harter Arbeit" für ein Eindringen in ein Thema erst erarbeitet wurden. Es ist die deutlich fundiertere Einschätzung, so dass es als Aberwitz daher kommt, wenn ein "Braver Oberflächenwissenkonsument" einem beleserenen "Querdenker" Verachtung zollt und Dummheit unterstellen wollte.
Es gab immer schon Unkritische, die nix hinterfragt haben - und teils auch tragisch dafür bezahlen mussten. Dies gilt bspw. für Konsumenten von Contergan, Amalgam, Asbest etc. All diese Produkte wurden eine Zeit lang als "Hui" angepriesen - bis die harte Wirklichkeit ein "Pfui" nachgewiesen hatte.
Im Falle einer erstmaligen mRNA-Impfung, zu denen in der Erforschung bspw. sämtliche Tier-Versuche eingestellt wurden, weil keines davon überlebt hatten, ist es nicht ausgeschlossen, dass noch irgendeine unbequeme Wahrheit nachgereicht werden dürfte. Irgendwann.