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Corona-Pandemie Amerikaner jagen in sozialen Netzwerken überschüssigen Impfdosen nach

In Facebook-Gruppen und auf Twitter versuchen US-Bürger, Impfstoffe zu ergattern, die sonst verfallen würden. Der Pragmatismus trägt zur hohen Impfquote bei.
03.04.2021 - 08:18 Uhr Kommentieren
In den USA sind schon rund 150 Millionen Impfdosen gegen Covid-19 verabreicht worden. Quelle: AFP
Impfzentrum in New York

In den USA sind schon rund 150 Millionen Impfdosen gegen Covid-19 verabreicht worden.

(Foto: AFP)

San Francisco Es sind Meldungen, die in Zeiten einer Pandemie die Bürger schockieren: Im US-Bundesstaat Massachusetts wurden Anfang des Jahres 1200 Impfdosen weggeworfen, weil Menschen nicht zu ihren Impfterminen erschienen waren. Eine Gemeinde im ländlichen Missouri musste 143 ungenutzte Impfdosen aus ähnlichen Gründen entsorgen, eine Gesundheitsbehörde in der Metropolregion Phoenix, Arizona, mehr als 500 Dosen.

Angesichts von rund 150 Millionen Covid-19-Impfungen, die in den USA bisher verabreicht wurden, sind solche Zahlen zwar winzig. Zudem ist das Land im internationalen Vergleich recht weit mit den Impfungen. Doch wer verzweifelt auf der Suche nach einem Impftermin ist, den erzürnen diese Nachrichten.

Nach wie vor ist die Verfügbarkeit des Impfstoffs auch in den USA der Flaschenhals, weshalb fast alle Bundesstaaten erst bestimmte Bevölkerungsgruppen zum Impfen zugelassen haben: beispielsweise über 65-Jährige, Arbeitnehmer in systemrelevanten Berufen, Diabetiker, Schwangere, Patienten mit Vorerkrankungen.

Doch selbst diejenigen, die sich theoretisch impfen lassen dürfen, haben oft Probleme, einen Termin zu ergattern. Angeblich zentralisierte Websites zur Terminvergabe haben technische Mängel oder zeigen schlichtweg nicht alle verfügbaren Optionen an.

Es kommt immer wieder vor, dass Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken am Ende eines Tages auf Impfdosen sitzen bleiben, wenn Patienten nicht zu ihrem Termin erschienen sind. Doch die in den USA bisher dominierenden Vakzine von Pfizer/Biontech und Moderna unterliegen strengen Auflagen: Einmal aufgetaut, müssen die Dosen innerhalb weniger Stunden verbraucht werden – oder sie landen im Müll.

Da der Staat bisher daran gescheitert ist, eine universelle Plattform für verfügbare Impftermine aufzustellen, versuchen das nun private Anbieter. Mehr als 2,2 Millionen Amerikaner haben sich inzwischen dem Portal „Dr. B“ angeschlossen: Nutzer registrieren sich dort mit den gleichen Daten, die ihre lokalen Gesundheitsbehörden erheben würden – ob sie an gewissen Vorerkrankungen leiden oder bestimmten Berufsgruppen angehören. Je nachdem, wie eine Gemeinde die Prioritätskriterien für Impfungen definiert hat, sortiert „Dr. B“ dann die Nutzer in Untergruppen.

Plattform „Dr. B“ koordiniert die Warteliste

Innerhalb dieser Gruppen werden zuerst diejenigen benachrichtigt, die sich als Erste auf der Plattform registriert haben. Sollten in ihrem Umkreis Impfdosen kurzfristig verfügbar werden, erhalten sie eine Textnachricht aufs Handy, auf die sie innerhalb von 15 Minuten antworten müssen. Danach müssen sie schnellstmöglich zu der Impfstation fahren. Im Augenblick konzentriere man sich ganz auf den amerikanischen Markt, teilt die Firma auf Anfrage mit.

Hinter der Plattform steht der New Yorker Technologie-Unternehmer Cyrus Massoumi. Er hat Erfahrung damit, Angebot und Nachfrage zu vereinen: Seine Plattform „Zocdoc“ hilft Patienten, Arzttermine zu vereinbaren, und sein Portal „Shadow“ bringt Tierbesitzer mit ihren verlorenen Haustieren zusammen. Massoumi benannte „Dr. B“ nach seinem Großvater Dr. Bubba, der während der Influenza-Pandemie im Jahr 1918 als Arzt arbeitete. Ein Erlösmodell stehe nicht dahinter, sagt Massoumi; er finanziere das Projekt aus der eigenen Tasche.

Kritiker bemängeln, dass solche Plattformen vor allem Personen hälfen, denen es finanziell so gut gehe, dass sie ständig auf ihr Handy schauen und kurzfristig zu einer Impfstelle fahren könnten. Aus genau diesem Grund hatte Massoumi „Dr. B“ zunächst in Videocalls mit Vertretern von afroamerikanischen Kirchen und Ureinwohnern vorgestellt, wie er sagt, bevor er großen Medienhäusern wie der „New York Times“ Interviews gab. Die Pandemie hat in Amerika nichtweiße Bevölkerungsgruppen besonders hart getroffen.

„Impfstoffjäger“ auf Facebook und Twitter

Massoumis Plattform ist nur eine von vielen Möglichkeiten, wie Amerikaner zurzeit versuchen, an überschüssige Impfdosen zu kommen. Sogenannte Bots, also automatisierte Programme, benachrichtigen etwa Nutzer von Twitter in Massachusetts, sobald in ihrer Nähe Impftermine frei werden.

Die Website „Vaccine Hunter“ sammelt Informationen von Behörden und lokalen Gruppen zu freien Impfterminen. Auch auf Plattformen wie Facebook, Twitter und Reddit tauschen die Bürger Erfahrungen aus. „Was sind die besten Orte in Los Angeles, um überschüssige Impfstoffe zu finden?“, fragt etwa die Nutzerin Heather McCallum die 6200 Mitglieder der Facebook-Gruppe „California Vaccine Hunters“, „Kaliforniens Impfstoffjäger“.

Ein Nutzer empfiehlt die Geschäfte der Apothekenkette Rite Aid ab 19.15 Uhr: „Setz dich ins Auto und fahr jede Filiale in deiner Nähe ab“, das habe bei ihm geklappt. In einer ähnlichen Gruppe namens „Bay Area Vaccine Hunters“ mit 14.200 Mitgliedern erzählt der Nutzer Matthew Cook, dass er zwar kurzfristig eine erste, überschüssige Dosis des Biontech-Pfizer-Impfstoffs in einer Apotheke ergattert habe – nun aber Probleme habe, einen Termin für die zweite Dosis zu finden.

Telefonisch bestätigen einzelne Apotheken in San Francisco, dass sie gegen Abend häufiger überschüssigen Impfstoff haben. Manche Niederlassungen führen Listen mit Interessierten, die in der Nähe leben und kurzfristig vorbeikommen könnten – egal, ob sie offiziell an der Reihe sind oder nicht. Andere Impfstellen telefonieren zunächst Wartelisten mit Personen ab, welche die gerade gültigen Kriterien erfüllen. Das allerdings bedeutet einigen Aufwand für die Mitarbeiter.

Moralisch verwerflich?

In den Internetforen taucht immer wieder die Frage auf, ob es moralisch verwerflich sei, überschüssige Impfdosen in Anspruch zu nehmen, wenn man selbst noch nicht an der Reihe sei. In der Schweiz und in Deutschland haben solche Fälle schon mehrfach öffentliche Empörung ausgelöst.

In den USA hingegen empfiehlt sogar ein Gremium, das die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC in Bezug auf Impfpraktiken berät, einen „flexiblen Ansatz“, um die Impfstoffe effizient zu verteilen.

Der US-Präsident hat angekündigt, dass bis etwa Mitte April 90 Prozent der erwachsenen Bürger ein Impfangebot erhalten sollen. Quelle: Bloomberg
Joe Biden

Der US-Präsident hat angekündigt, dass bis etwa Mitte April 90 Prozent der erwachsenen Bürger ein Impfangebot erhalten sollen.

(Foto: Bloomberg)

Diese Ansicht teilt auch Craig Klugman, Professor für Bioethik an der Universität DePaul in Illinois. In der medizinischen Ethik definiere man Gerechtigkeit so, dass eine knappe Ressource auf solche Art verteilt werden müsse, dass sie den meisten Leuten zugutekomme und nichts verschwendet werde, sagt er. „Wenn wir eine Impfdosis wegwerfen, nützt das niemandem.“ 

Außerdem bewirke dieses Wegwerfen, dass es noch länger dauere, bis alle geimpft seien – was wiederum das Risiko für eine weitere Infektion oder einen weiteren Todesfall erhöhe. Klugman warnt auch davor, andere vorschnell zu verurteilen, wenn sie eine Impfung ergattert hätten. In der Ethik spreche man vom Konzept des doppelten Effekts: „Wenn ein Impfstoff in jemandes Arm landet, ist das ein besseres Ergebnis, als wenn der Impfstoff weggeschmissen wird.“ Damit sei die Handlung ethisch vertretbar.

Klugman erzählt, dass auch er gerade seine erste Impfung erhalten habe, weil eine Impfstelle Überschuss gehabt habe. Er habe lange darüber nachgedacht, ob er das tun solle oder ob er damit jemand anderem Impfstoff wegnehme. Die Impfstelle habe ihm geantwortet, dass er nach der Warteliste durchaus an der Reihe sei und der Impfstoff weggeworfen werde, wenn er ihn nicht wolle. Für Klugman war seine Entscheidung damit klar.

Mehr: Neue Studien wecken Hoffnung auf wirksame Medikamente gegen Covid-19

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