Corona-Pandemie In Australien droht die „Zero Covid“-Strategie an der Delta-Variante nun zu scheitern

Die Neuinfektionen in der Metropole trieben am Wochenende die Fallzahlen des Bundesstaats New South Wales auf einen Höchststand.
Bangkok Australiens Traum von einem Leben ohne Covid-19 droht in Sydney zu enden. Die bevölkerungsreichste Stadt des Landes ging Ende Juni in einen Lockdown, um die Fallzahlen nach einem lokalen Ausbruch wieder gegen null zu drücken. Doch in der siebten Woche der harten Restriktionen ist das Erreichen dieses Ziels nicht einmal annähernd in Sicht.
Die Neuinfektionen in der Metropole trieben am Wochenende die Fallzahlen des Bundesstaats New South Wales auf einen neuen Höchststand. Die Entwicklungen in Australien geben der Debatte darüber, ob die „Zero Covid“-Strategie funktionieren kann, neuen Antrieb.
Bisher galt der fünfte Kontinent mit seinem Null-Fall-Ansatz als einer der erfolgreichsten Pandemiebekämpfer der Coronakrise. Mit strengen Reisebeschränkungen, einer peniblen Kontaktnachverfolgung und lokalen Lockdowns zur Bekämpfung kleinerer Ausbrüche gelang es dem 25-Millionen-Einwohner-Land, die Gesamtzahl der Todesfälle auf weniger als 1000 und die der bestätigten Infektionen auf knapp 37.000 Fälle zu begrenzen. Das ist nur etwas mehr als der Höchststand, den Deutschland an einem einzigen Tag erfasste.
In den vergangenen anderthalb Jahren konnten die Australier deshalb die meiste Zeit einen fast vollständig Corona-freien Alltag führen. Doch mit der Ausbreitung der hochansteckenden Delta-Variante droht das Land nun die Kontrolle über das Virus zu verlieren.
Der aktuelle Ausbruch in New South Wales und seiner Hauptstadt Sydney ist den Untersuchungen der Kontaktnachverfolger wahrscheinlich auf das Kabinenpersonal eines aus dem Ausland kommenden Flugzeugs zurückzuführen. Ein Limousinenfahrer soll sich bei einer der Personen auf der Fahrt in ein Quarantänehotel angesteckt haben. Dass das Virus immer mal wieder aus dem Quarantänesystem in die allgemeine Bevölkerung durchbricht, hat Australien in den vergangenen Monaten mehrfach erlebt. Schnelle Gegenmaßnahmen waren aber in der Regel genug, um größere Ausbrüche zu verhindern.
Epidemiologen halten erneute Eliminierung des Virus für unwahrscheinlich
Das ist dieses Mal anders: Inzwischen stecken sich in New South Wales täglich Hunderte Einwohner an – den höchsten Anstieg gab es am Samstag mit 319 neuen Fällen. Der Lockdown in Sydney, der bis mindestens Ende des Monats gelten soll, wurde am Montag auch auf die Kleinstadt Tamworth ausgeweitet – aus Sorge, dass sich die Infektionswelle nun auch in ländlichen Gebieten ausbreiten könnte.
Epidemiologen wie Tony Blakely, der an der Universität Melbourne forscht, gehen unterdessen davon aus, dass Australien wohl nie wieder einen Tag mit null Neuinfektionen erleben werde. „Die Delta-Variante hat das Regelwerk geändert“, kommentierte er. Auch die Regierungschefin von New South Wales, Gladys Berejiklian, scheint nicht mehr daran zu glauben, dass sie mit den Lockdowns das Virus vollständig eliminieren wird können. „Angesichts der Höhe der aktuellen Fallzahlen und der Erfahrungen mit der Virusvariante im Ausland, werden wir nun auf die eine oder andere Art mit Delta leben müssen – das ist jetzt ziemlich offensichtlich.“
Das derzeitige Leben mit Delta ist für die Bürger ihres Bundesstaats jedoch mit vielen Einschränkungen verbunden. Für die Einwohner von Sydney gilt eine sogenannte „Stay at home“-Anordnung: Sie dürfen ihr Zuhause nur verlassen, um essenzielle Güter im Umkreis von zehn Kilometern einzukaufen, medizinische Hilfe aufzusuchen, im Freien Sport zu treiben und zur Arbeit zu gehen, wenn Homeoffice nicht möglich ist. Um die Befolgung der Maßnahmen besser zu kontrollieren, wurden vergangene Woche 300 Soldaten in die Metropole entsandt.
Volkswirte gehen davon aus, dass die Restriktionen die Wirtschaft des G20-Staates spürbar treffen werden. Analysten der Bank ANZ erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Quartal um 1,3 Prozent schrumpfen wird. Die australische Commonwealth Bank zeigt sich sogar noch pessimistischer. Sie erwartet ein Minus von 2,7 Prozent. „Das ist die unvermeidbare Konsequenz, wenn man große Teile der Wirtschaft lahmlegt“, kommentierte deren Chefvolkswirt Gareth Aird. „Die Beschäftigung wird sinken und die Arbeitslosigkeit wird steigen.“
Der Unmut in der Bevölkerung wächst
Der Bundesstaat New South Wales steht für rund ein Drittel der australischen Wirtschaftsleistung. Die Millionenstadt Sydney allein ist für rund ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes verantwortlich. Von einem Lockdown betroffen ist derzeit auch Melbourne, Australiens zweitgrößte Stadt, die im Bundesstaat Victoria liegt. Sie verzeichnete am Montag elf neue Infektionsfälle.
Gegen die Lockdowns gab es zuletzt vereinzelte Proteste. Doch während die Demonstranten derzeit in der Minderheit sind, wächst auch in der Gesamtbevölkerung der Unmut über die Pandemiepolitik. Die Unterstützung für das Vorgehen von Regierungschef Scott Morrison in der Krise fiel laut einer Umfrage der Zeitung „The Australian“ von 85 Prozent im April vergangenen Jahres auf einen Tiefstand von nun 48 Prozent.
Besonders umstritten ist die nur langsam anlaufende Impfkampagne der Regierung. Bisher sind erst 18 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Zwar verfügt Australien über ein großes Angebot an Astra-Zeneca-Impfdosen. Doch Berichte über Blutgerinnsel in seltenen Fällen haben dem öffentlichen Ansehen des Impfstoffs stark geschadet. Von den von vielen Australiern bevorzugten mRNA-Impfstoffen wie dem Vakzin von Pfizer/Biontech verfügt das Land nur über geringe Mengen. Bis Jahresende verspricht Morrison die Lieferung von zehn Millionen Impfdosen des US-Herstellers Moderna.
Ein von der Denkfabrik Grattan Institute vorgelegter Plan, forderte zuletzt die Lockdown-Politik erst ab einer Impfquote von 80 Prozent zu beenden. „Mit unserer ‚Zero Covid‘-Strategie wurden wir zu einem der Länder mit den geringsten Todesraten weltweit“, heißt es darin. Angesichts der Delta-Variante sei diese Strategie nun zwar schwerer umsetzbar. Man dürfe aber nicht durch einen verfrühten Abschied von dem vorsichtigen Ansatz die bisherigen Erfolge gefährden.
Auch Morrisons Regierung plant keine grundsätzliche Änderung: Finanzminister Simon Birmingham betonte am Montag, dass Lockdowns in Australien weiter nötig seien, „um die Delta-Variante zu besiegen und unsere weltweite Spitzenposition bei der Rettung von Leben beizubehalten“.
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Es ist mir ein Rätsel, wie man im 21. Jahrhundert der ernsthaften Meinung sein kann, die Natur (ob nun Pandemie oder Klima) wäre kontrollier- oder besiegbar.