Corona-Pandemie in den USA Impfpartys und Leichenwagen: Zu Besuch im US-Covid-Hotspot Tennessee

Tennessee steht exemplarisch für das, was die amerikanische Covid- und Impfkampagne kennzeichnet: Politisierung und Desinformation.
Chattanooga, Tennessee LaDarius Price hat seinen 41. Geburtstag am Samstag auf eine ganz besondere Art gefeiert. Der farbige Amerikaner hat Hunderte von Menschen zur Party mit „Vaccine Drive“ an seiner ehemaligen Highschool eingeladen. Es ist eine Art Impfparty, bei der die Gäste feiern, Sport machen, etwas lernen und sich außerdem gegen Covid-19 immunisieren lassen können.
„Hier standen die Impftische, da drüben war der Finanz-Workshop, dort die Fitness-Session und da hinten gab es Covid-Tests“, erklärt der bärtige Mann im blauen Jackett mit Einstecktuch über der modisch angerissenen Jeans, während er zwei Tage später über die Wiese am Rande des Footballfelds der Brainerd High School schreitet.
In Chattanooga im Bundesstaat Tennessee ist LaDarius Price eine lokale Berühmtheit. Der tätowierte Mann mit Holzperlenarmband ist Vater von fünf Kindern und Jugendpastor seiner Kirche. Außerdem ist er verantwortlich für die schwarze Bevölkerung bei der Impfkampagne von „Get Vaccinated Chattanooga“. Er will die Menschen in der 180.000-Einwohner-Stadt davon überzeugen, sich impfen zu lassen. Aber das ist keine leichte Aufgabe.

Lokale Berühmtheit in Chattanooga.
Tennessee ist derzeit der absolute Hotspot in den USA, was die Covid-Inzidenzen und Toten angeht. In den letzten zwei Wochen ist die Zahl der an Corona Verstorbenen in Tennessee um 49 Prozent gestiegen.
Insgesamt sind in dem 6,8 Millionen-Einwohner-Staat bereits mehr als 14.000 Menschen an Covid gestorben. Krankenhäuser wissen nicht mehr wohin mit ihren Toten und bestellen Kühlwagen als Leichenhallen – wie in New York auf dem Höhepunkt der Pandemie im vergangenen Frühjahr.
Tennessee steht exemplarisch für das, was die amerikanische Covid- und Impfkampagne kennzeichnet: Politisierung und Desinformation. Auf der einen Seite sind die Themen Impfen und Masken omnipräsent in der Politik. Auf der anderen Seite haben ganze Bevölkerungsgruppen Angst vor den Vakzinen – allen voran die Schwarzen.
Impfverweigerung als politisches Statement
Der schwarze Taxifahrer vom Flughafen in Chattanooga trägt keine Maske und verzieht das Gesicht, wenn die Kundin das Autofenster hinten herunterlässt. „Was immer Sie wollen“, sagt er verächtlich.
Der Nagelsalon in der Innenstadt von Chattanooga ist voll besetzt mit Frauen. Die Ladentür ist wegen der Klimaanlage geschlossen. Von Masken fehlt hier ebenso jede Spur wie im Shoppingcenter nebenan. In einem Laden der Mennoniten außerhalb der Stadt sind zwar Hunde und nackte Oberkörper verboten. Aber zu Masken oder Vakzinen gibt es keinerlei Hinweise.
Das Verweigern von Masken und Impfung ist in den USA zum politischen Statement geworden. Auf der einen Seite stehen die größtenteils demokratischen Maskenträger und Geimpften, auf der anderen Seite die freiheitsliebenden Republikaner, die Masken an Schulen und öffentlichen Orten nicht als Schutz der Gesundheit, sondern als staatlichen Übergriff werten und verurteilen. Das gilt auch im republikanisch dominierten Tennessee.
Mehr als 60 Prozent der Wähler hier haben bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen für Donald Trump gestimmt. Der hat zwar die Entwicklung von Covid-Vakzinen während seiner Präsidentschaft mit zehn Milliarden Dollar unterstützt und sich auch selbst impfen lassen wie die meisten republikanischen Politiker. Aber er macht dennoch gegen Impf- und Testvorschriften wie die von Joe Biden als Angriff auf die amerikanische Freiheit mobil.

Nur 44 Prozent der Bewohner von Tennessee sind geimpft.
Nur 44 Prozent der Bewohner von Tennessee sind geimpft. Bei den Schwarzen ist es sogar nur ein Drittel. In den wenigen Schulen, die eine Maskenpflicht für Schüler und Lehrer eingeführt haben, kam es bereits zu gewalttätigen Übergriffen und Drohungen von Eltern. „Wir wissen, wer ihr seid“, droht in einem Video ein Vater in der Kleinstadt Franklin. „Wir werden euch finden!“, mahnt er.
„Ich selbst war auch ein Skeptiker"
Während die USA im Frühjahr bei der Impfung ihrer Bevölkerung ganz vorn waren, sind sie nun weit zurückgefallen mit Impfquoten, die niedriger liegen als in der EU. Vor allem in Staaten mit niedrigen Impfquoten verbreitet sich das Delta-Virus weiter und auf den Intensivstationen werden wieder die Betten knapp. Auch der wirtschaftliche Aufschwung ist gefährdet, weil die Unternehmen die Rückkehr in die Büros weiter verschieben müssen und der Tourismus ins Stocken gerät.
„Unsere Geduld ist am Ende“, hat Joe Biden am 10. September gesagt, als er per Dekret eine breit angelegte Impf- und Testpflicht für fast 100 Millionen Amerikaner angeordnet hat. Danach müssen Bundesangestellte und Mitarbeiter von Unternehmen sowie Krankenhäusern, die Bundesgelder bekommen, sich impfen oder jede Woche testen lassen. Bidens politische Gegner kritisieren diese Maßnahmen als verfassungswidrig.
Aber es sind nicht nur viele Republikaner, die sich gegen das Vakzin sträuben. Auch bei den schwarzen Amerikanern – egal welcher politischen Gesinnung – sitzt das Misstrauen tief. „Ich selbst war auch ein Skeptiker“ erzählt Price. „Ich habe mich erst impfen lassen, als ein guter Freund von mir mit 51 Jahren an Covid gestorben ist.“
Viele Schwarze trauten dem staatlichen Gesundheitssystem nicht, erklärt Price. Das liege oft an schlechten persönlichen Erfahrungen, die sie gemacht haben und an den schrecklichen medizinischen Experimenten, die der Staat in der Vergangenheit an schwarzen Amerikanern exerziert hat – wie etwa die Syphilis-Studie in den 30er-Jahren. „Außerdem informieren sich viele von uns nicht bei den richtigen Quellen, sondern hören lieber auf die Nachbarn oder die sozialen Medien.“
Schwarzes Impfpersonal um Vertrauen zu schaffen
40 Leute hätten sich auf seiner Feier impfen lassen, sagt Price. Er engagierte farbiges Gesundheitspersonal, um Vertrauen zu schaffen. „Hätte ein weißes Impf- und Testpersonal den gleichen Erfolg gehabt? Nein!“, ist sich Price sicher. Auch die 50 Dollar Honorar pro Impfdosis werden wohl einige Partygäste überzeugt haben, vor allem die jungen. Und angesichts steigender Zahlen von Infizierten und Toten im Bekanntenkreis finde ein Umdenken statt. „Bis Covid nicht an deine Tür klopft, nimmst du es nicht ernst“, sagt Price.
Der Student Aaron Gentry, der in einem Restaurant in der Innenstadt von Chattanooga als Kellner arbeitet, glaubt allerdings, dass selbst das bei einigen nicht reicht, um sie umzustimmen. Gentry ist zwar selbst geimpft. Aber sein Onkel etwa sei ein überzeugter Impfgegner: „Er hatte selbst schon zweimal Covid und seine fünfjährige Tochter war auf der Intensivstation. Die Leute hier sind stur.“
Mit den neuen Biden-Regeln müssten sich bald viele Leute auch in Tennessee zwischen Impfen oder Arbeitslosigkeit entscheiden, meint Gentry. „Es gibt viele, die lieber ihren Job verlieren werden.“
Die wichtige Rolle der Kirchen im Süden der USA
Sogar der Impfprediger LaDarius Price stößt an seine Grenzen, wenn es um die eigene Familie geht: Seine 13-jährige Tochter hat sich zwar impfen lassen. Aber sein 18-jähriger Sohn tat es nur deshalb, weil er sonst sein Footballstipendium am College verloren hätte. Seine 15-jährige Tochter weigert sich bis heute, weil ihre Freunde das auch nicht machen. Ihr Vater akzeptiert das und hat gleichzeitig seine Zweifel, ob das harte Durchgreifen von Biden wirklich etwas bringt.

Mittlerweile rufen erste Priester zum Impfen auf.
Lange haben vor allem in den impfresistenten Südstaaten sogar Pfarrer zum Vakzin-Boykott aufgerufen. Doch seit einigen Wochen werden die Stimmen jener Prediger lauter, die die Menschen zum Impfen aufrufen – auch wenn das in ihren Gemeinden nicht immer gerne gehört wird.
„Ich glaube, Pastoren sollten keine Angst haben zu sagen, dass es okay ist, das Vakzin zu nehmen“ sagt Micah Fries, Direktor des interkonfessionellen „Multi-Faith Neighbors Network“ in Tennessee. „Vor allem, wenn man realisiert, dass spirituelle Leitfiguren breite Bevölkerungsgruppen beeinflussen können“, sagt er und lobt berühmte evangelikale Pastoren wie Franklin Graham. Der Sohn des berühmten Erweckungspredigers Billy Graham hat zuletzt seine Zuhörer aufgerufen, sich impfen zu lassen. „Wir brauchen mehr davon“, meint Fries.
Auch LaDarius Price setzt auf den Einfluss der Kirche und wird das nächste Impf-Happening bei einer Kirche veranstalten. Außerdem versucht er als Jugendpastor Einfluss zu nehmen. Einige der von ihm betreuten Kinder haben sich schon impfen lassen, berichtet er zufrieden. Jetzt muss er nur noch seine Tochter überzeugen.
Mehr: Infiziert trotz Vollimpfung: Was Impfdurchbrüche für den Kampf gegen Corona bedeuten.
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