Corona-Schulden Großbritannien leitet Kehrtwende bei der Unternehmensbesteuerung ein

Ob der Schatzkanzler am Ende als Held aus der Pandemie hervorgeht, ist jedoch noch nicht ausgemacht.
London Großbritannien leitet eine Kehrtwende bei der Unternehmensbesteuerung ein. Nach zehn Jahren, in denen der Körperschaftsteuersatz stetig gesenkt wurde, soll er im Jahr 2023 von derzeit 19 auf 25 Prozent steigen. Bestimmte kleinere Unternehmen sind von der Erhöhung ausgenommen.
Man könne die Schulden in der Coronakrise nicht unbegrenzt wachsen lassen, erklärte der konservative Schatzkanzler Rishi Sunak am Mittwoch in seiner Haushaltsrede im Parlament. Wenn die Wirtschaft auf dem Weg der Erholung sei, müsse man die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen.
„Ich weiß, dass die Änderungen nicht populär sind, aber sie sind ehrlich“, sagte er. Die Alternative wäre, die Steuern für arbeitende Menschen zu erhöhen. „Das wäre nicht richtig.“ Allerdings nahm er auch geplante Entlastungen bei der Einkommen- und Kapitalertragsteuer zurück.
Die Steuererhöhungen zeigen, wie sich der Fokus der Finanzpolitik auf die Reduzierung des Corona-Schuldenbergs verschieben wird. In Großbritannien wird bereits seit Längerem darüber debattiert, welche Steuern wann erhöht werden sollten. Ökonomen halten Steuererhöhungen zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht, weil diese den Aufschwung abwürgen könnten.
Deshalb betonte Sunak, dass der neue Körperschaftsteuersatz erst ab April 2023 greifen werde, wenn der unmittelbare Corona-Schock überstanden sein sollte. Auch seien kriselnde Unternehmen nicht davon betroffen, weil ja nur Gewinne besteuert würden. Im Übrigen liege das Land mit dem Satz von 25 Prozent immer noch am unteren Ende der G7-Gruppe der führenden Industrieländer.
Um Kritiker zu besänftigen, kündigte der Finanzminister überraschend eine Entlastung für Unternehmen an, die investieren. Sie dürfen in den kommenden zwei Jahren 130 Prozent der Investitionskosten von der Steuer absetzen. Wenn dieser „Super-Abzug“ zu zehn Prozent mehr Investitionen führe, springe das Königreich im OECD-Ranking von Platz 30 auf Platz eins, sagte Sunak.
Pläne für neue Infrastrukturbank
So will er die britische Wirtschaft nach der Coronakrise ankurbeln. Auch soll eine neue Infrastrukturbank im nordenglischen Leeds entstehen, die nach dem Brexit als Ersatz für die Europäische Investitionsbank dienen soll. Sie soll ein Startkapital von zwölf Milliarden Pfund haben.
Wie sein deutscher Kollege Olaf Scholz steht Sunak vor einem Balanceakt: Auf der einen Seite muss er die Staatsfinanzen langfristig wieder konsolidieren, auf der anderen die von der Coronakrise schwer getroffene Wirtschaft weiter unterstützen.
Zunächst wird der Schuldenberg weiterwachsen. „Wir werden weiterhin alles tun, was nötig ist“, sagte Sunak. Am Mittwoch kündigte er weitere Hilfen in Höhe von 65 Milliarden Pfund (75 Milliarden Euro) an. Unter anderem soll die Kurzarbeit noch einmal um fünf Monate bis Ende September verlängert werden.
Insgesamt erhöhen sich die britischen Corona-Ausgaben damit auf 407 Milliarden Pfund. Zum Vergleich: Deutschland hat bisher rund 700 Milliarden Euro angekündigt.
Die unabhängige Haushaltsbehörde erwartet, dass die britische Staatsverschuldung in der Folge auf bis zu 97,1 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2023 ansteigt. Allein dieses Jahr liegt die Neuverschuldung bei 17 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Am Tag vor seinem großen Auftritt im Parlament hatte Sunak bereits ein fünfminütiges Video über sein erstes Jahr im Amt ins Internet gestellt. Die Hollywood-reife Inszenierung als oberster Corona-Bekämpfer hatte vor allem eine Botschaft: Der junge Minister läuft sich als Nachfolger für Premier Johnson warm.
Ob der Schatzkanzler am Ende als Held aus der Pandemie hervorgeht, ist jedoch noch nicht ausgemacht. Die britische Wirtschaft ist 2020 um 9,9 Prozent eingebrochen. Im europäischen Vergleich schnitt nur Spanien schlechter ab. Der Lockdown seit Anfang Januar führt dazu, dass die zweitgrößte europäische Volkswirtschaft auch im ersten Quartal noch schwächelt.
Allerdings erwarten Ökonomen, dass sich das Blatt bald wendet. Großbritannien könnte in diesem Jahr eine der stärksten Wachstumsraten unter den führenden Industrieländern haben, meint etwa Andrew Goodwin von der Beratungsfirma Oxford Economics.
Die Aussicht, dass bis zum Sommer alle Erwachsenen im Land gegen das Coronavirus geimpft sein könnten und der Lockdown bis Juni schrittweise gelockert wird, lässt einen starken Aufschwung erwarten. „Alles deutet darauf hin, dass Großbritannien im zweiten Quartal positiv überraschen wird“, sagt David Owen, Ökonom bei der US-Investmentbank Jefferies.
Haushalte haben sich viel Geld zurückgelegt
Ein Faktor, der den Aufschwung befeuern dürfte, ist die hohe Sparquote. Gerade besserverdienende Haushalte haben in der Krise viel Geld zurückgelegt.
Sobald der Lockdown vorbei sei, werde die Bevölkerung „wie eine Sprungfeder“ ihre Spannung entladen und einen Konsumboom auslösen, meint der Chefvolkswirt der Bank of England, Andy Haldane. Er erwartet einen „ziemlich robusten Aufschwung“.
Die unabhängige Haushaltsbehörde rechnet mit einem Wachstum von vier Prozent in diesem Jahr und 7,3 Prozent im kommenden Jahr. Die Arbeitslosigkeit soll nun auf maximal 6,5 Prozent steigen.
Sollte sich diese Prognose bewahrheiten, läge die Arbeitslosigkeit nach der Coronakrise niedriger als nach der Finanzkrise 2009. Das zeigt, welch großen Unterschied das in Großbritannien neue Instrument der Kurzarbeit gemacht hat.
Sunak drängt auch deshalb auf die Konsolidierung der Staatsfinanzen, weil er eine Inflation und einen Anstieg der Notenbankzinsen befürchtet. Wenn der Leitzins um einen Prozentpunkt steigt, kostet das den Staat 25 Milliarden Pfund an zusätzlichen Zinsen.
Doch wird seine Aufgabe in den kommenden Jahren nicht leichter. Denn ein guter Teil der Corona-Ausgaben ist nicht temporär. So werden die Ausgaben für das nationale Gesundheitssystem auf einem höheren Niveau bleiben. Auch will sein Chef Johnson den Aufschwung durch staatliche Ausgabenprogramme für Infrastruktur befeuern.
Während sich die konservativen Vorgängerregierungen nach der Finanzkrise durch ihren Sparkurs hervorgetan haben, gilt diese Option unter Johnson als verpönt. Der Premier will seine Unterstützer in der Arbeiterschicht nicht verschrecken und inszeniert sich als roten Tory. Daher wird Sunak auf Wachstum bauen müssen – und um weitere Steuererhöhungen nicht herumkommen.
Vorerst kein Steuerwettbewerb
In einen internationalen Steuerwettbewerb, wie von manchen in der EU befürchtet, wird Großbritannien daher wohl nicht so bald eintreten. Die Regierung will aber an einigen Stellschrauben drehen, um den Finanzplatz London attraktiver zu machen. Eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie empfahl am Mittwoch, die Regeln für Börsengänge zu ändern, um mehr Tech-Firmen an die Londoner Börse zu locken.
So sollen Firmen bei einem IPO künftig nur noch 15 statt 25 Prozent ihrer Anteile an den Markt bringen müssen. Auch werden Dual-Class-Anteile erlaubt wie in den USA. Beides macht es Gründern leichter, auch nach einem Börsengang die Kontrolle über ihre Firma zu behalten.
Ebenso werden die Regeln für Spacs gelockert, damit London an dem US-Boom teilhaben kann. Spacs sind „Blankoscheck“-Hüllen, die erst Geld von Anlegern sammeln und sich dann ein Übernahmeziel suchen.
Es wird erwartet, dass die Regierung die Empfehlungen umsetzt. „Wir sind entschlossen, den Ruf Londons bei Investoren zu verbessern, nachdem wir die EU verlassen haben“, sagte Sunak.
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