Coronafolgen Thailands Abschottung mündet in Asiens heftigste Wirtschaftskrise

Für Thailands Tourismusbranche ist der abrupte Coronacrash das Ende eines jahrelangen, beispiellosen Booms.
Krabi Mit Ausflügen zu den Trauminseln in Thailands Süden hat sich Onsri Ruedudee drei Jahrzehnte lang ihren Lebensunterhalt verdient. Doch ohne Touristen kann die 55 Jahre alte Bootsführerin auch mit den schönsten Stränden der Region kein Geld verdienen.
In der Hoffnung auf Kundschaft kommt die braungebrannte Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann Tagestouren durch die Andamanen-See anbietet, trotzdem jeden Tag zur Bootsanlegestelle in der Ao-Nang-Bucht der populären Urlaubsdestination Krabi. Meistens wartet sie vergeblich. „In der Nebensaison haben wir normalerweise an vier Tagen in der Woche eine Buchung“, sagt sie. „Jetzt sind wir froh, wenn wir einen Tag pro Woche beschäftigt sind.“
Seit Anfang April lässt Thailand keine Touristen mehr ins Land – aus Sorge davor, dass Urlauber eine neue Corona-Welle auslösen könnten. Bislang hat das gut funktioniert: Seit mehr als zwei Monaten wurde in dem südostasiatischen Urlaubsland keine einzige lokale Infektion mehr festgestellt. Doch die Abschottungsstrategie hat einen hohen Preis: Der vom Tourismus abhängigen Volkswirtschaft droht die schwerste Rezession seiner Geschichte.
Unter Asiens großen Ländern ist Prognosen zufolge kein anderes von der Coronakrise derart stark betroffen. Angesichts der desaströsen Lage ist eine Debatte darüber entbrannt, wie lange sich eines der beliebtesten Urlaubsländer der Welt geschlossene Grenzen noch leisten kann. Nach Berechnungen der Zentralbank wird die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um mehr als acht Prozent zurückgehen. Die Volkswirte an der Universität der thailändischen Handelskammer gehen sogar von einem Konjunktureinbruch um bis zu elfeinhalb Prozent aus.
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So heftig war der Crash nicht einmal am Höhepunkt der Asienkrise Ende der 90er Jahre. Die Weltbank rechnet damit, dass mehr als acht Millionen Thailänder ihre Jobs oder ihr Einkommen verlieren werden – ein Fünftel aller Erwerbspersonen in dem Land. Das Tourismusministerium schätzt, dass der Fremdenverkehr in diesem Jahr nur noch sechs bis sieben Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen wird, anstatt 18 Prozent im vergangenen Jahr.
In Krabi, einem der beliebtesten Ziele von Besuchern aus dem Westen, erscheinen auch diese Werte noch optimistisch. Die Hauptstraße zur Ao-Nang-Bucht wirkt wie ausgestorben. Restaurants sind mit blauen Plastikplanen abgedeckt. Eine noble Strandunterkunft ist mit Stacheldraht abgesperrt. Die Rollläden mehrerer Souvenirshops hat schon lange niemand mehr geöffnet. Am abgeriegelten Eingang eines 24-Stunden-Supermarktes hängt ein Zettel mit dem Hinweis, dass man im Juni wieder öffnen wolle – geschehen ist das offensichtlich nicht.
Ein paar Meter entfernt liegt das Hotel von Farah C. Jaber, das mit seinen knapp 200 Zimmern ebenfalls vier Monate geschlossen war – erst wegen Anti-Corona-Verordnungen der Regierung, dann aus wirtschaftlichen Gründen wegen Gästemangels. Anfang August startete der Hotelmanager, der für den thailändischen Tourismuskonzern Minor International arbeitet, wieder den Betrieb.
Ende eines jahrelangen Booms
Die Aussichten sind aber verhalten. Die Buchungen für die nächsten Wochen deuteten laut dem Manager darauf hin, dass weniger als zehn Prozent der Zimmer belegt sein werden – als Gäste kommen derzeit nur noch inländische Touristen und in Thailand lebende Expats in Frage. „Wir werden hier kein großes Geschäft machen“, sagt Jaber. „Momentan geht es nur darum, die Verluste so gering wie möglich zu halten.“
Für Thailands Tourismusbranche ist der abrupte Coronacrash das Ende eines jahrelangen, beispiellosen Booms. Die Zahl der internationalen Besucher verdreifachte sich im vergangenen Jahrzehnt auf zuletzt knapp 40 Millionen Gäste im Jahr 2019. Seit April fiel die Zahl auf null. Wann Thailands Regierung wieder Touristen ins Land lässt, ist völlig offen.
Branchenvertreter verlieren die Geduld: „Wenn es in diesem Jahr keine ausreichenden Einnahmen mehr mit ausländischen Gästen gibt, werden die meisten von uns wirtschaftlich nicht überleben“, klagte Vichit Prakobgosol, Chef der lokalen Reisebürovereinigung Atta.
Das Tourismusministerium schätzt, dass 60 Prozent der Tourismusbetriebe schließen müssen, sollten bis Jahresende keine Urlauber ins Land kommen. Im Vergleich zum Vorjahr drohen Einnahmeverluste von umgerechnet mehr als 50 Milliarden Dollar.
Die hoch verschuldete Fluglinie Thai Airways musste bereits im Mai Gläubigerschutz beantragen. Die lokale Billigfluglinie Nok Air folgte Ende Juli. Um zumindest einen Teil der Tourismusindustrie wieder in Schwung zu bringen, plädiert Vichits Verband dafür, bis spätestens Oktober sogenannte Travel Bubbles einzuführen.
Darunter versteht man in Thailand Vereinbarungen über Reiseerleichterungen mit Ländern, die das Coronavirus ebenfalls unter Kontrolle gebracht haben. Anfangs hatten die Behörden, die sich zunächst offen für die Idee zeigten, Länder wie Australien, Japan, China und Vietnam im Blick. Doch die Staaten haben zuletzt alle einen merkbaren Anstieg der Infektionen verzeichnet und könnten daher kaum als komplett risikolos eingestuft werden.
Angesichts der weltweit steigenden Pandemiezahlen fordert der Politologe Thitinan Pongsudhirak die Regierung auf, sich vom Ziel der Nullinfektionen zu verabschieden. Stattdessen sollten die Behörden bereit sein, kalkulierte Risiken einzugehen, verlangte er kürzlich in einem Meinungsbeitrag für die „Bangkok Post“. Basis dafür solle die Zahl der Infektionen sein, die Thailands Gesundheitssystem verkraften könne. Bis diese erreicht sei, hält Thitinan eine schrittweise Grenzöffnung für ratsam. Ansonsten drohen seiner Ansicht nach noch schwerere wirtschaftliche Verwerfungen.
Kritik am System
Eine Verschärfung der Wirtschaftskrise könnte für die militärnahe Regierung von Prayuth Chan-Ocha zum Problem werden. Gegen den Premierminister, der seit einem Putsch im Jahr 2014 an der Macht ist, hat es in den vergangenen Wochen eine neue Protestwelle von Regimegegnern gegeben, die ihn zum Rücktritt aufforderten. Im Vordergrund steht bei den Aktivisten die Kritik am autoritären politischen System. „Die Wirtschaftsflaute dürfte aber in der nahen Zukunft für zusätzlichen politischen Sprengstoff sorgen“, glaubt Thitinan.
Doch auch der Versuch, die Wirtschaft durch eine baldige Grenzöffnung wiederzubeleben, wäre für die Regierung politisch extrem riskant. In einer Mitte Juli durchgeführten Umfrage eines lokalen Meinungsforschungsinstituts sprachen sich 95 Prozent der Befragten dafür aus, Ausländern weiterhin den Zutritt zum Land zu verweigern, um so eine zweite Ansteckungswelle zu verhindern. Neben der Sorge vor der Krankheit selbst steht dahinter auch die Angst vor einem neuen Lockdown. Dreiviertel der Befragten fürchten, dass es zu neuen Ausgangssperren und Zwangsschließungen von Geschäften kommen könnte.
Bootsführerin Onsri teilt diese Sorge. Von dem Kollaps des Tourismusgeschäfts sei zwar ihre ganze Familie betroffen, sagt sie – inklusive ihrer drei erwachsenen Kinder, die in Hotels gearbeitet hatten, dort aber nun ihren Job verloren haben. Ausländische Urlauber wieder ins Land zu lassen, hält sie aber für verfrüht: „Wir sehen im Fernsehen jeden Tag, wie schlimm die Lage im Rest der Welt ist“, sagt Onsri.
Das Risiko, dass es bei einer zweiten Viruswelle wieder zu einem kompletten Lockdown komme, sei ihr zu hoch. „Momentan verdienen wir zwar nur wenig“, sagt die Frau, die 2004 den Tsunami überlebte, „aber immerhin können wir überhaupt weiterarbeiten“.
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