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Coronakrise in Italien Confindustria-Chef Carlo Bonomi: „Erst impfen, dann reformieren“

Der Chef des Industrieverbands fordert schnelle Arbeitsmarkt-Reformen von Neu-Premier Mario Draghi. Den Kündigungsstopp will er auflösen, den Mutterschutz verlängern. Beim Arbeitslosengeld sieht er Deutschland als Vorbild.
01.03.2021 - 19:10 Uhr Kommentieren
Der 54-Jährige kam inmitten der Pandemie ins Amt des italienischen Industriepräsidenten. Quelle: Mondadori Portfolio/Getty Images
Carlo Bonomi

Der 54-Jährige kam inmitten der Pandemie ins Amt des italienischen Industriepräsidenten.

(Foto: Mondadori Portfolio/Getty Images)

Rom Eines lässt Carlo Bonomi immer wieder durchblicken: Italien hat noch viel Luft nach oben. Vom verkrusteten Arbeitsmarkt über die ineffiziente Verwaltung bis hin zum Politikstil. Seit Mai 2020 führt Bonomi den Industrieverband Confindustria, das Pendant zu Deutschlands BDI.

An der alten Regierung, die der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi vor Kurzem abgelöst hat, kritisiert Bonomi vor allem den Dialog. „Der war immer sehr schwierig“, erklärt der 54-Jährige im Handelsblatt-Interview. Draghi hingegen habe ein klares Verständnis für die Bedürfnisse von Unternehmen. Bonomis Hoffnung: dass Draghi daraus bald konkrete Politik macht. Denn die Wirtschaft hat viele Vorschläge, die das Land voranbringen könnten. Dringende Reformen, die Bonomi „die strukturellen Knotenpunkte“ nennt: Arbeit, Justiz, Steuern, öffentliche Verwaltung.

Die dringlichste Priorität hat für ihn die Impfkampagne. Tempo muss Draghi aber auch beim Plan für den EU-Wiederaufbaufonds machen, der bis Ende April vorgelegt werden muss – und den Bonomi als „historische Chance“ sieht, um Ungleichheiten abzubauen. Corona hat alte Probleme weiter verschärft. Eine halbe Million Jobs hat das Land 2020 verloren. Am stärksten betroffen waren Frauen und junge Menschen. „Schon vor der Pandemie lagen wir zehn Punkte unter dem europäischen Durchschnitt der Frauenerwerbsbeteiligung.“

Den Arbeitsmarkt reformieren

Italiens Gesellschaft altert rapide, lange konnte die demografische Entwicklung durch Zuwanderung abgefedert werden. „Das ist nicht genug“, sagt Bonomi. Es brauche mehr Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Die Kinderbetreuung müsse ausgebaut, der Mutterschutz verlängert werden. Die meisten Frauen würden drei bis vier Monate nach der Geburt wieder arbeiten gehen. Als Bonomi Präsident von Assolombarda war, dem größten regionalen Ableger des Industrieverbands, erhöhte er den Zeitraum freiwillig auf sechs Monate.

Bonomi fordert zudem neue Instrumente, um Arbeitslose bei der Jobsuche zu begleiten, ähnlich wie es sie in Deutschland gibt. Auch ein Bonus für Firmen, die junge Menschen und Frauen anstellen, sei denkbar. Man müsse flexibler bei Einstellungen werden, wieder mehr befristete Verträge zulassen.

Der Entlassungsstopp, den die Regierung vor einem Jahr verordnet hat – weltweit einmalig –, sei zu Beginn der Pandemie richtig gewesen. Nun will Bonomi die Maßnahme, die Ende März ausläuft, aber kurz vor der Verlängerung steht, schrittweise auflösen.

Die Unternehmen müssten ein Signal in Richtung Normalität bekommen, damit sie Investitionen tätigen und Arbeitsplätze schaffen könnten. „Andernfalls wird aus dem Entlassungsstopp ein Einstellungsstopp“, glaubt Bonomi.

Sieht sich einer langen Liste an Forderungen des Industrieverbandes gegenüber. Quelle: dpa
Mario Draghi

Sieht sich einer langen Liste an Forderungen des Industrieverbandes gegenüber.

(Foto: dpa)

Gleichzeitig solle die Regierung Reformen im Sozialsystem und bei der Beschäftigungspolitik zusagen. „Unternehmen im Tourismus oder im Handel brauchen weiterhin die Erstattungen aus dem staatlich finanzierten Covid-Fonds“, sagt Bonomi – und damit auch den Kündigungsstopp. Andere Branchen, die die Krise gut verkraftet haben, sollten sich aber aus der normalen Lohnausgleichskasse bedienen und gleichzeitig mit der Umstrukturierung beginnen dürfen.

Auch hier fordert Bonomi Nachbesserungen: In der Pandemie hätten 800.000 Arbeitnehmer Leistungen bekommen, die nie Beiträge ins System eingezahlt hätten. „Wir brauchen ein universelles Instrument für alle Firmen und Arbeitnehmer.“

Angelehnt ans deutsche Modell will Bonomi den Beschäftigungsmarkt umkrempeln. Lange ging es in Italien darum, Arbeitsplätze dort zu sichern, wo sie waren. „Es muss in Schulungen investiert werden, um die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, wieder beschäftigungsfähig zu machen.“ Zudem sollte das Arbeitslosengeld an die Pflicht zur Weiterbildung gekoppelt werden.

Italiens Mittelstand sieht er gut gerüstet. „Unsere mittelständischen Unternehmen liegen bei der Wettbewerbsfähigkeit im Einklang mit den besten europäischen Unternehmen“, betont Bonomi. Immer wieder beobachte er, dass Chinesen italienische Unternehmen kaufen und Design, Forschung und Innovation vor Ort behalten. In Branchen wie der Lebensmittel- und der Brillenindustrie ist Italien nach wie vor ein Global Player.

Aber auch in Branchen, die nicht jeder auf dem Schirm habe: „In der Luft- und Raumfahrt sind wir Nummer eins in Europa“, sagt Bonomi. Auch die Mechatronik boome. „Vor der Pandemie dachte man, dass die Pharmaindustrie der Lombardei bald die gesamte deutsche übertrifft.“ Und auch seine eigene Branche wächst: Bonomi führt die Synopo-Gruppe, die im Norden Italiens mit mehreren Firmen im Biomedizinsektor tätig ist.

Drehscheibe für Afrika werden

Jahrelang wurden in Italien keine Reformen angestoßen, weil das Geld knapp und die Staatsverschuldung hoch war. Nun sind die Milliarden da, um das Land „moderner, nachhaltiger und inklusiver“ zu machen. Für Bonomi ist es die Pflicht aller Italiener, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. „Wir sehen den Wiederaufbaufonds als ein Mittel zum Abbau von Ungleichheiten und zum Aufbau der Gesellschaft der Zukunft“, erklärt Bonomi.

Aber wird Rom überhaupt in der Lage sein, die mehr als 209 Milliarden aus Brüssel auszugeben? Selbst von den zugesagten Geldern aus dem EU-Finanzrahmen der vergangenen sechs Jahre wurden rund 29 Milliarden Euro nicht abgerufen.

„Italien hat hier historisch gesehen keine positive Erfolgsbilanz“, gibt Bonomi zu. Aber was sich mit dem Aufbaufonds ändere, ist die starke private Beteiligung bei öffentlichen Ausgaben. Der Staat müsse es schaffen, „private Investitionen zu mobilisieren“.

Damit könnte Italien auch wieder attraktiver für Investoren aus dem Ausland werden, die noch immer vom langsamen Justizsystem und von fehlender Rechtssicherheit abgeschreckt sind. Auch die öffentliche Verwaltung arbeitet viel zu ineffizient: 15 Jahre dauere es im Schnitt, ein Projekt im Wert von mehr als 100 Millionen Euro zu realisieren.

Dabei könne Italien auch vom Fokus der EU-Milliarden auf grüne Projekte profitieren. Schon heute sei das Land grüner, als man denke: „Beim Recycling von Industrieabfällen stehen wir weltweit an zweiter Stelle, in Europa sind wir beim Glasrecycling weit voraus.“

Noch besser nutzen könnte das Land seine größte natürliche Infrastruktur: das Meer. Bonomi sieht die Chance, mit nachhaltigen Investitionen in Häfen und Sonderwirtschaftszonen zur Drehscheibe für Afrika zu werden.

Doch erst mal muss das Land die Impfkampagne beschleunigen. Hier renne man Ländern wie den USA oder Großbritannien hinterher. Bonomi hat der Regierung vor mehr als einer Woche angeboten, Fabriken für die Impfungen zur Verfügung zu stellen.

Die Unternehmen, die Confindustria angehören, beschäftigen etwa 5,5 Millionen Menschen. Bei einem Durchschnittshaushalt von 2,3 Personen könnte die Industrie allein mehr als zwölf Millionen Menschen impfen.

So einfach ist es dann aber nicht, wie so oft in Italien: Bisher hat Bonomi noch keine Antwort auf seinen Vorschlag erhalten.

Mehr: Mario Draghi will Italien retten – ein Land, das seit der Euro-Krise als Sollbruchstelle der Währungsunion gilt.

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