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Coronavirus Österreichs Impfgegner mobilisieren Zehntausende – doch sie repräsentieren eine klare Minderheit

Die Stimmung ist aufgeheizt, nachdem die Regierung einen Lockdown verkündet hat. Die Demonstranten glauben nicht an die Coronazahlen und vertrauen der Impfung nicht.
21.11.2021 - 14:01 Uhr Kommentieren
Etwa 40.000 Menschen demonstrierten. Quelle: dpa
Demonstration gegen die Coronapolitik der österreichischen Bundesregierung in Wien

Etwa 40.000 Menschen demonstrierten.

(Foto: dpa)

Wien Am Samstag vor dem Lockdown sind alle in der Wiener Innenstadt unterwegs. Die Terrassen der Kaffeehäuser sind voll, vor den Wurstständen bilden sich Schlangen, und die Einkaufszentren locken mit Rabatten, um wenigstens einen Teil des Weihnachtsgeschäfts zu retten. Nur die Pferde-Fiaker am Michaelerplatz stehen untätig herum. „Demos versauen uns immer das Geschäft“, raunzt eine Kutscherin und weist in Richtung Hofburg und Heldenplatz.

Am Burgring haben sich fast 40.000 Menschen eingefunden, die gegen die Coronapolitik der Regierung protestieren – eine der größten Demonstrationen in jüngster Zeit. Deren Entscheidungen, das ganze Land in einen Lockdown zu schicken und ab Februar eine Impfpflicht einzuführen, sorgen dafür, dass zwei- bis dreimal mehr Leute als bei vergleichbaren früheren Demonstrationen auf der Straße sind. Fast alle sind aus anderen Regionen Österreichs gekommen, in Fahrgemeinschaften, Bussen und mit Zügen. 1300 Polizistinnen und Polizisten beobachten das Geschehen in voller Kampfmontur.

Aufgerufen zur Manifestation hatte eine lose Koalition von rechten und rechtsextremen Gruppierungen: Neben der rechtspopulistischen FPÖ hatte die in Oberösterreich im Parlament sitzende Impfgegner-Partei MFG stark mobilisiert. Präsent sind aber auch bekannte Neonazis, Fußball-Hooligans und die Identitären. „Großer Austausch, Great Reset, stoppt den Globalistendreck“, steht auf dem Plakat, das die Aktivisten an der Spitze des Zuges tragen, und: „Kontrolliert die Grenze, nicht euer Volk“.

Die Wiener Polizei spricht von einer „aufgeheizten Stimmung“ in einigen Gruppen, weshalb die Lage gegen Abend am Burgtor kurzzeitig eskaliert: Die Beamten setzen Pfefferspray gegen junge Männer ein, die sie mit Gegenständen bewerfen. Vermeldet werden auch einzelne Attacken gegen Journalisten und Personen mit Migrationshintergrund sowie Anzeigen wegen antisemitischer Parolen und Plakate. Einige Personen tragen den „Judenstern“, um gegen ihre angebliche Diskriminierung zu protestieren, manche vergleichen den Bundeskanzler mit dem Naziarzt Mengele.

Von einer generell aggressiven Stimmung ist während der Demonstration allerdings nichts zu spüren; von Straßenschlachten wie in anderen europäischen Metropolen ist Wien weit entfernt. Vielmehr hat man das Gefühl, in einen Karneval der bizarren Ideen hineingeraten zu sein, in eine Parallelwelt mit Blasmusik, selbsternannten, aber „zertifizierten“ Schamanen, Saxophonspielern mit Aluhüten, Impfgegnern in Krankenhauskleidung – und Tausenden Normalbürgern, die kein Problem damit haben, zusammen mit rechten Wirrköpfen zu demonstrieren.

„Normale Menschen“?

Es ist gerade diese Mischung, die den Protest so schwer fassbar macht. Unter Journalisten in der österreichischen Twitter-Sphäre ist deshalb ein etwas absurd anmutender, gehässiger Streit darüber ausgebrochen, ob man bei den Demonstrierenden von „normalen Menschen“ sprechen dürfe und ob die Anliegen ernst zu nehmen seien.

Wer mit ihnen spricht, merkt, dass sie ein verallgemeinertes Misstrauen gegen Politik, Medien und Wissenschaft antreibt – und die Ablehnung der Impfpflicht. Zwei junge Frauen, die wie alle Angesprochenen ihre vollen Namen nicht preisgeben wollen, lassen sich weder gegen Corona noch gegen sonstige Krankheiten immunisieren. „Es geht um meine Freiheit“, sagt eine. „Mein Körper, meine Regeln.“

Schallenberg wird auf den Demonstrationen kritisiert und beleidigt. Quelle: dpa
Österreichs Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP)

Schallenberg wird auf den Demonstrationen kritisiert und beleidigt.

(Foto: dpa)

Tanja aus der Steiermark, die gerade einen Glühwein am Weihnachtsmarkt trinkt, lehnt dagegen spezifisch die Coronaimpfung ab: „Ich verlasse mich auf das, was mir der Herrgott mitgegeben hat, und das ist mein Immunsystem.“ Alle drei sprechen von manipulierten Coronazahlen und von Medien, die Propaganda verbreiteten. Das Muster deckt sich mit Studien der Universität Wien, die den Anteil der harten Impfverweigerer in Österreich auf zehn bis 20 Prozent schätzen, wobei Menschen mit niedrigerem Einkommen und Nichtwähler überproportional vertreten sind.

Unzufriedenes Pflegepersonal

Andere, wie Alex aus Niederösterreich, anerkennen zwar, dass Corona ein Problem ist, kritisieren aber die Regierung für ihre fehlgeleitete Politik. Er verstehe nicht, weshalb diese nicht mehr Krankenhausbetten zur Verfügung stelle und die Löhne des Pflegepersonals erhöhe.

Dies ist bei der Demonstration ebenfalls vereinzelt präsent. Eine Frau, die auf einer Kärntner Intensivstation arbeitet, erzählt von einer äußerst angespannten Lage mit Personalmangel und vielen ungeimpften Patienten. Dennoch solle man das Ausmaß der Pandemie nicht übertreiben: „Man muss sehen, welches Patientengut auf unserer Station liegt. Das sind kaum Junge und Gesunde, sondern Alte mit Vorerkrankungen.“ Sie will die Vakzine nicht. Eine Impfpflicht sei ein Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte. Was sie tun wird, wenn sie kommt, weiß sie noch nicht.

Die Passanten, die an diesem Nachmittag die Demonstration von den Seitenlinien betrachten, reagieren mit Unverständnis. Das Ehepaar Scholl, das aus Salzburg für den Tag angereist ist, ärgert sich über die Verweigerungshaltung der Impfgegner: „Wegen der Unvernunft kleiner Gruppen werden wir in unseren Rechten genauso beschnitten“, sagen sie über den Lockdown für alle. Diesen begründet die Regierung maßgeblich damit, dass die Impfquote mit 66 Prozent deutlich zu tief liege, um gegen die Delta-Variante anzukommen. Bundeskanzler Alexander Schallenberg hat sich am Freitag dafür bei den Geimpften und Genesenen entschuldigt.

Klare Mehrheitsverhältnisse

Die Medien und die klare Bevölkerungsmehrheit kritisieren die Regierung denn auch viel stärker dafür, den rekordhohen Neuinfektionen und der Belastung in den Krankenhäusern nicht schon früher mit entschiedenen Schritten entgegengetreten zu sein. So zeigt die jüngste Umfrage von Unique Research vom Freitag, dass vor der aktuellen Verschärfung nur knapp ein Fünftel die bestehenden Maßnahmen für genügend hielt oder ihre Abschaffung forderte. 41 Prozent sprachen sich hingegen für eine generelle Impfpflicht und ein Drittel für einen Lockdown aus.

Von einer Spaltung in Österreich kann also keine Rede sein. Die Tatsache, dass die Unzufriedenheit über harte Coronamaßnahmen bei ÖVP- und MFG-Wählern aber konzentriert ist und diese Parteien sie aktiv befeuern, wird jedoch für weitere politische Spannungen sorgen. Zur Frage, wie man jene, die sich längst in ihre Parallelwelt verabschiedet haben, zurückholen kann, herrscht derweil völlige Ratlosigkeit.

Mehr: Für Österreichs Wirtschaft ist der Lockdown das kleinere Übel

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