Dateninfrastruktur Warum das europäische Cloud-Projekt Gaia-X noch zum Hoffnungsträger werden kann

Eine europäische Cloud soll die EU unabhängiger von US-Services wie Google, Microsoft oder Amazon machen.
Berlin, Brüssel, Düsseldorf, Stuttgart Sollten ein chinesischer Netzausrüster und ein eng mit der US-Regierung verbandeltes Datenanalyseunternehmen bei Europas Vorzeige-Cloud-Projekt mitwirken? Die 22 Gründungsmitglieder des europäische Cloud-Projekt Gaia-X müssen bald darüber befinden. Denn 200 Unternehmen haben einen Antrag auf Aufnahme in die Initiative gestellt. Und darunter finden sich mit Huawei und Palantir auch zwei Kandidaten, die sowohl in der Politik als auch unter den anderen Unternehmen für Diskussionen sorgen.
Schließlich soll Gaia-X eine Dateninfrastruktur schaffen, die Europas Abhängigkeit von ausländischen Anbietern reduziert und hohen Ansprüchen an Vertrauenswürdigkeit und Datenschutz genügt. Einzelne Unternehmen nach Gutdünken ausschließen kann die in Belgien gegründete Betreibergesellschaft Gaia-X aber schon aus kartellrechtlichen Gründen nicht. Alle Mitgliedsanträge würden daher nach „einheitlichen Kriterien“ geprüft, sagt Siemens-Manager Thomas Hahn, der im Verwaltungsrat der Gesellschaft sitzt.
Die Diskussion um die Aufnahme von Huawei und Palantir ist eine von mehreren, die derzeit Schatten auf das Prestigeprojekt von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier werfen. Auch die Beteiligung der drei US-Marktführer im Cloud-Geschäft und der hohe Abstimmungsbedarf unter den Hunderten von Akteuren sorgen für Unmut.
Die Macher des Projekts aber betonen, Gaia-X liege voll auf Kurs. Soweit man wisse, gebe es „keine nennenswerten Verzögerungen“, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium.
Dass auch die großen US-Player Amazon Web Services (AWS), Microsoft und Google Mitglieder bei Gaia-X werden wollen, trifft besonders in Frankreich auf Kritik. Paris würde eine rein europäische Lösung bevorzugen – ganz im Sinne der „strategischen Autonomie“, die die französische Regierung propagiert.
Bundeswirtschaftsminister pocht auf Zulassung chinesischer Anbieter
Die in Deutschland beteiligten Unternehmen halten sich zumindest öffentlich mit Kritik an der Öffnung für internationale Techriesen zurück. Aus einer Beobachterperspektive meldete aber jüngst etwa Ex-Telekom-Chef René Obermann Bedenken an: „Die Grundidee einer europäischen Cloud-Initiative wird damit konterkariert“, sagte er dem Handelsblatt.
Altmaier aber pocht darauf, dass das Vorhaben auch den großen Anbietern aus den USA und China offensteht, wenn diese die Anforderungen erfüllen. Jedes Unternehmen, das über Gaia-X eigene Cloud-Dienste anbieten will, muss dafür einen Katalog von Spielregeln zum Datenschutz, zur Datensicherheit und für die Interoperabilität mit anderen Diensten akzeptieren – eine Art Grundgesetz von Gaia-X.
Die konkreten „Policy Rules“ sollen Ende des Monats veröffentlicht werden. Definiert werden sie durch den Verwaltungsrat, in dem ausschließlich Organisationen aus den EU-Staaten vertreten sind. „Europäische Souveränität wird durch die Entscheidungsebene erreicht“, sagt Hahn.
Dass ein Unternehmen als Mitglied akzeptiert wird, bedeutet dabei noch nicht, dass es auch seine Dienste auf der Gaia-X-Infrastruktur anbieten kann und sich mit dem Label schmücken darf. Darauf wird auch in Berlin hingewiesen. Ob ein Anbieter die Anforderungen tatsächlich erfüllt, wird erst später in einem zweiten Schritt geprüft. Dann dürfte es gerade für die US-Unternehmen zum Schwur kommen, die den amerikanischen Sicherheitsgesetzen unterliegen.
Telekom verteidigt das Projekt
Auch die bisweilen mühseligen Abstimmungsprozesse unter den Hunderten beteiligten Organisationen sorgen bisweilen für Frust. Der Aufbau einer offenen, föderalen Dateninfrastruktur mit vielen Playern brauche Zeit, heißt es etwa bei der Deutschen Telekom, das liege „in der Natur der Sache“. Es habe länger gedauert als erwartet, die Regeln und die Sprache zu definieren, nach denen die über Europa verstreuten Rechenzentren unterschiedlicher Anbieter künftig miteinander kommunizieren sollten, sagt ein Konzernsprecher. „Okay, das ist nun mal Europa.“
Das Projekt deshalb infrage stellen will die Telekom aber keineswegs: „Wir sind überzeugt, dass Gaia-X einen großen Wertbeitrag für die europäische Wirtschaft haben wird“, sagt der Sprecher. Als europäisch getriebenes Vorhaben mit hohen Standards könne es das Vertrauen der Unternehmen in die Sicherheit von Cloud-Lösungen stärken. „Richtig ist aber auch: Gaia-X muss schnell skalieren, um ein Erfolg zu werden.“
Viele Beobachter befürchten, dass das Megaprojekt nicht mithalten kann mit dem hohen Tempo, mit dem AWS und Co. neue Cloud-Dienstleistungen entwickeln. Und dass viele Anwenderfirmen daher doch lieber bei den sogenannten Hyperscalern aus den USA und China bleiben. Gaia-X-Verwaltungsrat Hahn macht sich denn auch keine Illusionen: „Das Projekt muss sich an Geschwindigkeit messen lassen“.
Die technischen Spezifikationen für die Basisfunktionalitäten sollen bis Ende März definiert werden und dann in den kommenden Monaten in Code gegossen werden. Auf dieser Architektur setzen dann die konkreten Anwendungen auf.
186 Millionen Euro stehen bereit
Das Bundeswirtschaftsministerium fördert die einzelnen Entwickler dabei mit bis zu 15 Millionen Euro, die Ausschreibung dafür wurde kürzlich veröffentlicht. Insgesamt stehen 186 Millionen Euro aus dem Corona-Konjunkturpaket bereit. Parallel arbeitet das Ministerium mit anderen EU-Staaten an einem groß angelegten Förderprogramm, dem IPCEI Cloud, das Mittel für die Infrastruktur bereitstellen soll.
Bis Ende des Jahres sollen dann die ersten Pilotanwendungen auf Basis von Gaia-X in Unternehmen laufen. Als ein möglicher früher Anwendungsbereich gilt der „Datenraum Mobilität“, in dem die deutschen Autobauer Daten untereinander austauschen sollen. In der Auto- und Zuliefererindustrie hat sich bereits die Allianz Catena-X gebildet, die langfristig die Möglichkeiten von Gaia-X nutzen will.
Zu den Gründungsmitgliedern gehört der Zulieferer Bosch. „Das neue Ökosystem soll den souveränen, vertrauenswürdigen und dezentralen Datenaustausch gewährleisten, sodass die Netzwerkpartner ihre Daten anderen zugänglich machen können, ohne die Datenhoheit abzugeben“, sagt ein Sprecher. Derzeit würden die Mitglieder über Szenarien in Qualitätsmanagement, Logistik, Instandhaltung, Lieferketten-Management und Nachhaltigkeit sprechen. Mit ersten Ergebnissen sei noch in diesem Jahr zu rechnen, sagt der Bosch-Sprecher.
Weitere neue Datenräume sollen auf Gaia-X aufbauen, etwa ein europäischer Gesundheitsdatenraum, der derzeit unter finnischer Federführung entsteht. Umso mehr steigen die Erwartungen, dass diese möglichst bald einsatzbereit sind. Es sei wichtig, bei Gaia-X „das Tempo weiterhin hochzuhalten“, sagt Susanne Dehmel, Mitglied der Geschäftsleitung beim IT-Verband Bitkom.
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