Demokratie in Polen und Ungarn Vetternwirtschaft, Korruption, Veruntreuung: Abgeordnete eskalieren Streit mit EU-Kommission

Die Juristen der Kommission schauen einer Klage gelassen entgegen.
Brüssel Fünf Milliarden Euro bekommt Ungarn jedes Jahr aus dem EU-Haushalt. Mehr als 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sind das. Aber ein beachtlicher Teil davon versickert in korrupten Strukturen, weil das Land nicht ausreichend gegen Vetternwirtschaft vorgeht. Strukturen, die das verhindern könnten, werden abgebaut.
So ungefähr lässt sich der Rechtsstaatsbericht zu Ungarn zusammenfassen. Folgen hat die katastrophale Lagebeurteilung aber bisher nicht. Ein Gesetz schreibt der EU-Kommission seit 1. Januar 2021 vor, gegen Staaten vorgehen, in denen EU-Geld veruntreut wird. Doch sie weigert sich.
Nun will das Europaparlament seine Drohung wahrmachen und gegen die EU-Kommission klagen. Dabei sagen die Juristen des Europaparlaments, dass die Chancen auf einen Sieg vor Gericht „sehr gering“ sind. So steht es in einem Gutachten des juristischen Dienstes, das dem Handelsblatt vorliegt.
Der Hintergrund ist ein Streit, der sich nun seit mehreren Monaten hinzieht. Die Parlamentarier sehen Gefahr in Verzug: „In Polen werden unliebsame Richterinnen und Staatsanwälte in die Provinz versetzt. Der Rechtsstaat wird geschwächt. Wenn sich die Kommission erst nächstes Jahr darum kümmert, wird sie den Schaden nicht mehr beseitigen können“, sagt Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Parlaments. „Die ungarischen NGOs, die jetzt pleitegehen, kommen nicht zurück“, sagt der Abgeordnete Daniel Freund (Grüne). „Jeden Tag werden Fakten geschaffen.“
Gleichzeitig haben sich die Staats- und Regierungschefs aber dafür ausgesprochen, noch keine Verfahren anzuschieben, weil im Herbst noch ein Urteil über das neue Gesetz erwartet wird: Polen und Ungarn haben geklagt, weil sie den Rechtsstaatsmechanismus für grundsätzlich unzulässig halten.
Die Staats- und Regierungschefs wollen nicht, dass jetzt Verfahren in Gang gesetzt werden, die später wieder gekippt werden. „Alles muss sitzen“, heißt es immer wieder. Sonst werde es peinlich für die EU.
EU-Kommission hat nur wenig Chancen, den Streit zu gewinnen
Aber darf die EU-Kommission einfach abwarten, obwohl sie von den Rechtsstaatsverstößen in Polen und Ungarn weiß? Die Juristen des Parlaments sagen dazu: „Die Kommission hat eindeutig einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung, ob und wann sie Mitteilungen an einzelne Mitgliedstaaten richtet.“ Den Europäischen Gerichtshof (EuGH) von etwas anderem zu überzeugen sei „extrem schwierig, wenn nicht unmöglich“.
Es könnte sogar noch peinlicher werden für das Parlament: Denn einer Klage muss eine schriftliche Warnung vorausgehen. Die gab es auch, doch enthielt sie keinen konkreten Vorwurf gegen ein Land, dem die Kommission hätte nachgehen können.
Die Juristen der Kommission zerpflückten darum die Drohung des Parlaments genüsslich: Die Abgeordneten müssten schon klarmachen, was sie eigentlich genau verlangen, steht in dem Brief, den Präsidentin Ursula von der Leyen an das Parlament schickte. „Die Juristen hatten wahrscheinlich viel Spaß daran, dieses Schreiben aufzusetzen“, sagt ein Beschäftigter des Parlaments und gibt damit zu: Die Abgeordneten haben wenig in der Hand, um ihre Drohung durchzusetzen. So sehen es auch die Juristen des Hauses: „Es besteht die Gefahr, dass die Klage innerhalb weniger Wochen abgewiesen wird“, heißt es in ihrem Gutachten.
Barley verweist dagegen auf den grundsätzlichen Charakter der Klage: Es gehe nicht um ein einzelnes Verfahren, sondern um eine ganze Reihe an Fällen und die Tatsache, dass die Kommission das Gesetz überhaupt nicht anwendet. Die Kommission bestreite ja noch nicht einmal, dass sie lieber noch abwartet.
Sollte die Kommission bald aktiv werden, wird man das in Polen und Ungarn erst einmal gelassen sehen. Das Verfahren sieht mehrere Konsultationen vor. Bis es ernst wird, werden einige Monate vergehen.
Das ist gut für Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der sich im Frühjahr erneut wählen lassen will. „Je mehr das Verfahren verschleppt wird, desto mehr nutzt das Orban in seinem Wahlkampf“, sagt der FDP-Abgeordnete Moritz Körner.
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Viel Wind um nichts. Wie heißt es doch:
Hunde die bellen beißen nicht. - oder? --