Desinformationskampagnen EU-Schnellwarnsystem schlägt nicht an – Der mühsame Kampf gegen Fake News

Trotz zahlreicher Fälle von Desinformationskampagnen schlägt das EU-Schnellwarnsystem zur Fake-News-Bekämpfung nicht Alarm.
Brüssel Vor drei Jahren herrschte in Brüssel sehr große Angst, die sich tief durch alle Institutionen zog. Die Europawahl stand bevor, und allen war klar, was die damalige EU-Justizkommissarin Vera Jourova so in Worte fasste: „Diese Wahl wird nicht so sein wie die vorherige.“
Beim Brexit-Referendum, der Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens, dem Referendum zur Umbenennung des damaligen Mazedoniens in Nordmazedonien und der US-Präsidentschaftswahl 2016 hatte es deutliche Hinweise auf Manipulationen gegeben. Bei der EU-Wahl bestand dementsprechend ebenfalls die Gefahr, dass Desinformationskampagnen erheblichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben würden – und damit auf die Zukunft der Europäischen Union.
Desinformation oder Fake News gehören zu den großen Bedrohungen der westlichen Demokratien, da sie das Vertrauen in das etablierte Parteiensystem schmälern und so nach Wahlen die Mehrheitsfindung erschweren.
Die EU tut deswegen viel, dem Problem Einhalt zu gebieten. Dazu gehört nicht nur, dass Brüssel Plattformbetreiber wie Facebook, Google und Co. dazu verdonnert hat, gegen Fake News vorzugehen. Sondern dazu gehören auch viele Maßnahmen des Europäischen Auswärtigen Dienstes der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten. Ein Budget von 11,1 Millionen Euro steht den Brüsseler Fake-News-Bekämpfern allein in diesem Jahr zur Verfügung.
Der im Dezember 2018 vor der Europawahl im Mai 2019 vorgestellte EU-Aktionsplan gegen Desinformation beinhaltete unter anderem die Einführung eines Schnellwarnsystems, im Fachjargon als „Rapid Alert System“, kurz RAS, bezeichnet.
Dieses Schnellwarnsystem, das im März 2019 in Betrieb ging, ist eine Plattform, die es den EU-Ländern untereinander ermöglichen soll, über Fälle von Desinformation zu informieren und Alarm zu schlagen. Auf diese Weise soll politisch motivierten Kampagnen ein schnelles Ende bereitet werden.
Schnellwarnsystem schlägt trotz Desinformationskampagnen nicht Alarm
Allerdings: Im Jahr 2020 wurde bekannt, dass das Warnsystem bislang kein einziges Mal ausgeschlagen hatte – und das, obwohl es nachweislich viele Falschnachrichten zu zahlreichen Themen gab, die europaweit in der Öffentlichkeit kursierten. Das teure Schnellwarnsystem schien also nicht wie gewünscht zu funktionieren.
Das könnte nach wie vor der Fall sein, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP zeigt. Das entsprechende Papier liegt dem Handelsblatt vor.
Zwar verweigert die Bundesregierung eine Antwort auf die konkrete Frage, wie oft das Frühwarnsystem seit 2019 angeschlagen habe, mit der Begründung, dass das „öffentliche Bekanntwerden der Informationen für die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nachteilig sein kann“. Allerdings antwortet sie auch auf weitere Fragen derart ausweichend, dass der Zweck des Schnellwarnsystems in Zweifel gezogen werden kann. Zum Beispiel übergeht sie Fragen, wie viele Desinformationskampagnen durch das Schnellwarnsystem verhindert werden konnten und wie gut oder schlecht die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten funktioniert.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jürgen Martens, der zusätzlich über detaillierte, als geheim eingestufte Informationen verfügt, sagt dementsprechend: „Ich kann nicht erkennen, dass das System wirken würde. Die gemeldeten Zahlen sind sehr gering – und das ist freundlich ausgedrückt.“
Lange Meldewege innerhalb Europas
Seiner Einschätzung nach liegt der Grund dafür vor allem in den langen Meldewegen, mit einem zusätzlichen Umweg über die EU-Kommission, was bei einem Schnellinformationssystem eben nicht funktioniere – und in der Schwierigkeit, gezielte Falschinformationen als solche und zudem als europaweit bedeutend zu erkennen.
Ihn erinnert das Vorhaben an ein EU-Schnellwarnsystem im Zollbereich, das in den Siebzigerjahren ins Leben gerufen worden war. Die gemeldeten Fälle lagen damals im einstelligen Bereich, es dauerte teils ein halbes Jahr, bis die Informationen an die richtigen Stellen weitergeleitet wurden. Die Gründe: lange Kommunikationswege, Bürokratie, Übersetzungsfragen.
Immerhin: Kein Mitgliedstaat scheint sich gegen die Nutzung des Schnellwarnsystems zu sperren, wie aus der Antwort der Bundesregierung hervorgeht.
Besonders betroffen vom Streuen gezielter Fehlinformationen sind Themen mit Spaltungspotenzial wie Klimawandel, Migration und Außenpolitik. Seit dem vergangenen Jahr ist auch die Coronapandemie, besonders im Hinblick auf Impfstoffe, Gegenstand von Desinformationskampagnen.
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