Die Welt des Donald Trump Der unmögliche Präsident

So einen wie Donald Trump haben die Amerikaner an der Spitze ihres Staates noch nie erlebt. Die Deutschen dagegen schon. Wohin eine Nation steuert oder besser gesagt schlittert, wenn an der Spitze sich Selbstliebe, Rüpelhaftigkeit und ein kaum verstellter Brutalismus eingenistet haben, musste Deutschland zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erleben. Dabei haben die Deutschen diesen Mann, das unterscheidet ihn von Trump, nicht nominiert und nicht gewählt. Er war ihr politischer Vormund, ihr Herrscher und am Ende auch ihr Schicksal.
Die Rede ist von Kaiser Wilhelm II., der die Political Correctness, damals noch Etikette genannt, lustvoll missachtete. Die Presse beschimpfte der Urenkel der britischen Königin Victoria als „die Pest, von der man sich so oder so befreien müsste“.
Die Journaille war sein liebster Gegner, aber beileibe nicht sein einziger. Reichskanzler Otto von Bismarck nannte er einen „Pygmäen“, im Unterschied zu dessen Vorgänger von Bülow, der für Wilhelm II. „ein Luder“ war. General Erich Ludendorff mochte er auch nicht leiden: „Wenn ich nur diese Feldwebelfresse nicht mehr sehen müsste.“
Der Mann an der Spitze des damaligen 60-Millionen-Volkes glaubte, dass die Deutschen nicht nur besonders, sondern einzigartig seien, weshalb er die Armee zur territorialen Expansion drängte. „Es bleibt nur das deutsche Volk übrig, das an erster Stelle berufen ist, die großen Ideale zu hüten, zu pflegen, fortzusetzen.“ Dem Land gebühre, so drückte man sich damals aus, „ein Platz an der Sonne“. Heute würde man so formulieren: Deutschland zuerst.

„Blut muss fließen bei allen, die mich verlassen haben.“
Den Worten folgten Taten. Den Trump‘schen Vorwurf an das Washingtoner Establishment, „all talk, no action“, hätte Kaiser Wilhelm II. nicht auf sich beziehen müssen. Der Adelige war dauernd in Aktion. Bald schon befanden sich deutsche Truppen in Südwestafrika, Ostafrika und China, wo der Monarch sie grammatikalisch nicht ganz korrekt zur Gnadenlosigkeit ermunterte: „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht!“
An seiner eigenen schicksalhaften Vorhersehung – „Zu Großem sind wir noch bestimmt“ – bestand für den Mann an der Spitze des Deutschen Reiches kein Zweifel, weshalb es ihn unendlich wurmte, dass ihm die öffentliche Anerkennung bald schon versagt blieb. „Kein Mensch ist mir dankbar“, klagte er wiederholt.
Des Kaisers Geschichte endete denn auch wenig glanzvoll im Exil. Krieg und Krone hat er verloren, einen Sohn durch Suizid schließlich auch. Nur seine zwei lebenslangen Begleiter blieben ihm bis ins Grab treu, das Selbstmitleid und die Rachsucht. „Blut muss fließen bei allen, die mich verlassen haben“, greinte er noch 1934 aus dem niederländischen Notquartier und hatte als Adressaten jenen anderen verrohten deutschen Politiker im Blick, der, von der Münchener Feldherrnhalle kommend, inzwischen in der Reichshauptstadt Berlin angekommen war. Aber das ist ein anderes Kapitel, wenn auch derselben Geschichte.
Donald Trump ist ein Kaiser Wilhelm im politischen Embryonalstadium. Auch Trump glaubt, auf die Instrumente der Diplomatie und die Gepflogenheiten des bürgerlichen Anstandes verzichten zu können. Alle Botschafter der Obama-Jahre beispielsweise sind abgereist, ohne dass an vielen Orten der Welt neue Chefdiplomaten eingesetzt wurden. Für 55 von 188 Botschafterposten hat Trump dem Kongress nicht einmal Nominierungen vorgeschlagen. Auch Deutschland blieb bisher unbesetzt.
So schrumpft Amerika ohne Not seine Soft-Power-Fähigkeiten, derweil die Rüstungsetats nach oben gefahren werden. Plus zehn Prozent in zehn Jahren ist das neue Ziel. 687 Milliarden Dollar will die neue Administration pro Jahr für Drohnen, neue Flugzeugträger und Atomraketen ausgeben. Damit wäre Trump der mit Abstand mächtigste Oberbefehlshaber, den die Neuzeit je gesehen hat.
Den friedlich ausgehandelten Interessenausgleich zwischen den Völkern hält einer wie Trump dagegen für Zeitverschwendung, Kompromisse für eine ansteckende Krankheit. Vertragstreue, Bündnistreue und Prinzipientreue, auch die zum Prinzip des freien Welthandels, stehen in seinem Denken zur Disposition, zumindest dann, wenn sie nicht seinen Stimmungen entsprechen. Er hat nichts dagegen, dass wir ihn als wirr empfinden. Oder wie Trumps vormals rechte Hand, Steve Bannon, sich kürzlich ausdrückte: „Es hilft uns, wenn sie es falsch verstehen. Wenn sie kein Verständnis dafür haben, wer wir sind und was wir tun.“
Eine Weltordnung – mit der Betonung auf Ordnung – ist für die Trump-Mannschaft erst dann wünschenswert, wenn Amerika darin seinen garantierten Platz an der Sonne besetzt. „From this moment on, it‘s going to be America first.“ So sprach der neue Präsident in seiner Einführungsrede auf den Stufen von Capitol Hill.
Einer wie Trump will nicht kooperieren, er will dominieren. Ansonsten ist ihm auch das Weltenchaos willkommen. Die Eckpfeiler der amerikanischen Nachkriegspolitik – also ein regelbasiertes internationales Handelssystem, die Schaffung eines internationalen Rechts, die Förderung des europäischen Einigungswerks, Multilateralismus und Menschenrechte – bedeuten ihm nicht viel. Trump beschreibt die Vergangenheit als eine Aneinanderreihung von „horrible deals“ und betrachtet seine Alliierten in Europa als Gesellschaften, „die ihre Rechnungen nicht bezahlen“.
„America first, Earth last“
Eine derart fundamentale Trendumkehr hat es in Amerika seit den Tagen des Marshallplans nicht gegeben: „Der mächtigste Staat der Welt hat damit begonnen, jene Ordnung zu sabotieren, die er selbst geschaffen hat“, konstatiert G. John Ikenberry, Professor für internationale Beziehungen an der Princeton-Universität. Filmemacher Michael Moore fasst die neue Doktrin so zusammen: „America first, Earth last“.
Für die anderen Staats- und Regierungschefs, die er in Hamburg treffen wird, ist Trump mit seiner kindlichen Trotzköpfigkeit zwar schwer zu ertragen, aber leicht zu unterschätzen. Die Tatsache, dass sich der Rest der Welt und Teile Amerikas von ihm abgewandt haben, bedeutet nicht, dass er seinerseits von der Welt ablässt. Er ist der unmögliche Präsident, bei dem alles möglich ist.

Im Gästebuch der Gedenkstätte Yad Vashem hinterlässt er den unpassenden Eintrag „so amazing“.

Der US-Präsident schließt in Saudi-Arabien einen großen Rüstungsdeal und zelebriert den Kriegstanz.
Gefährlich ist bei Trump (wie bei Kaiser Wilhelm) nicht das, was er im Kopf hat. Gefährlich ist das, was er nicht im Kopf hat. Ihm fehlt jedes Gefühl für die Vielzahl an Rückkopplungsschleifen, die seine Sprunghaftigkeiten in anderen Teilen des Globus auslösen. Denn ausgerechnet in einer Welt von Multinationalität und Hyperkomplexität regiert in Washington nun ein Mann, der in der Eindimensionalität beheimatet ist.
Wahrscheinlich weiß Trump selbst noch nicht, wohin ihn sein Temperament und die ungeahnten Möglichkeiten des hohen Amtes führen werden. Vieles ist denkbar, nur nicht, dass einer wie er aus Einsicht moderat wird, sich binnen weniger Monate modernisiert und entradikalisiert.
Die für die Weltgemeinschaft unbequeme Wahrheit lautet: Es liegt Krieg in der Luft. Der große Rumms – „the large scale conflict“, von dem in Washington jetzt wieder die Rede ist – ist nicht unausweichlich, aber er ist wieder möglich. In einer fragil gewordenen Welt reichen schon kleinere Erdstöße, um ein Weltbeben auszulösen. Es gibt Tage, da sieht unsere Weltordnung ohnehin aus wie ein Kartenhaus.
Trump-Agenda steckt fest
Die klassischen Instrumente der Diplomatie lehnt Trump ab, weil sie ihm zu kompliziert sind, weil sie ihm nicht schneidig genug scheinen, weil sie in keinen Tweet passen. Trump ist nicht Hitler, kein zweiter Napoleon und kein neuer Nero, aber – und darin liegt die tragische Parallele zum Deutschland des beginnenden vorigen Jahrhunderts – er ist ein politischer Tölpel, der sich für einen Helden hält.
Die „intellektuelle Seifenblasenproduktion“, die Sebastian Haffner bei Kaiser Wilhelm II. diagnostiziert hat, führt Trump wie ein Firmenerbe nahtlos fort. Nur dass wir das Dasein in selbst erzeugten Wirklichkeiten heute als Leben in der eigenen Echokammer bezeichnen. Die Worte wechselten, der Sachverhalt überlebte das Jahrhundert.
Auch Kaiser Wilhelm II. hat übrigens mit seiner Mischung aus Rohheit und Tollpatschigkeit den Ersten Weltkrieg nicht gewollt, nicht geplant, aber am Ende eben doch ausgelöst. Er wollte nur angeben. Und mit dem Flottenbau wollte er der Nation einen Grund zum Stolz-Sein geben; stolz auf sich und seinen Kaiser, den selbst ernannten „Admiral des Atlantiks“.
Doch es dauerte nicht lange, und die Fliehkraft einer aggressiven und überheblichen Außenpolitik geriet außer Kontrolle. Am Ende brannte ganz Europa, und der Kaiser wusste nicht recht, warum. Über neun Millionen Menschen sind auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs gestorben, grausam verreckt an der Somme, bei Verdun und Isonzo, zugerichtet von Giftgas und Artillerie.
Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Wer hoffen will, soll weiter hoffen. Auf Umkehr und Verwandlung. Auf späte Einsicht im Hause Trump oder die unerbittliche Einwirkung der anderen amerikanischen Verfassungsorgane, die einen demokratisch gewählten Kaiser eigentlich ausschließen sollten.
Doch wer sich den Blick auf die Realitäten nicht verstellt hat, wird zugeben müssen, dass schon die ersten Monate im Amt des 45. amerikanischen Präsidenten, dessen Antriebsdepots mit Selbstliebe, Großmachtgefühl und Erbarmungslosigkeit prall gefüllt sind, nichts Gutes ahnen lassen. Trump zündelt an allen Ecken – im Chinesischen Meer, im geteilten Korea, und auch mit Putin, Assad und der Regierung in Teheran sucht er Streit statt Ausgleich. „Es besteht die reale Gefahr“, sagt Philip Gordon, einst Staatssekretär unter Außenministerin Hillary Clinton und danach als Koordinator für den Mittleren Osten im Weißen Haus beschäftigt, „dass Trumps Sprunghaftigkeit und sein konfrontativer Stil die ohnehin fragile Weltordnung zerstören und es zum offenen Konflikt kommt.“
Man wird den Verdacht nicht los, dass der neue Präsident gar keinen Frieden will, sondern recht haben. In der Innenpolitik ist er damit nicht weit gekommen. An der Wall Street hat man die Hoffnung auf einen Trump-Aufschwung fahren lassen. Weder die Steuerreform noch das angekündigte Infrastrukturprogramm und auch nicht der Bau der amerikanisch-mexikanischen Mauer kommen voran. Die Trump-Agenda steckt fest, auch deshalb, weil die Mehrheitsführer der Republikanischen Partei passiven Widerstand leisten gegen einen Mann, den sie als Eindringling empfinden.
Die Temperatur steigt
Also muss die Außenpolitik als Ersatzdroge herhalten. Nichts liegt Trump heute ferner als der im Wahlkampf angekündigte Rückzug von den Schlachtfeldern der Welt. Den glücklichsten Moment seiner Amtszeit erlebte er, als er Raketen auf einen syrischen Militärflughafen abfeuern ließ. Für einen kurzen Moment zeigten seine sonst nur mittelmäßigen Umfragewerte nach oben.
Den Nahen Osten pumpt er jetzt eifrig mit Kriegsgerät voll. Eben erst wurde ein 110-Milliarden-Deal mit dem Königshaus von Saudi-Arabien geschlossen. Die Einkreisung des Wüstenstaats Katar durch vier Anrainerstaaten, darunter auch Trumps Waffenbruder Saudi-Arabien, fand nicht nur mit Billigung, sondern nach Aufforderung durch Trump statt. Der Mann weiß, wie man polarisiert.
Die Hoffnung vieler Europäer, Trump werde nach populistischem Wahlkampf und turbulentem Start seiner Regierung zu einer moderaten US-Außenpolitik zurückfinden, hat sich bislang nicht erfüllt. Nach den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit sind auf allen Konfliktherden die Temperaturen gestiegen.
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Sehr geehrter Herr Steingart,
"machtbesessen, brutal und skrupellos" - diese Charakterisierung trifft sicher nicht nur auf den letzten deutschen Kaiser und Herrn Trump zu. Vielleicht schauen Sie sich einfach einmal in den Chefetagen und den Regierungszentralen dieser Welt um. Sie werden an Millionen Beispielen feststellen, dass Macht und humanitäre Ideale ganz selten eine Verbindung eingehen.
Reden wir einmal über die USA. Sie haben in der Nachkriegszeit eine Reihe von Kriegen geführt. Das selbe gilt aber auch für Russland, auch die Russen haben Blut an den Händen. Und selbst China scheut vor Eroberungskriegen nicht zurück, das beste Beispiel ist Tibet. Von eklatanten Verletzungen der Menschenrechte ganz zu schweigen.
Ihre Furcht vor einem Krieg in allen Ehren. Aber meines Wissens ist bislang noch nie ein Nato-Verbündeter angegriffen worden. Weder von den USA noch von einem anderen Land.
"Haltung bewahren" im Sinne einer Bekämpfung von Donald Trump halte ich weder für sinnvoll noch für durchführbar. Angesagt ist stattdessen, dass die europäischen Länder ihre Interessen formulieren, bündeln und mit Festigkeit vertreten.
Eine schöne Zusammenfassung die mich persönlich in meiner Einschätzung zu diesem Thema bestätigt. Leider macht sie mir auch Angst. Angst vor Krieg....
Gute, nein, sehr gute Analyse der aktuellen Weltlage nach "Trump". Bleibt lediglich zu hoffen, dass die G20-Staatschefs in Hamburg, insb. Kanzlerin Merkel, noch fix die Zeit finden diese Zeilen auch zu lesen.
Sehr treffende Analyse! Hervorragend geschrieben. Allerdings sollten Sie noch eben den Dreher mit den beiden Reichskanzlern korrigieren: von Bülow war nicht Vorgänger von Bismarck, sondern Nachfolger.
Danke für diesen interessanten, weitreichenden und aussagekräftigen Kommentar. Es hilft,einmal eine Zusammenfassung zu lesen, die eigene Gedanken und Bedenken spiegelt.. Meine etnzige Hoffnung ist, dass, wenn ganz viele Menschen sich einmal am Tag wünschen, dass das T-tier aus unerfindlichen Gründen den Job nicht mehr machen kann. Ist einen Versuch wert. Schönen Tag an Alle.