Digital Services Act Warum ein EU-Gesetz das Fake-News-Problem verschärfen könnte

Die Facebook-Whistleblowerin warnte vor Ausnahmen im DSA.
Brüssel So viel gegenseitige Wertschätzung hört man selten in einer Ausschusssitzung. Zweieinhalb Stunden hat die ehemalige Facebook-Managerin Frances Haugen am Montagabend Fragen von EU-Abgeordneten beantwortet. Kein Parlamentarier vergaß dabei, Haugen nachdrücklich zu danken. Diese wiederum nannte die Arbeit der EU-Abgeordneten ein „Licht in der Dunkelheit“.
Haugen hat Dokumente veröffentlicht, die nach ihrer Lesart zeigen, dass Facebook den Profit über die Sicherheit seiner Nutzer stellt. Die Algorithmen des Netzwerks führten zu Gewalt und Tod.
Grundlage für diese Aussage ist die Beobachtung, dass Facebook seine Nutzer Desinformationen aussetzt und sie von gemäßigten auf extreme Inhalte leitet. Dahinter stehe ein Geschäftsmodell, das darauf beruhe, dass die Nutzer viel bei Facebook unterwegs sind. Und dieses Engagement wird eben besonders durch emotionale und polarisierende Inhalte ausgelöst.
Die Mechanismen sind im Grundsatz bekannt. Derzeit entsteht in Brüssel mit dem Digital Services Act (DSA) das weltweit erste Gesetz, dessen Aufgabe es sein soll, diese Logik zu durchbrechen. Ob das funktioniert, ist von vielen Feinheiten im Gesetzestext abhängig.
Haugen warnte sogar davor, mit einem schlecht ausgearbeiteten Gesetz könne Europa schlechter dran sein als bisher. So sollen die sozialen Netzwerke in die Pflicht genommen werden, schädliche Inhalte zu moderieren. Dabei soll es aber Ausnahmen für die Inhalte von klassischen Nachrichtenmedien geben. Darin sieht Haugen eine Gefahr: „Jede moderne Desinformationskampagne nutzt die Kanäle von Nachrichtenmedien auf digitalen Plattformen und trickst das System aus“, sagte sie in ihrem Eingangsstatement. Solche Ausnahmen könnten die Effektivität des Gesetzes gefährden. „Am Ende könnten wir sogar schlechter dran sein als in der heutigen Situation.“
Mehr Datenaustausch zwischen Netzwerken bedeutet weniger Kontrolle
In einem weiteren Punkt sprach sich Haugen explizit gegen die Pläne mancher Abgeordneter aus. So wird gefordert, soziale Netzwerke interoperabel zu machen. Das würde etwa bedeuten, dass man einer Facebook-Gruppe auch mit dem Account eines anderen Netzwerks beitreten kann. Dadurch würde der Wettbewerb gestärkt, und kleinere Netzwerke hätten die Chance, zu Facebook-Konkurrenten aufzusteigen.
Aber die Umsetzung dieser Idee würde Probleme mit sich bringen und mehr Regulierung erfordern, meint Haugen. Denn es würde bedeuten, dass die Daten eines Netzwerks auch an andere Netzwerke gesendet werden – dort hätte der Nutzer aber weniger Kontrolle über sie. Als Beispiel nannte sie den Fall, dass ein Nutzer alte Fotos löschen wolle.
Er müsste dann darauf vertrauen, dass alle Netzwerke, an die das Bild gesendet wurde, den Löschauftrag umsetzen. Sie verglich die Situation mit E-Mails, über die man auch keine Kontrolle mehr hat, sobald sie abgesendet sind.
Generell ist Haugen aber begeistert von der Arbeit, die in der EU gerade gemacht wird. Die Politiker hätten eine Chance, wie sie jede Generation nur einmal habe, Regeln für die Onlinewelt zu erlassen. Es gehe um den Schutz von Kindern, um die Eingrenzung von Hassreden und das Bewahren der Demokratie.
Whistleblowerin Frances Haugen fordert schärfere Regulierung von Facebook
Bisher überlasse man dem Facebook-Mutterkonzern Meta die Verantwortung für die Risiken in seinem Netzwerk. Meta sei dabei gleichzeitig Richter, Ankläger und Zeuge. Der Konzern, das sagte Haugen mehrfach, habe die Welt aber immer wieder absichtlich in die Irre geführt.
Vielsprachigkeit als Stärke
Eine Stärke der EU-Gesetzgeber sieht sie in der Vielsprachigkeit. So seien viele Sicherheitsmaßnahmen von Facebook nur für die englischsprachige Welt umgesetzt. Mit dem DSA kann die EU soziale Netzwerke aber dazu zwingen, Nutzergruppen mit anderen Sprachen genauso gründlich zu betrachten. Das könnte sich auch auf Märkte außerhalb Europas auswirken, wo Facebook für die Information der Bürger eine noch größere Rolle spielt.
Einen zentralen Punkt sieht sie in der erzwungenen Offenlegung von Daten. Nur dadurch sei es möglich, die Aussagen von Facebook über sich selbst zu prüfen. So würden Desinformationskampagnen auf Twitter oft entdeckt, weil dort die Daten frei zugänglich sind. Kampagnen bei Facebook fallen demnach oft nur deswegen auf, weil dort die gleichen Account-Namen verwendet werden wie auf Twitter.
Als die Tabakindustrie Filterzigaretten für gesund erklärte, habe man dies unabhängig überprüfen und entlarven können. Die Aussagen von Facebook zu seinen Algorithmen und ihren Effekten ließen sich dagegen bislang nicht entsprechend überprüfen.
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