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Digitale Diplomatie Angst vor Tech-Diktaturen: EU sucht Schulterschluss mit den USA und plant Botschaft im Silicon Valley

Die EU will den geopolitischen Folgen neuer Technologien mehr Beachtung widmen. Sie plant eine Vertretung in San Francisco – und warnt vor der Digitalmacht China.
23.07.2021 - 04:00 Uhr 1 Kommentar
„Globale Tech-Unternehmen sind zu machtvollen Akteuren geworden, die einen so großen Einfluss auf die Gesellschaft haben, wie es in der Vergangenheit selten der Fall war“, so die EU. Quelle: imago images/xim.gs
Google-Zentrale im Silicon Valley

„Globale Tech-Unternehmen sind zu machtvollen Akteuren geworden, die einen so großen Einfluss auf die Gesellschaft haben, wie es in der Vergangenheit selten der Fall war“, so die EU.

(Foto: imago images/xim.gs)

Brüssel Die EU will ihre Außenpolitik neu ausrichten und dabei die wachsende Macht von Internetkonzernen wie Google und Facebook stärker in den Blick nehmen. Das geht aus einem internen Papier des Europäischen Auswärtigen Diensts (EAD) hervor, das dem Handelsblatt vorliegt.

„Globale Tech-Unternehmen sind zu machtvollen Akteuren geworden, die einen so großen Einfluss auf die Gesellschaft haben, wie es in der Vergangenheit selten der Fall war“, schreiben die EU-Beamten. „Ein informierter Dialog mit der Privatwirtschaft über ihre Rolle und Verantwortung ist ein wichtiger Bestandteil der externen Digitalpolitik.“ 

Die EU plant daher, eine Außenvertretung in San Francisco zu gründen. Darüber hat EU-Außenvertreter Josep Borrell die Außenminister der Mitgliedstaaten vergangene Woche informiert, wie das Handelsblatt von Diplomaten erfuhr. 

Die Initiative richtet sich aber auch gegen staatliche Akteure. Die EU will der „Geopolitik von neuen digitalen Technologien“, wie es intern heißt, mehr Beachtung schenken. Mit Sorge betrachtet die EU, wie „autoritäre Systeme“ – gemeint ist vor allem China – „digitale Technologien als Werkzeuge zur sozialen Überwachung und Unterdrückung einsetzen“. Dem müsse die EU sich entgegenstellen und internationale Allianzen schmieden, fordert das Diskussionspapier. 

Hinter der „Cyber-Diplomatie“ des EAD stehen zwei Dinge: erstens die Einsicht, dass Technologiefragen heute Machtfragen sind. Zweitens das Eingeständnis, dass die bisherige Chinapolitik der demokratischen Welt gescheitert ist. Insofern stellt die Neuausrichtung einen klaren Bruch mit der Vergangenheit dar.

Clinton sagte die neue Chinapolitik voraus

Das neue Jahrtausend war erst wenige Wochen alt, die Erinnerung an den Triumph im Kalten Krieg noch frisch, als der damalige US-Präsident Bill Clinton an der Johns-Hopkins-Universität eine Grundsatzrede zur Chinapolitik hielt. Kurze Zeit später schied Clinton aus dem Amt, doch er stellte die strategischen Weichen für die nächsten eineinhalb Jahrzehnte.

Der US-Präsident war sich seiner Sache sicher: „In der Wissensökonomie werden wirtschaftliche Innovation und politische Ermächtigung, ob es einem gefällt oder nicht, unweigerlich Hand in Hand gehen“, verkündete er im März 2000. „Im neuen Jahrhundert wird sich die Freiheit per Handy und Modem verbreiten.“ Es stehe außer Frage, sagte Clinton, dass China versuche, „gegen das Internet vorzugehen“. Ein „Kichern“ im Publikum vermerkt das Redeprotokoll da. „Viel Glück!“, rief Clinton.

Die bequeme Annahme, dass ökonomischer und technologischer Fortschritt der Demokratie den Weg bereiten, hat lange den Kern westlicher Außen- und Sicherheitspolitik gebildet – doch sie hat sich als Irrtum erwiesen. Digitale Technologien haben China nicht demokratisiert, sie haben geholfen, autoritäre Strukturen zu festigen. Das Internet hat den Charakter des chinesischen Regimes nicht verändert; vielmehr verändert das chinesische Regime den Charakter des Internets.

Europa blickt den neuen Realitäten nun ins Auge

Es hat eine Weile gedauert, ehe sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat, in Europa noch länger als in den USA. Doch inzwischen ist auch die EU bereit, den neuen geopolitischen Realitäten ins Auge zu blicken. Das sogenannte Non-Paper des Europäischen Auswärtigen Dienstes, über das die Außenminister vergangene Woche in Brüssel beraten haben, belegt dies eindrucksvoll. 

„Technologie prägt zunehmend die Geopolitik und nimmt eine zentrale Rolle im Machtwettbewerb zwischen verschiedenen Herrschaftsmodellen ein“, schreiben die EU-Diplomaten. „Ausländische Akteure nutzen technologische Entwicklungen zur Manipulation und Einmischung.“ Damit bedrohten sie „das Funktionieren unserer Demokratien“.

Das EAD-Papier scheut sich nicht, China beim Namen zu nennen: „China hat die Technologie zu einem Schlüsselelement in seinem globalen Einflussstreben gemacht.“ Die EU will daher künftig stärker gegenhalten.

„Der EU-Ansatz zur Digitalisierung – basierend auf offenen Gesellschaften, wirtschaftlicher und sozialer Ermächtigung der Bürger, Rechtsstaatlichkeit sowie Grundrechten und -freiheiten“ sei ein „strategischer Vorteil“. Diesen gelte es „gegenüber autoritären Systemen“ zu nutzen, „die digitale Technologien als Werkzeuge zur sozialen Überwachung und Unterdrückung einsetzen“.

China will „Cybersupermacht“ werden

Chinas Staatschef Xi Jinping hat das Ziel ausgegeben, die Volksrepublik in eine „Cybersupermacht“ zu verwandeln. Dafür errichtet er den Überwachungsstaat der Zukunft. Datenspuren, die Chinesen im Netz hinterlassen, werden von Sicherheitsorganen gesammelt und ausgewertet. Technologien wie Big Data und Künstliche Intelligenz (KI) assistieren bei der Perfektion der Kontrolle. Zu den erfolgreichsten Firmen Chinas zählen Unternehmen, die eng mit dem Staatsapparat kooperieren: ob Huawei, Hikvision oder Cloudwalk. 

Klar ist: Der Machtwettbewerb zwischen Staaten wird heute noch stärker als früher mit ökonomischen Mitteln ausgetragen, weil die Kosten direkter militärischer Konfrontationen extrem hoch geworden sind. Doch ist dabei nicht mehr ausgemacht, was lange als Gewissheit galt: dass marktwirtschaftliche Demokratien in der Systemrivalität mit autoritären Regimen überlegen sind. 

Der chinesische Präsident rüstet sein Land zur Digitalmacht auf. Quelle: imago images/Xinhua
Xi Jinping vor Parteikadern

Der chinesische Präsident rüstet sein Land zur Digitalmacht auf.

(Foto: imago images/Xinhua)

Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts haben zwar gelehrt, dass Diktaturen fragil und ineffizient sind. Aber dieses strukturelle Defizit erklärt sich auch damit, dass die zentrale Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft mit den damaligen Technologien schlicht nicht möglich war. Mit Big Data und KI könnte sich das Blatt nun wenden. Denn Algorithmen brauchen Daten. 

Während liberale Demokratien diesen digitalen Rohstoff mit Datenschutzregeln verknappen, steht in Diktaturen der totalen Erfassung nichts im Weg. „Das Haupthindernis autoritärer Regime im 20. Jahrhundert – der Drang, alle Informationen und Kräfte an einem Ort zu bündeln – kann im 21. Jahrhundert zu ihrem entscheidenden Vorteil werden“, argumentiert der israelische Historiker Yuval Harari. Das Auswärtige Amt hatte schon vor zwei Jahren in seiner Digitalstrategie gewarnt: „Technologien basierend auf Big Data, Smart Data, KI und Quantentechnologie werden zu einer Machtverschiebung führen.“

Technische Standards spielen eine entscheidende Rolle

Von entscheidender Bedeutung wird sein, wem es gelingt, die Standards für diese Zukunftstechnologien zu setzen. Um technische Normen, die lange als trockene Materie galten und nur für Fachleute interessant waren, tobt heute ein Wirtschaftskonflikt. Gerade China geht gezielt vor und besetzt Schlüsselposten in UN-Organisationen wie der Internationalen Fernmeldeunion. 

Die Chinesen haben eine Erkenntnis verinnerlicht, die Werner von Siemens zugeschrieben wird: Wer die Standards setzt, beherrscht den Markt. Heute bedeutet das: Wer die technischen Normen für den Mobilfunkstandard 6G, KI und Quantencomputer festlegt, sichert sich einen langfristigen strategischen Vorteil.

Die „Wahl des globalen Modells für Technologie- und Internetregulierung“ werde die „zukünftige Führungsrolle“ bestimmen, mahnt der EAD. „Was bisher als technische Angelegenheiten betrachtet wurde, muss von der EU zunehmend aus einer strategischen Perspektive heraus behandelt werden.“

Dabei sucht die EU den Schulterschluss mit der neuen US-Regierung. „Die Biden-Administration betrachtet aufkommende Technologien als eine Toppriorität für ihre Außen- und Sicherheitspolitik“, schreibt der EAD. Die EU strebt eine „digitale Partnerschaft“ mit den USA an. 

Die Keimzelle dafür soll der transatlantische Rat für Handel und Technologie sein, auf dessen Gründung sich US-Präsident Joe Biden und die Spitzen der EU im Juni verständigt hatten. „Das strategische Ziel der EU sollte es sein, die globale Unterstützung für eine Vision einer menschenzentrierten Digitalisierung mit robusten Standards und Normen zu formen und auszubauen“, heißt es in dem EAD-Dokument.

„Wir müssen stärker geoökonomisch denken“

Auch die deutsche Politik ist inzwischen aufgewacht. Der Auswärtige Ausschuss des Bundestags hat kürzlich Experten zur geopolitischen Bedeutung technologischer Entwicklungen befragt. „Wir müssen stärker geoökonomisch denken und uns mit der Verschränkung von Technologie, Handel und Sicherheit auseinandersetzen“, sagt SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. „China verschafft sich Mehrheiten in internationalen Foren, in denen die Weichenstellungen für neue Technologien vorgenommen werden.“ Darauf müsse die EU reagieren.

Der Sturm auf das US-Kapitol hat gezeigt, welche destruktiven Kräfte Onlinenetzwerke wie Facebook und Twitter selbst in gefestigten Demokratien entfesseln können. Quelle: dpa
Sturm auf das US-Kapitol

Der Sturm auf das US-Kapitol hat gezeigt, welche destruktiven Kräfte Onlinenetzwerke wie Facebook und Twitter selbst in gefestigten Demokratien entfesseln können.

(Foto: dpa)

Ähnlich formuliert es CDU-Europapolitiker Andreas Schwab: „Die Digitalpolitik hat eine herausragende Bedeutung erreicht, weil die Digitalisierung tief in gesellschaftliche Strukturen hineingreift und Fragen der Souveränität, des Daten- und Verbraucherschutzes sowie des fairen Wettbewerbs berührt“, sagt er.

Die Gründung einer EAD-Vertretung im Silicon Valley ist ein wichtiger Teil der außenpolitischen Antwort auf den digitalen Wandel. Denn die Digitalisierung setzt freiheitliche Gesellschaften doppelt unter Druck. Nicht nur, dass sie Autokratien im internationalen Systemwettbewerb stärkt, sie schwächt die Demokratie auch von innen. Der Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar hat gezeigt, welche destruktiven Kräfte Onlinenetzwerke wie Facebook und Twitter selbst in gefestigten Demokratien entfesseln können. 

Soziale Medien begünstigen die Verbreitung von Verschwörungstheorien

Jetzt wiederholt sich das Drama: Die Verbreitung von Verschwörungstheorien und Desinformation bremst die Impfkampagnen in den USA und in Europa. „Was die Demokratien beweisen müssen, ist, dass wir immer noch liefern können“, betont US-Präsident Biden immer wieder. Doch die Bilanz der jüngsten Vergangenheit fällt ernüchternd aus: Den Kampf gegen das Coronavirus hat China erfolgreicher geführt als Europa und die USA. 

Bei allen politischen Problemen in den Vereinigten Staaten: Auf den globalen Kampf um technologische Dominanz ist Europa weit schlechter vorbereitet als die Amerikaner. Dem Aufstieg des digitalen Autoritarismus und der Macht der Onlinegiganten hat die EU bisher nur das Gewicht des europäischen Binnenmarkts entgegenzusetzen. Mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat Europa ein Regelwerk durchsetzen können, das die globale Tech-Industrie zu Anpassungen an europäische Werte zwingt.

Diese Machtdemonstration will die EU-Kommission nun mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act wiederholen – zwei Gesetze, die das Ziel haben, die großen Internetkonzerne mit strengen Vorschriften zu zügeln und europäische Werte in die Welt zu tragen.

Aber reicht das? „Es ist nicht gelungen, auf diesen Werten basierende Produkte anzubieten“, beklagte das Auswärtige Amt schon vor zwei Jahren. Es gibt kein europäisches Google, kein europäisches Amazon. 

Wenn Europa im Zuge der Digitalisierung an Bedeutung verliert, schwindet auch die Regulierungsmacht der EU. Aufgabe der europäischen Silicon-Valley-Repräsentanz wird es daher auch sein, von der Innovationskultur an der amerikanischen Westküste zu lernen.

Mehr: „Doping für Diktaturen“: Auswärtiges Amt warnt vor Gefahren durch digitale Technologien

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1 Kommentar zu "Digitale Diplomatie: Angst vor Tech-Diktaturen: EU sucht Schulterschluss mit den USA und plant Botschaft im Silicon Valley"

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  • Man flüchtet also von der Tech-Diktatur China in die Arme des sicheren Beschützers jenseits des Atlantiks. Dann dürfen wir uns aber nicht abschrecken lassen, wenn die USA sich in Europas Wirtschaft&Politik klar einmischen, wie wir derzeit ja an Nord Stream 2 oder dem niederländischen Halbleiterunternehmen ASML, beobachten können. Sind Google, Microsoft, Facebook und Amazon nicht vielleicht doch die größere Bedrohung für Europa, als Huawei oder Alibaba?

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