Ein Jahr Katar-Blockade Der brutale Machtkampf am Golf geht weiter – doch Katars Widerstand ist kostspielig
Doha
Qatar-Airways-Chef Akbar Al Baker liebte seine Uralt-Handys von Nokia, zwei davon hatte er immer bei sich. Zumindest bis vor einem Jahr.
Denn als die arabischen Nachbarstaaten vor einem Jahr eine Totalblockade gegen den kleinen Staat auf einer Halbinsel vor Saudi-Arabien verhängten, legte sich Al Baker ein modernes Smartphone zu. „Ich muss jetzt öfter auch schriftlich reagieren, Fakten checken, blitzschnell E-Mails schreiben“, räumt der drahtige Chef von Katars Staats-Airline ein.
Der Handy-Tausch ist ein klares Zeichen dafür, wie schwer die am 5. Juni 2017 von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE), Bahrain und Ägypten verhängte Blockade dem Wüstenstaat zusetzt. Ansonsten betont Al Baker die offizielle Staatslinie, der Boykott könne dem kleinen Land nichts anhaben.
Beim Chef der Fluggesellschaft klingt das so: „Trotz der Blockade war 2017 ein Rekordjahr für uns“, so Al Baker. „Wen trifft die Blockade wohl am heftigsten“, fragt er und weist darauf hin, dass die Rivalen Emirates aus Dubai und Etihad aus Abu Dhabi in den Quartalen nach Verhängung der Katar-Blockade Verluste einflogen.
200 Milliarden Dollar bietet Katar nun auf, um durch Mega-Investitionen in die Infrastruktur die Wirtschaft zu stimulieren und Durchhaltewillen zu demonstrieren. Ganz ohne Zweifel ist den Gegnern der katarischen Herrscher, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, das Brechen des Rückgrats nicht gelungen.
Im Gegenteil: Hatten sie gehofft, es komme wegen Lebensmittelmangels zügig zu einem Staatsstreich, so waren die Läden sehr schnell wieder voll - und so kleben heute die Konterfeis des Emirs als Aufkleber auf Autos oder als Mega-Poster wolkenkratzerhoch an Hochhäusern in der Hauptstadt Doha – wie dies zuvor nie der Fall war.
„Die Kosten für die Blockade haben vor allem die blockierenden Länder zu tragen. Sie hatten große Handelsüberschüsse mit uns. Sie haben unseren Markt verloren, und wir kaufen jetzt woanders“, sagte Katars Wirtschaftsminister Scheich Ahmed Bin Jassim al Thani dem Handelsblatt.
Tatsächlich konnte das Land, das als „einzig wahrer Wüstenstaat der Welt“ für sich wirbt, 2017 mit zwei Prozent deutlich stärker wirtschaftlich wachsen als die anderen arabischen Golfstaaten. Und die Weltbank rechnet für das laufende Jahr mit mehr als 2,8 Prozent Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes.
„Das ist deutlich mehr, als Analysten angesichts der Blockade erwartet hatten. Die Blockade hat unsere Wirtschaftsreformen nur noch beschleunigt“, erklärt Wirtschafsminister Al Thani. Auch auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 herrscht entsprechend Optimismus: Binnen Stunden sei es gelungen, Ersatzrouten für Lieferungen zu organisieren oder andere Waren als aus den Blockadestaaten zu bekommen, prahlt der Bauleiter im Beton-Rohbau des Stadions Al Bayt, 40 Minuten Autofahrt von der Hauptstadt Doha entfernt. „Und das sogar zu besseren Preisen und mit besserer Qualität“, schiebt Ghanim Al Kuwari hinterher.
Der Ingenieur verantwortet auch den Bau des an ein Beduinenzelt erinnernden Stadiondachs, das vom deutschen Architekturbüro GMP entworfen wurde und mit Polytetrafluorethylen beschichtet wird, besser bekannt als Teflon. Übrigens genau wie die Außenhaut der Münchener Allianz-Arena.
Pilgerstätte des Widerstands
Auch auf anderem Gebiet werden vermeintliche Erfolgsgeschichten präsentiert: Baladna (Unser Land) heißt eine Milchfarm, 50 Kilometer nördlich von Doha. Moutaz Al Khayyat, Chairman der Power International Holdings und Eigner der Großfarm, hat 14.000 Holsteiner Milchkühe aus Australien und den USA einfliegen und per Schiff kommen lassen.
Baladna ist so zu einer Pilgerstätte des Widerstands geworden. Sehenswert sind etwa die die automatischen und extragekühlten Melk-Karussells inmitten der Wüste. Inzwischen wurden sogar ein Vergnügungspark und Restaurants angesiedelt. „Keine einzige Kuh gab es hier vor einem Jahr“, berichtet John Dore, ein Ire, der die Milchfarm managt, zufrieden.
14.000 schwarzweiß gefleckte Vierbeiner tun nun Dienst für Katar. Das Land – bisher bei Milchprodukten abhängig von Importen aus Saudi-Arabien – wird nun Selbstversorger. Doch allein die 60 Qatar-Airways-Flüge, mit denen die ersten 3.400 Milchkühe eingeflogen wurden, und die 70 Fußballfelder großen, künstlich bewässerten Weiden wurden mit acht Millionen Dollar fünf Mal so teuer wie erwartet.
Besitzer Al Khayyat lässt das nicht gelten: „In der Krise muss man seinem Land helfen.“ Bis Jahresende will er aber Aktien von Baladna an die Börse bringen, die Farm wird mit 550 Millionen Dollar bewertet.
Insgesamt sind die Kosten für das Aushebeln der Blockade hoch. 40 Milliarden Dollar, sagen Analysten in Doha, habe dies bereits verschlungen. Katars Devisenreserven sind um knapp 15 Prozent auf 39,7 Milliarden Dollar gesunken.
Allein Qatar Airways, Katars wohl bekannteste Firma, musste wegen der Start- und Landeverbote in den Nachbarländern viele Ziele in der Region streichen. Mittelstreckenjets des Typs A320 hatten von einem auf den anderen Tag keine Aufgabe mehr. Die Airline muss seitdem auch weite Umwege fliegen. Das kostet allein schon mehr Kerosin, doch wegen des erhöhten Treibstoffbedarfs müssten teilweise auch Großraumflugzeuge eingesetzt werden, was vorher nicht geplant war und obwohl gar nicht so viele Passagiere Tickets buchen.
Die Lage der Deutschen – zwischen Hammer und Amboss
Für die deutsche Wirtschaft ist die Lage kompliziert. Einerseits geht das Business as usual auf der Halbinsel weiter, wie Kathrin Lemke, Repräsentantin der deutschen Wirtschaft in Doha, sagt: „Trotz diplomatischer Krise wächst Katars Wirtschaft; und die Unternehmen vor Ort haben ihre Vertriebswege entsprechend umgestellt.“
Doch es seien auch Bremsspuren zu sehen: Zwar seien viele Infrastrukturprojekte bereits fertiggestellt. Aber neue Bauvorhaben werden derzeit kritisch evaluiert und Ausschreibungen teilweise verschoben. „Die deutsche Wirtschaft muss sich an diese veränderte Situation anpassen. Deutschland ist aber weiterhin einer der wichtigsten Handelspartner Katars“, sagt die Chefin des Delegiertenbüros der Deutschen Wirtschaft Katar (AHK). Positiv sei auch, ergänzt Helene Rang von Nah- und Mittelostverein der deutschen Wirtschaft (Numov), dass „Katar Milliarden seines Vermögens investiert und investiert hat in seine eigene Unabhängigkeit. Diese Investitionen können als sehr positiv angesehen werden.“
Die Chefin des Verbandes, dessen Ehrenpräsident Altkanzler Gerhard Schröder ist, sieht auch, dass das pro Kopf reichste Land der Welt „seit letztem Jahr noch mehr dabei ist, in Firmen in Europa zu investieren, besonders in Deutschland“.
Doch hinter vorgehaltener Hand sehen Repräsentanten deutscher Firmen ihre Lage am Golf als die zwischen Hammer und Amboss: Gerade Saudi-Arabien und die VAE drängten darauf, sich nicht mehr in Katar und im Iran zu engagieren. Die Deutsche Bank würde wegen ihres katarischen Großaktionärs bereits keine staatlichen Finanzgeschäfte in Abu Dhabi mehr machen können. Auch an Volkswagen, Siemens, Solarworld, Hochtief und anderen Firmen ist Katar substanziell beteiligt.
Wegen saudi-kritischer Äußerungen des früheren deutschen Außenministers Sigmar Gabriel werden deutsche Firmen bei der Vergabe großer Aufträge Saudi-Arabiens momentan nicht berücksichtigt. Und Riad verlange, so heißt es in diplomatischen Kreisen, nun auch von seinen Verbündeten mehr Druck auf Berlin. In Dubai lockt die Expo 2020 – die milliardenschwere Weltausstellung, mit der die Übermorgenmetropole der Welt das Umsetzen von Modernität beweisen will. Siemens und SAP sind hier Premiumpartner.
Positive Seiten der Blockade
Doch Katar als weltgrößter Exporteur von verflüssigtem Erdgas (LNG) sieht auch positive Seiten der Blockade: Die inzwischen schon erreichte teilweise Selbstversorgung, die in einigen Agrarsektoren und Baumaterialien bald 100-prozentig sein soll, wird dabei genannt.
Und die Öffnung des Landes: Deutsche und viele andere Staatsbürger können nun visumfrei nach Katar reisen. Firmen dürfen inzwischen mit 100 Prozent ausländischem Kapital gegründet werden, der früher obligatorische einheimische Partner ist nicht mehr nötig. Die VAE haben gerade ähnliche Schritte verkündet.
„Ein Wettlauf darum, wer sich mehr öffnet“, habe am Golf eingesetzt, zwischen Katar, den VAE und Saudi-Arabien, sagt ein ranghoher Diplomat in einer der Hauptstädte dort. Alle drei Staaten modernisieren ihre Volkswirtschaften, stecken Milliarden zum Fitmachen für die Zeit nach dem Öl ins Land. In Saudi-Arabien dürfen Frauen ab 24. Juni erstmals selbst autofahren, in Katar dürfen die etwa 300.000 Einheimischen (unter einer durch zahlreiche Gastarbeiter und Expats auf 2,6 Millionen aufgeblähten Einwohnerschaft) im kommenden Jahr erstmals frei wählen.
Gerade erst hat die Regierung in Doha Importe aus Saudi-Arabien und den VAE verboten, liefert aber weiter Gas in die Emirate. Lebensmittel kommen nun verstärkt aus der Türkei und dem Iran, mit dem sich Katar das größte Gasfeld der Welt unter dem Persischen Golf teilt: North Dome heißt es in Katar, South Pars im Iran.
Zugleich aber gibt es keine Zeichen der Entspannung zwischen den verfeindeten Lagern: Saudi-Arabien und die VAE sind politisch viel enger zusammengerückt. Katar hat sich der Türkei und dem Iran zugewandt. Doha soll zum regionalen Finanzzentrum gerade für die politisch unsicheren Staaten der Region – wie Iran, Irak und Pakistan – ausgebaut werden.
„Sollte Katar allerdings für längere Zeit isoliert bleiben, könnte dies das Wirtschaftswachstum bremsen“, mahnt AHK-Chefin Lemke. Und Saudi-Arabien hat im April angekündigt, die Blockade noch zu verschärfen: Mit einem neuen Kanal an der Grenze solle Katar noch weiter abgeschnitten werden.
Mit Milliarden-Investments in die Unterhaltungsindustrie sollen saudische Bürger im Land gehalten und von Reisen ins touristische deutlich attraktivere Katar abgehalten werden. Nun sollen auch noch saudische Milliarden in Sport-Events die Rolle Dohas als regionaler Knotenpunkt für Großsportereignisse unterminieren.
Die vier Blockadestaaten verlangen von Katar eine grundlegende Änderung der Außenpolitik, den Stopp der angeblichen Terrorfinanzierung und das Ende des in Doha beheimateten Satellitensenders „Al Dschasira“, der in weiten Teilen der Welt Katars Sicht der Dinge verbreitet – vor allem auch auf politische Prozesse bei seinen Nachbarn. In Doha sagt Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani dazu: „Unsere Souveränität werden wir niemals aufgeben.“
Hoffen ausgerechnet auf Trump
Die Lage ist verfahren. Doha wähnt sich auf der sicheren Seite. Riad verstärkt den Druck. Und mittendrin steckt US-Präsident Donald Trump. Beide Lager fühlen sich von ihm verstanden und angespornt – anfangs aber vor allem die Saudis. Trump machte seine erste Auslandsreise nach Riad, schunkelte beim traditionellen Säbeltanz mit König Salman freudig mit.
Wenige Tage später verhängte Saudi-Arabien mit seinen arabischen Verbündeten die Katar-Blockade. Bis die USA deutlich machten, dass sie wegen ihrer großen Militärbasis Al Udeid bei Doha – dem regionalen Kommando der US Air Force am Golf – nicht an einer Eskalation interessiert seien.
Im April machte der neue US-Außenminister Mike Pompeo bei seinem Antrittsbesuch in Riad deutlich, dass er ein Ende des Wirtschaftsboykotts für „notwendig“ halte. Die amerikanischen Verbündeten sollten zusammen gegen Iran vorgehen. „Wir haben es satt“, erklärte ein Top-Diplomat zum US-Ärger über den Bruderzwist am Golf. „Die Kataris sind nicht perfekt, aber kein anderer unser Verbündeten hier ist es.“
„Game of Thrones“ am Golf
Doch ob es nun tatsächlich zu Entspannung kommt, ist fraglich. „Glorreicher Tamim – unser Emir für immer.“ Dieser in Worte gefasste extreme Personenkult um den seit 2013 herrschenden, erst 38 Jahre alten Emir existiert erst seit Ausbruch der Krise. Und er führt vielleicht auf die Spur, worum es in diesem arabischen Bruderkonflikt wirklich geht.
„Die Saudis sahen Katar schon immer als Teil ihres Territoriums an“, sagt ein hoher Manager in einem der Türme der Skyline von Doha. 1971, aus dem als Schutz vor den Saudis und Bahrainis selbst gesuchten Protektorat der Briten in die Unabhängigkeit entlassen, wollte sich Katar erst den Vereinigten Arabischen Emiraten anschließen.
Doch die Selbstständigkeit war verlockender. Und der Vater des heutigen Emirs hatte seinen Vater 1995 noch gewaltlos von der Macht geputscht, musste gesundheitlich und politisch angeschlagen aber an seinen Sohn übergeben. Die erste friedliche Machtübertragung eines noch lebenden Monarchen am Golf. Aber die politischen Probleme blieben: Katar war wegen des kritisch über die arabischen Staaten berichtenden TV-Senders Al Dschasira sowie wegen politischer und finanzieller Unterstützung der Hamas-Palästinenserführung im Gaza-Streifen und der Moslembruderschaft in Ägypten und Saudi-Arabien ein Dorn im Auge.
Und der saudische Außenminister Adel Al-Jubeir macht keinen Hehl daraus, wer am Golf der große Bruder ist: „Auch einem Bruder muss man mal sagen, wenn er etwas falsch macht.“
Nun herrscht das „Game of Thrones“ am Golf also in voller Härte. „Die Saudis und Emiratis wollen zeigen, wer die wahre Macht hat“, sagt ein westlicher Vertreter in Doha. Und ein einflussreicher Strippenzieher aus einem der Nachbarländer wird noch deutlicher: „Die saudische Führung hatte gehofft, dass nach den harten Sanktionen binnen zwei Tagen ein anderer aus dem großen Al-Thani-Stamm nach der Macht greift und Tamim abdankt. Oder dass ein anderer Stamm sich berufen fühlt.“
Katar wäre dann wie der kleine Inselstaat Bahrain, wo saudische Panzer den dortigen sunnitischen König vor dessen schiitischer Bevölkerungsmehrheit retten mussten. Im Falle Katars spricht ein Nahost-Experte bereits vom saudischen Wunsch einer „Bahrainisierung“.
Gerade deshalb sammeln sich die Kataris – 300.000 Staatsbürger und gut zwei Millionen Gastarbeiter, die den katarischen Traum in Beton gießen oder die Banken und Hotels am Laufen halten – um den jungen Emir und zeigen dies mit Aufklebern auf ihren SUVs. Doch nicht alle: Es gebe durchaus einflussreiche Familien, die mit der Öffnung und Entwicklung Katars nicht zufrieden seien. Wie loyal die seien, sei unklar, orakelt ein gut vernetzter Top-Manager in Doha und fügt hinzu: „Eines ist auf jeden Fall klar: Wenn Katar die Fußball-WM 2022 weggenommen werden sollte, stürzt das Herrscherhaus.“
Das provoziert Durchhalteparolen wie die von Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani: Katar sei inzwischen wirtschaftlich „so stark“, dass es Sanktionen „ewig durchhalten“ könne.
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