Energieversorgung China stellt Unternehmen den Strom ab – auch deutsche Firmen leiden

Seit August kam es in mehr als 20 Provinzen insbesondere im Süden und Nordosten des Landes zu einer Drosselung des Stromangebots.
Shenyang Klack, klack, klack – wie leises Regenprasseln hört es sich an, wenn die kleinen Schrauben von einem Fließband auf das andere fallen. In der Ferne piept ein Gabelstapler im Takt, ein mechanisches, rhythmisches Stampfen ist zu hören, es riecht nach Öl und Schmierstoffen.
Hier in Shenyang, dem nordchinesischen Zentrum für stromintensive Industrie, stellt das Unternehmen Arnold Fasteners, das zur deutschen Würth-Gruppe gehört, Schrauben für die Automobilindustrie her.
Seit ein paar Wochen jedoch muss Reiner Haberstock, Geschäftsführer des Unternehmens, jeden Tag aufs Neue darum bangen, dass er seine Produktionsziele erreichen und vertraglich zugesicherte Schraubenmengen liefern kann.
Denn seit Ende September drehen die lokalen Behörden dem Unternehmen immer wieder über weite Strecken den Strom ab – mit einer Vorwarnung von wenigen Stunden. Am Montag um 23 Uhr war es wieder so weit.
Die Behörden teilten per Messengerdienst Wechat mit, dass Arnold Fasteners ab 16 Uhr am nächsten Tag nur noch 25 Prozent der Strommenge verbrauchen darf, die im vergangenen Jahr benötigt wurde. Am Mittwoch waren es sogar nur noch 15 Prozent. Wie Haberstock die fehlende Menge ausgleicht, ist sein Problem. Er sei jetzt seit 2008 in Shenyang, nie habe es Probleme mit der Energieversorgung gegeben, sagt der 54-Jährige. „Einen solchen Stromengpass wie jetzt habe ich noch nie erlebt.“
Engpässe drücken auf Wachstum
Auch anderen Unternehmen in dem 130 Quadratkilometer großen Industriepark in Shenyang und in weiten Teilen Chinas geht es so.
Seit August kam es in mehr als 20 Provinzen insbesondere im Süden und Nordosten des Landes zu einer Drosselung des Stromangebots. Fabriken mussten zeitweise über mehrere Stunden mit einer deutlich geringeren Strommenge auskommen oder ganz schließen. Die Engpässe drücken bereits auf das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, Analysten haben ihre Prognosen für dieses Jahr angepasst.
Grund für die Abschaltungen sind Engpässe bei der Versorgung. Rund 60 Prozent von Chinas Strom werden aus der Verfeuerung von Kohle gewonnen.
Weil die Kohlepreise in den vergangenen Monaten jedoch stark gestiegen sind und die Energieversorger die höheren Kosten aufgrund von strengen Regulierungen nicht an ihre Kunden weitergeben können, lohnt es sich wirtschaftlich für sie nicht mehr, die nachgefragte Menge an Strom zu produzieren. Auch strenge Energieeffizienzvorgaben, die die Provinzen bis Ende des Jahres erfüllen müssen, haben zu der Rationierung beigetragen.

Rund 60 Prozent von Chinas Strom werden aus der Verfeuerung von Kohle gewonnen.
Weil Arnold Fasteners Spezialschrauben herstellt, kann ein Produktionsausfall schnell zu einem Dominoeffekt führen. „Wenn bei uns die Herstellung stockt, ist gleich bei mehreren Unternehmen die Produktionskette gefährdet“, sagt Geschäftsführer Haberstock.
Arnold Fasteners ist in den vergangenen Jahren immer weiter gewachsen und ist inzwischen Zulieferer nicht nur von großen deutschen, sondern auch von den vielen aufstrebenden chinesischen Autobauern.
Das Unternehmen stellt in Shenyang mit rund 235 Mitarbeitern regelmäßig rund 800 verschiedene Schrauben, Befestigungselemente und sogenannte Funktionsteile her. Etwa 450 Unternehmen sind davon abhängig, dass die Produkte pünktlich geliefert werden. In einem Modell eines namhaften chinesischen Herstellers zum Beispiel stecken fast 400 Spezialschrauben von Arnold – ohne die kann das Unternehmen keine Autos produzieren.
Deutsche Handelskammer in China versucht zu vermitteln
Die Europäische Handelskammer in Peking hat in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche Rückmeldungen von europäischen Unternehmen bekommen, die von den Stromabschaltungen unterschiedlich stark betroffen sind. Die Firmen wüssten im Grunde von Schicht zu Schicht nicht, ob sie überhaupt produzieren könnten, sagt Bernhard Weber, Vorsitzender der Vertretung der EU-Kammer im ostchinesischen Nanjing.
Auch große Firmen leiden unter den Rationierungen. So meldeten Zulieferer von Apple und Tesla in China Ende September, dass sie aufgrund der Stromengpässe Teile ihrer Produktion einstellen mussten.
Der japanische Autohersteller Toyota räumte ein, dass das Unternehmen ebenfalls betroffen ist. Die deutschen Autobauer in China, Daimler, BMW und Volkswagen, geben auf Nachfrage hingegen an, dass die Stromengpässe bislang wenig bis keine Auswirkungen auf ihre Produktion haben.
In einigen wenigen Fällen seien vereinzelte Schichten angepasst worden, „hauptsächlich aufgrund betroffener Zulieferer“, heißt es bei VW auf Anfrage. Bei BMW, das gemeinsam mit seinem chinesischen Partner ein großes Werk in Shenyang hat, sei es in der Lieferkette noch nicht zu Engpässen gekommen, teilen die Münchener mit. Auch Daimler sieht keine Auswirkungen auf die Standorte in China. Man beobachte die Situation aber sehr genau, heißt es einstimmig.
Zwar sind grundsätzlich sowohl große als auch kleine Unternehmen betroffen, aber mittlerweile zeichne sich in Ansätzen ab: „Je kleiner das Unternehmen und je stromintensiver dessen Produktion, umso schwieriger ist es, Lösungen mit den lokalen Behörden zu erarbeiten“, sagt Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China.
Die Deutsche Handelskammer in China versucht daher, zwischen den Unternehmen und den lokalen Behörden zu vermitteln. Fokus dabei sei, so Hildebrandt, dass die Kommunikation der Stromkürzungen transparenter und nachvollziehbarer wird und eine bessere Planbarkeit erreicht werde.
Wie einige Unternehmen versuchen zu improvisieren
Um sein Stromproblem zu lösen, hat Haberstock kurzerhand zwei Container mit Dieselmotoren gemietet und sie an die Fabrikhalle stellen lassen. Wenn er keinen Strom mehr aus dem Netz ziehen darf, schmeißt er die Motoren an.
Seit September musste er bereits an sechs Tagen die Generatoren anschalten. Allein die Miete dafür beläuft sich auf umgerechnet rund 40.000 Euro, hinzu kommen die Kosten für den Diesel.
Weil insbesondere zu den Zeiten, in denen die privaten Haushalte viel Strom verbrauchen, der lokale Energieversorger die Mengen für die Industrie rationiert, müssen die Mitarbeiter vereinzelt nachts und an den Wochenenden ran. „Wir tun alles dafür, um Produktionsausfälle zu vermeiden“, sagt Haberstock.

Aufgrund der Rationierungen müssen die Mitarbeiter vereinzelt nachts und an den Wochenenden arbeiten.
Auch Haberstocks Nachbarn in dem Industriepark haben sich Container mit Stromgeneratoren hingestellt, manche mit eigenen Plastiktanks auf dem Dach, in denen der Diesel lagert. Wie Fremdkörper stehen die notdürftig aufgestellten blauen, weißen und gelben Kästen in der ansonsten akkurat gepflegten Anlage.
Zwar haben die chinesische Staatsführung und die Lokalregierungen ein paar Maßnahmen ergriffen, um gegenzusteuern. So wurden Kohleminenbetreiber angewiesen, ihre Produktion hochzufahren. Zudem wurde der Preis, den die Energieversorger für ihren Strom verlangen dürfen, leicht angehoben.
Europäische Unternehmen befürchten dennoch, dass sich die Situation in den kommenden Monaten noch verschärfen könnte, wenn in China die Heizperiode startet. „Wir befinden uns in einem Marathon, nicht in einem Sprint“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Kammer. „Es ist sicher, dass es im Winter schlimmer werden wird.“ Auch Haberstock stellt sich darauf ein, dass sich die Situation nicht so schnell verbessert. Seine Dieselgeneratoren hat er noch bis Ende Oktober gemietet.
Klimaschutz versus Abgase
Es ist paradox: Die Kohle ist auch deshalb so teuer, weil die chinesische Staatsführung aufgrund von Sicherheitsmängeln in den Minen, aber auch für den Klimaschutz zahlreiche Fördergruben im Land hat schließen lassen.

Stillstehende Fabrik in in Shenyang.
Und jetzt wird die Luft in Shenyang statt mit Kohle- mit Dieselabgasen belastet. 200 Liter schlucken Dieselgeneratoren wie der von Arnold in der Stunde. Der Preis für die Miete der Geräte hat sich innerhalb von wenigen Wochen verdreifacht.
Die Wirtschaft vor Ort rechnet auch langfristig mit einer größeren Unsicherheit bei der Stromversorgung. Auch Haberstock sorgt vor. Für das nächste Jahr hat er den Bau einer neuen Halle geplant, da soll es Platz geben für fest installierte Dieselgeneratoren. Zudem ist er gerade in Verhandlungen, um mehr Solarzellen auf den Dächern des Industrieparks zu installieren. „Wir müssen ein Stück weit autarker bei der Stromversorgung werden“, sagt er.
Welchen Vorteil der Umstieg auf erneuerbare Energien haben kann, merkt derzeit Arne Weber, Gründer und Manager von Faytech, einem Unternehmen, das Flachbildschirme in Südchina herstellt.
Seine Wettbewerber haben alle Probleme mit Stromabschaltungen. Am Standort der Fabrik im südwestchinesischen Suining jedoch wird das Unternehmen komplett mit Wasserkraft versorgt – Engpässe gibt es dort keine.
Ohne Sorgen ist Weber jedoch trotzdem nicht. „Bei unseren Zulieferern ist die Lage dramatisch, viele können nur zwei bis vier Tage die Woche arbeiten“, sagt er. Hinzu kommen die steigenden Rohstoffpreise. Insbesondere Aluminium, für dessen Herstellung sehr viel Strom benötigt wird, ist in den vergangenen Monaten immer teurer geworden.
Produktionsengpässe auch bei Magnesium
China ist der weltweit wichtigste Produzent von Aluminium. Die Produktion des Rohstoffs, aber auch von anderen sogenannten Nichteisenmetallen wie Nickel, Kupfer und Zink, ist in den vergangenen Monaten aufgrund der Stromengpässe immer weiter zurückgegangen.

China ist der weltweit wichtigste Produzent von Aluminium.
Dramatisch ist die Lage auch beim Magnesium. Aktuell werden laut Angaben der Wirtschaftsvereinigung Metalle 95 Prozent des europäischen Magnesiumbedarfs durch chinesische Ausfuhren gedeckt. Mindestens 31 Magnesiumwerke in den weltweit wichtigsten Magnesium-Produktionszentren der Welt, den Provinzen Shaanxi und Shanxi, seien entweder stillgelegt worden oder mussten ihre Produktion um 50 Prozent senken, schätzt die Wirtschaftsvereinigung.
Der Verband erwartet, dass die jetzigen Magnesiumvorräte in Deutschland und in ganz Europa spätestens in einigen Wochen Ende November 2021 erschöpft sein werden.
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