Energiewende Bundesregierung erhöht CO2-Preis – Unternehmen fürchten um ihre Existenz

Der CO2-Preis verteuert fossile Heiz- und Kraftstoffe, damit Bürger und Industrie deutlich stärker auf klimafreundliche Technologien setzen.
Berlin Als die Große Koalition im September ihre „Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030“ vorstellte, war die Enttäuschung groß. Den von der Bundesregierung geplanten CO2-Preis von zehn Euro je Tonne ab 2021 in den Sektoren Wärme und Verkehr kritisierten Ökonomen, Klimaschutzorganisationen und Grünen-Politiker als ambitions- und wirkungslos.
Auf Druck der Länder legt die Bundesregierung nun nach. Vertreter von Bund und Ländern haben sich am Montag auf einen Einstiegspreis von 25 Euro verständigt. Im Gegenzug soll die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stärker als geplant sinken.
Auch eine weitere Erhöhung der Pendlerpauschale ist vorgesehen. Wenn Bundesrat und Bundestag Ende der Woche dem Kompromiss zustimmen, ist auch der Weg für eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets im Fernverkehr frei, die für Anfang 2020 geplant ist.
Der CO2-Preis verteuert fossile Heiz- und Kraftstoffe, damit Bürger und Industrie deutlich stärker auf klimafreundliche Technologien setzen. Ein Preis von zehn Euro pro Tonne CO2 hätte Benzin nach Berechnungen von Experten um etwa drei Cent pro Liter verteuert. Ein Einstiegspreis von 25 Euro würde Benzin um knapp acht Cent pro Liter verteuern.
Klimaschutzorganisationen und Grünen-Politiker begrüßten den Kompromiss. Teile der Wirtschaft sehen den Kompromiss dagegen kritisch: „Die geplante Verteuerung der CO2-Preise droht die Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Standorts drastisch zu verschlechtern“, sagte Holger Lösch, stellvertretender BDI-Hauptgeschäftsführer. „Der Kompromiss zum Klimapaket macht es noch dringlicher, die betroffenen Industrieunternehmen vom ersten Tag an im selben Umfang vom CO2-Preis zu entlasten wie die Unternehmen im EU-Emissionshandelssystem.“
Viele Mittelständler würden gegenüber ihren internationalen Wettbewerbern so ins Hintertreffen geraten, dass ihre Existenz ernsthaft bedroht sei. „Hier muss der Gesetzgeber einen fairen Ausgleich schaffen“, forderte Lösch.
Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt vor den Folgen des deutlich gestiegenen Ambitionsniveaus für den industriellen Mittelstand. „Die geplante Erhöhung der CO2-Preise in den Jahren 2021 bis 2025 führt dazu, dass ein Teil der Unternehmen am Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Die in Aussicht gestellte Senkung der EEG-Umlage löse dieses Problem nicht.
Betroffen sind insbesondere zwei Fallgruppen: Unternehmen der Logistikbranche, die auf Gas oder Diesel angewiesen sind, aber wenig Strom einsetzen können, sowie mittelständische Industriebetriebe mit hohem Energiebedarf, deren Anlagen nicht am europäischen Emissionshandel teilnehmen: Gießereien, Härtereien, kleinere Papierhersteller. Ihre Anlagen sind zu klein, um zur Teilnahme am europäischen Emissionshandel verpflichtet zu sein.
Warnung vor Wettbewerbsverzerrung
Die Koalition hat den Unternehmen, die am europäischen Emissionshandel teilnehmen, zugesagt, die dort geltenden Ausnahmeregeln analog anwenden zu wollen. Die nicht-emissionshandelspflichtigen Unternehmen fallen durch den Rost.
„Ein CO2-Preis von 25 Euro pro Tonne würde für uns einen Aufwand von 500.000 Euro bedeuten“, sagte Lars Baumgürtel, geschäftsführender Gesellschafter von Voigt & Schweitzer, dem Handelsblatt. Der Mittelständler aus Gelsenkirchen ist europaweit in der Oberflächenveredelung von Stahl tätig. „Im Bereich Verkehr mag die Preissteigerung eine positive Lenkungswirkung entfalten“, erklärt Baumgürtel. „Im Industriesektor würde dieses Geld jedes Jahr für Investitionen in Klimaschutz fehlen.“
Energieintensive Produkte würden so in Staaten ohne entsprechende Regelungen auch ohne Mehrbelastung hergestellt werden. Hier entstünde ein Wettbewerbsnachteil. Dies erhöhe zudem das Risiko des „Carbon Leakage“, die Verlagerung der Produktion an unregulierte ausländische Standorte.
„Die einzige Möglichkeit, Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden, ist die Entlastung der energieintensiven mittelständischen Industrie wie Oberflächentechnik, Härtereien und Gießereien, die Erdgas als Energieträger für Prozesswärme einsetzen, von der CO2-Abgabe“, fordert Baumgürtel. Nur so blieben Produkte wettbewerbsfähig, die „neben hoher Qualität eine lange Lebensdauer und die Möglichkeit zur mehrfachen Wiederverwertung besitzen.“
Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), forderte einen Ausgleich für diese Unternehmen: „Deutschland ist keine Insel. Ein mittelständischer Unternehmer, der künftig auf Erdgas hierzulande 25 Euro zahlen soll, schultert dann 25 Euro mehr als sein Konkurrent im Nachbarland. Deshalb muss eine Kompensation her, um Wettbewerbsnachteile für solche Anlagen aufzufangen.“
Allerdings gibt es auch bei den emissionshandelspflichtigen Unternehmen Zweifel, ob die Entlastungsregeln analog Anwendung finden. VCI-Hauptgeschäftsführer Große Entrup forderte die Bundesregierung deshalb auf, Industrieanlagen, die dem EU-Emissionshandel unterliegen und bereits einen CO2-Preis zahlen, von der neuen nationalen CO2-Bepreisung vollständig freizustellen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte im Interview mit dem Handelsblatt zwar noch Anfang Dezember betont, er sei optimistisch, dass es gelinge, 2020 Kompensationsregelungen zu finden. Konkrete Schritte hat er bislang aber noch nicht eingeleitet. Die Zweifel in den betroffenen Branchen sind daher groß.
Private Haushalte müssen sich auf Belastungen einstellen
Mit der Entscheidung, gleich mit einem CO2-Preis von 25 Euro statt zehn Euro einzusteigen, wächst der Druck auf die Bundesregierung. „Der CO2-Preis soll in den Sektoren Wärme und Verkehr Lenkungswirkung entfalten – und nicht dem industriellen Mittelstand schaden“, sagte Andreas Kuhlmann, Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena), dem Handelsblatt. Die Unternehmen brauchten „sofort klare Zusagen“.
Auch private Haushalte müssen sich auf Belastungen einstellen. „Die höhere CO2-Bepreisung führt zu einer Mehrbelastung der Verbraucher. Vor allem ab 2027 ist mit schnell steigenden CO2-Kosten zu rechnen, wenn die Haushalte ihren Verbrauch an Heizöl, Erdgas und Treibstoff nicht deutlich senken“, sagte Hubertus Bardt, Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) dem Handelsblatt.
„Die Botschaft ist klar: Jetzt hat man gut fünf Jahre Zeit, um in effiziente Heizungen, isolierte Gebäude und sparsame Autos zu investieren. In dem Zeitraum wird über Fördermaßnahmen geholfen, gleichzeitig werden Belastungsspitzen für Pendler reduziert. Für alle, die bis dahin nicht in Effizienz investieren, wird es teuer“, sagte Bardt.
Positiv bewertet die Energiebranche den Kompromiss. Die Einigung sei ein erster wichtiger Schritt für mehr klimafreundliche Investitionen, sagte Tuoma Hatakka, Vattenfall-Deutschlandchef. Auch der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßte die Verständigung. „Der Vermittlungsausschuss hat bewiesen, dass wichtige politische Entscheidungen zügig und entschlossen gefällt und Fehler im Klimaschutzprogramm korrigiert werden können“, sagte Michael Wübbels, stellvertretender VKU-Hauptgeschäftsführer.
Neue SPD-Führung zeigt sich zufrieden mit Kompromiss
Der Kompromiss von Bund und Ländern könnte auch positive Effekte für die Große Koalition haben. Die SPD wird von ihrem neuen Führungsduo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken getrieben, im Klimaschutz vom Koalitionspartner Nachbesserungen einzufordern. Esken und Walter Borjans fordern einen CO2-Preis von 45 Euro.
Am Montag zeigten sich die beiden mit der aktuellen Entwicklung zufrieden. Der Kompromiss sei ein „deutlicher Schritt“, die Anpassungen machten das Klimapaket gerade auch beim Thema soziale Ausgewogenheit unterm Strich „ein ganzes Stück besser“, sagte Walter-Borjans. „Die Verständigung zeigt, dass wir erkennbar auf dem Weg sind, dass sich etwas in Bewegung setzt, sagte er.
Allerdings gebe es immer noch Gesprächsbedarf. So komme die Erhöhung der Pendlerpauschale vor allem Spitzenverdienern zugute, was eine „Schieflage“ sei, sagte Esken. Die Erhöhung des CO2-Preises sei daher „ein guter erster Schritt, aber nicht das Ende der Fahnenstange“. Die Klimapolitik werde immer wieder auf die Tagesordnung kommen, kündigte sie an.
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