Erneuerbare Energie Während Bolsonaro den Regenwald roden lässt – In Brasilien boomen die erneuerbaren Energien

Der brasilianische Präsident gilt unter Umweltschützern als Feindbild – sein Land erlebt dennoch einen grünen Boom.
Salvador Im Nordosten Brasiliens werden derzeit alle paar Monate neue Windparks eröffnet. Die größte Anlage Lateinamerikas startete im Juni: In „Lagoa dos Ventos“ („Lagune der Winde“) produzieren 230 Turbinen mit einer Gesamtkapazität von 716 Megawatt (MW) Strom.
In Reihen von mehr als 130 Kilometern stehen im kaum besiedelten Landesinneren die Windanlagen. Zum Vergleich: Der größte deutsche Windpark Holtriem-Dornum in Ostfriesland produziert halb so viel Strom.
Der italienische Betreiber Enel Green Power weitet den Park derzeit aus auf eine künftige Gesamtkapazität von 1,1 Gigawatt (GW). Denn der Nordosten Brasiliens, sonst eher bekannt für seine Strände und Trockensteppen, ist einer der privilegiertesten Standorte für die Windindustrie weltweit. Eduardo Ricotta, CEO des dänischen Windkraftanlagenbauers Vestas in Lateinamerika sagte: „Wir haben hier einen der besten Winde der Welt.“
Kein Wunder, dass Brasilien zu einem der weltweit wichtigsten Wachstumsmärkte für Windenergie geworden ist: Nur in China und den USA wurde in den vergangenen sieben Jahren mehr Geld in diese Branche investiert. Elf Prozent des brasilianischen Stroms werden heute in Windparks produziert – 20 Gigawatt installierte Kapazität.
Bis 2024 sollen die Kapazitäten um mehr als die Hälfte wachsen. Im Nordosten Brasiliens, wo 60 Millionen Menschen leben, wurde kürzlich erstmals mehrere Tage lang die gesamte Stromnachfrage per Wind gedeckt. Von dort wird zunehmend Strom in den industrialisierten Südosten um São Paulo geleitet, wo die Stauseen der Wasserkraftwerke wegen der Trockenheit leerzulaufen drohen.
Boom bei grünen Energien erstaunlich
Brasiliens Boom bei den grünen Energien ist erstaunlich. Immerhin ist die Regierung unter Präsident Jair Bolsonaro vor allem durch Attacken gegen Umweltinstitutionen und die Ignoranz gegenüber Klimaschutz und der Bewahung der Regenwälder und des Amazonas bekannt.

Der Regenwald wird weiter abgeholzt.
Auch die Vorgängerregierungen zögerten lange damit, nachhaltige Energien zu fördern. Dennoch hat Brasilien eine der saubersten Stromproduktionen weltweit und den höchsten Anteil der Erneuerbaren (43 Prozent) am gesamten Endenergieverbrauch unter den 20 wichtigsten Industrieländern (G20).
Diese Basis wollen auch europäische Unternehmen jetzt nutzen, um ihre Klimaziele zu erreichen, etwa über die Nutzung grünen Wasserstoffs oder „grünen Stahls“ in Brasilien. Deutsche Unternehmen sind beim Klimaumbau gut positioniert. Die 230 Turbinen für den Windpark „Lagoa dos Ventos“ lieferte der deutsche Anlagenbauer Nordex.
Auch Siemens Gamesa hat dieses Jahr Lieferaufträge in Brasilien abgeschlossen für seine weltgrößte Turbine X.5 mit Rotorgrößen bis 170 Meter. Kunde ist der französische Energieriese Engie, der zwei gigantische Windparks im Nordosten Brasiliens errichtet.
„Das Potenzial und die Breite des Angebots bei erneuerbaren Energien von Brasilien ist weltweit einmalig“, sagt Thomas Schulthess, Geschäftsführer von Sowitec, ein deutscher Projektentwickler für erneuerbare Energien. Schulthess sieht dies als den entscheidenden strategischen Vorteil für eine führende Rolle des Landes an der globalen Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen.
„Es ist eine große Chance für Brasiliens geopolitische Neupositionierung in der Weltwirtschaft“, sagt Paulo Alvarenga, CEO von Thyssen-Krupp in Südamerika. Seiner Meinung nach hat Brasilien alle Voraussetzungen, um zu einem Standort mit den weltweit günstigsten Kosten für grünen Wasserstoff zu werden. „Nicht in ferner Zukunft, sondern jetzt bald.“ Internationale Energiekonzerne haben Projekte für Wasserstoffanlagen in drei Häfen Brasiliens angekündigt – mit einem Investitionsvolumen von 22 Milliarden Dollar.
Diesel und Strom aus Zuckerrohr und Ethanol
Denn Brasilien liegt mit 150 GW weltweit an dritter Stelle bei der kumulierten Kapazität an erneuerbaren Energien hinter China und den Vereinigten Staaten, so die Internationale Energie-Agentur. Das liegt vor allem daran, dass fast zwei Drittel des Stroms in emissionsarmen Wasserkraftwerken erzeugt werden.
Doch Brasilien produziert daneben schon seit Jahrzehnten Biodiesel aus Soja und Ethanol aus Zuckerrohr. Brasiliens Zuckerfabriken erzeugen auch Strom, den sie ins Netz einspeisen. Allein diese Anlagen produzieren so viel Energie wie alle Wasserkraftwerke in der Schweiz zusammen. Das macht Brasilien zur Nummer drei weltweit bei der Produktion von Biostrom.

Aus der Pflanze wird Biodiesel, aber auch Biostrom hergestellt.
Auch Biogas wird bei der Stromerzeugung wichtiger, gewonnen aus landwirtschaftlichen Nebenprodukten oder städtischen Deponien. Die Entwicklung von Sonnenenergie, die ebenfalls eine große Zukunft hat, wurde von Brasilien hingegen über 15 Jahre verschlafen. Das Energieministerium rechnet damit, dass im Jahre 2040 rund 44 Prozent des Stroms in Brasilien aus Wind und Sonne gewonnen werden könnten.
Im Gegensatz zu Konkurrenten wie Australien oder Chile, die als Produzenten und Anbieter von grünem Wasserstoff auf dem Weltmarkt schon weiter sind als Brasilien, habe das Amazonasland neben Wind und Sonne vor allem die Biomasse und gewaltige Wasservorräte, an denen es diesen Ländern mangelt, sagt Schulthess.

In Sachen Solarenergie muss das Land jedoch noch aufholen.
Noch ist die Produktion von Wasserstoff mit Strom aus konventionellen Energieträgern wie Gas oder Kohle billiger. Doch wegen Brasiliens konkurrenzfähiger grüner Energiematrix mit den weltweit niedrigsten Windstromkosten dürften sich die Produktionskosten bald angleichen.
Felipe Ferrés, CEO vom Windanlagenbauer Siemens Gamesa in Brasilien erwartet, dass Brasiliens Wasserstoff, der mit Strom aus Windanlagen gewonnen wird, bereits 2030 konkurrenzfähig sein wird gegenüber konventionellem Wasserstoff, und damit fünf Jahre früher als weltweit.
Wertschöpfung in Brasilien erhöhen
Doch die Branche will nicht primär Lieferant von grünem Wasserstoff für die Industrien weltweit sein. „Wir sollten nicht den Fehler machen und Wasserstoff exportieren wie Erz“, sagt Paulo Emílio de Miranda, Präsident des brasilianischen Wasserstoffverbands (ABH2). „Es wäre bedauerlich, wenn Brasilien bei der Dekarbonisierung anderer Länder hilft, aber das nicht im eigenen Land macht.“ Die Unternehmen in Brasilien wollen den grünen Wasserstoff in die eigene Produktionskette einbauen und die Wertschöpfung im Land erhöhen.
Ein Beispiel ist „grüner“ Stahl, der mit Wasserstoff aus erneuerbaren Energien produziert würde. Die Stahlbranche hat eine der höchsten Klimagasemissionen weltweit. Autobauer etwa wollen ihren Kunden schon bald Fahrzeuge gefertigt aus grünem Stahl anbieten können. Volvo in Brasilien etwa will schon in zwei Jahren die ersten Lkw gefertigt aus grünem Stahl verkaufen. Das australische Bergbauunternehmen Fortescue Metals hat Pläne, in vier Jahren im Hafen von Pecém eine Produktion von grünem Wasserstoff zu starten. Investitionsvolumen: sechs Milliarden Dollar, um dann im Jahr 2030 15 Millionen Tonnen Wasserstoff zu produzieren.
Der brasilianische Zucker- und Energiekonzern Raizen hat gerade mit dem norwegischen Düngermittelhersteller Yara vereinbart, ab 2023 Biomethan als Ersatz für Erdgas zu liefern. Der Konzern will daraus grünes Ammoniak gewinnen zur Herstellung von Stickstoffdünger. Raizen, ein Joint Venture mit Shell, ist der zweitgrößte Zuckerkonzern der Welt und bereits jetzt die Nummer drei als Energiekonzern in Brasilien.
Denn der Konzern produziert in Biomassekraftwerken, wo er Zuckerrohrreste verbrennt, so viel Strom, dass er mit der einen Hälfte seine gesamten 26 Raffinerien betreibt und die andere Hälfte noch ins Netz einspeist. In den kommenden Jahren will Raizen 30 Biogasanlagen ans Netz anschließen, um Methan herzustellen.
Bolsonaro als Gefahr für den grünen Kurs
Auch ein Ölmulti wie Shell hat Brasilien – neben Australien – weltweit als einen der zwei Standorte außerhalb der Industrieländer ausgewählt, um seine CO2-Emissionen zu reduzieren. Der Ölkonzern baut nun das erste Solarkraftwerk des Landes – und will sich an Offshore-Windanlagen beteiligen, sobald die Regulierungen dafür feststehen.
Wegen seines Biotreibstoffs könnte Brasilien zudem die gesamte Logistik seiner Exportindustrien künftig CO2-neutral betreiben. Beispiel Stahl: Das Eisenerz wird dann mit elektrisch betriebenen Zügen von der Erzmine im Landesinnern bis zum mit Wasserstoff befeuerten Stahlwerk an der Küste gebracht. Mit grünem Ammoniak fahrende Frachter bringen die Stahl-Brammen dann zum Hafen in Europa.
Doch die Aussichten für dieses Zukunftsszenario werden derzeit durch Bolsonaros irrlichternden Kurs in der Umweltpolitik getrübt. „In der Regierung ist diese Erkenntnis noch nicht wirklich angekommen“, sagt Schulthess. „Die Privatwirtschaft sieht das Potenzial und investiert trotzdem.“
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