EU-Austritt Handelsvertrag der EU mit Großbritannien kommt: Kein harter Brexit, aber großer Ärger

„Dieses Abkommen hat Zähne.“
Brüssel Wenn zwei Staaten miteinander ein Handelsabkommen schließen, ist das für die Beteiligten normalerweise ein Grund zur Freude. Dann werden die Chancen der Zusammenarbeit betont, und es wird die Freundschaft untereinander beschworen. Beim Abkommen zwischen Großbritannien und der EU ist das anders.
Als letzte Instanz musste das Europaparlament am Dienstag den Vertrag bestätigen. Die Abgeordneten nutzten die Gelegenheit, ihren Unmut über den Handelspartner auszudrücken: „Die britische Diplomatie war mal ein Symbol für Vertrauenswürdigkeit“, sagte Manfred Weber (CSU). „Heute ist Boris Johnson alles egal, sogar seine eigene Unterschrift.“
Von „aufgeblasenen Backen aus London“ sprach Nicola Beer (FDP). Bernd Lange (SPD) warnte vor Tricks der Briten, die unseriöse Finanzdienstleistungen auf den europäischen Markt bringen könnten. Diskutiert würden in London neue Arbeitszeitgesetze, die dem britischen Markt auf dem Rücken der Arbeitnehmer unlautere Vorteile brächten.
Wer die Hoffnung hatte, dass nach den jahrelangen Verhandlungen um den Brexit und das anschließende Handelsabkommen nun Frieden einkehren könnte, der wird enttäuscht sein. Die Europäer erwarten, sich auch in den kommenden Jahren gegen einen hinterlistig agierenden Nachbarn wehren zu müssen.
Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ließ daran keinen Zweifel. „Dieses Abkommen hat Zähne“, sagte sie mit Blick auf mögliche Zölle. „Wir wollen diese Instrumente nicht nutzen. Aber wir werden auch nicht zögern, sie einzusetzen, wenn es notwendig ist.“
Auf das Abkommen hatten sich Brüssel und London vor dem Auslaufen der Brexit-Übergangsfrist Ende Dezember 2020 geeinigt. Es wird seitdem vorläufig angewandt. Das EU-Parlament hatte sich vier Monate Zeit genommen, den Text zu prüfen. Wenn es ihn nun noch gekippt hätte, wären am 1. Mai Zölle in Kraft getreten.
Während Handelsabkommen normalerweise ein wichtiger Schritt der Annäherung sind, zeigt die Art und Weise, wie dieses Abkommen in Kraft gesetzt wird, eine Entfremdung. Die Partner trauen sich immer weniger über den Weg.
Obwohl die EU mit der hinausgezögerten Ratifizierung ein beträchtliches Drohpotenzial hatte, hielt sich Großbritannien zuletzt nicht an die Abmachungen. Dabei geht es um den heiklen Punkt, der in keinem Brexit-Konzept jemals zufriedenstellend gelöst wurde: Wo werden Waren kontrolliert, die zwischen Irland und Großbritannien transportiert werden?
Johnson geht gegen Abkommen vor
Direkt an der Grenze, wie es üblich wäre, soll es nämlich nicht geschehen. Denn das würde die Spannungen innerhalb Nordirlands anheizen, die bis 1998 zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt hatten. Stattdessen sollen Waren in der Irischen See kontrolliert werden, also mitten im Vereinigten Königreich.
Diese Maßnahme muss es nach Ansicht der EU geben, obwohl es keine Zölle und gleichen Standards gibt. Die Kontrolleure suchen nach Produkten, die aus anderen Ländern über Großbritannien in die EU eingeführt werden sollen, und nach Lebensmitteln, die nicht dem EU-Recht entsprechen.
Der britische Premierminister Johnson hat dem mit seiner Unterschrift unter das Abkommen zugestimmt. Trotzdem geht er nun dagegen vor. Er spricht von „albernen Barrieren“ und verlängerte eine Übergangsfrist ohne Absprache mit der EU.
Denn auch die Kontrollen in der Irischen See werden scharf kritisiert. Sie führen nicht nur zu verzögerten Lieferungen in nordirische Supermärkte. Sie provozieren auch jene Bewohner Nordirlands, denen die Einheit des Königreichs besonders wichtig ist und die sich jetzt durch eine Seegrenze vom Rest des Landes getrennt sehen. Johnson sagte darum, er wolle das Handelsabkommen noch „schleifen“ und von „unnötigen Hindernissen“ befreien.
„Es ist absolut kontraproduktiv, dass der britische Premierminister fortwährend mit Vertragsbruch droht“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundes der Deutschen Industrie, Joachim Lang. „Die Gefahr bleibt bestehen, dass das Vereinigte Königreich Teile des Abkommens aussetzt oder sogar kündigt.“
EU gibt Druckmittel ab
Mit der Ratifizierung des Handelsabkommens gibt die EU einerseits ein Druckmittel aus der Hand, Johnson auf eine andere Linie zu zwingen. Andererseits kann sie nun den Streitbeilegungsmechanismus nutzen, der in dem Abkommen definiert ist: Wenn ein von beiden Seiten besetztes Schiedsgericht zu der Auffassung kommt, dass eine Seite gegen das Abkommen verstößt, kann die andere Seite Zölle erheben oder Einfuhren begrenzen. Damit könnte die EU Großbritannien großen Schaden zufügen.
Das sind die Mittel, die von der Leyen meint, wenn sie davon spricht, das Abkommen habe „Zähne“. Es dürfte nicht oft vorkommen, dass zwei Handelspartner sich schon bei Abschluss eines Vertrags damit drohen, sich gegenseitig zu verklagen.
Auch die Grünen sprachen sich für das Abkommen aus, obwohl sie bisher die meisten Handelsabkommen vehement abgelehnt hatten. Der Vertrag mit Großbritannien geht aber in vielerlei Hinsicht über das hinaus, was etwa im Ceta-Abkommen mit Kanada vereinbart wurde oder bei TTIP mit den USA. So sind die Umwelt- und Sozialstandards einklagbar und die Schiedsgerichte dazu werden anders besetzt. Das Abkommen könnte damit auch zum Vorbild für künftige Verhandlungen mit anderen Staaten werden.
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