EU-Erweiterung Die EU-Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien kommen

Die kommenden EU-Beitrittsgespräche von Albanien und Nordmazedonien sind ein großer Meilenstein in der EU-Erweiterungspolitik.
Brüssel, Wien Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, bezeichnete die heutige Entscheidung als „gute Nachricht in diesen düsteren Zeiten“: In einer Videokonferenz gaben die Europaminister ihre Zustimmung zur Eröffnung der Beitrittsgespräche mit den Westbalkan-Ländern Nordmazedonien und Albanien.
Zuvor hatte es bereits auf Botschafter-Ebene eine Einigung gegeben. Nun muss die Einigung noch im schriftlichen Verfahren von den Staatschefs bestätigt werden – was allerdings schon vor Donnerstag über die Bühne gegangen sein soll.
Es ist ein großer Meilenstein in der EU-Erweiterungspolitik: Nordmazedonien wartet bereits seit elf Jahren auf die Eröffnung der Beitrittsgespräche, Albanien seit zwei Jahren. Damals hatte die EU-Kommission erstmals die Empfehlung ausgesprochen, die Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Doch die Entscheidung darüber liegt allein bei den Mitgliedsstaaten – die sich alle einig sein müssen. Was sie bis Montag nicht waren: Über Jahre hatte Griechenland einen Fortschritt bei der EU-Integration Nordmazedoniens blockiert.
Der Grund war der Streit um den Namen „Mazedonien“, wie sich Nordmazedonien noch bis vor einem Jahr nannte. Es gibt eine griechische Region, die ebenfalls so heißt. Als dieses Problem gelöst war, sperrte sich Frankreich gegen die Aufnahme der Gespräche: Erst müsse der Beitrittsprozess reformiert werden, begründete Paris seine Blockadehaltung und zog auch die Niederlande und Dänemark auf seine Seite. Mittlerweile hat die EU-Kommission auch daran gearbeitet, dieses Problem aus dem Weg zu schaffen und den Beitrittsprozess reformiert.
Am vergangenen Wochenende war es nun wieder Griechenland, was Probleme machte, da es sich um die griechische Minderheit in Albanien sorgte. Deswegen geht das Ja zur Eröffnung der Beitrittsgespräche mit Tirana mit einer weiteren Bedingung einher: Das Land muss seine Reform des Wahlrechts vor der ersten Beitrittskonferenz abschließen.
Coronakrise gefährdet auch die Beziehungen zum Westbalkan
Im Falle Serbiens, mit dem die EU seit 2014 Beitrittsverhandlungen führt, dauerte es etwa zwei Jahre, bis das erste Verhandlungskapitel geöffnet wurde. Die Beitrittsverhandlungen selber können durchaus zehn Jahre dauern.
„Alle sechs Länder des westlichen Balkans haben eine klare europäische Perspektive“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, David McAllister, nachdem bekannt gegeben wurde, dass die Europaminister grünes Licht für die Eröffnung der Beitrittsgespräche gegeben haben. Und weiter: „An einem politisch und wirtschaftlich stabilen westlichen Balkan haben wir ein ureigenes Interesse.“
Durch die Coronakrise ist die EU-Erweiterung um den Westbalkan nach Meinung von Südosteuropa-Experten wirtschaftlich und politisch noch wichtiger geworden. „Der Balkan ist geopolitisch eine Wunde in Europa“, sagte der frühere österreichische Vizekanzler Erhard Busek dem Handelsblatt.
„Der Nationalstaat hat sich in der Coronakrise als sehr schwach erwiesen. Länder allein können das Problem nicht lösen. Wir brauchen daher viel mehr Kooperation“, sagte der Chef des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa in Wien.
Das gilt insbesondere für die Nicht-EU-Länder in Zeiten des Coronavirus. „Das Virus trifft am Westbalkan auf eine für solche Fälle weitestgehend unvorbereitete Gesellschaft ohne ausgebautem Gesundheits- oder Sozialsystem“, sagte Mario Holzner, Executive Director des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), dem Handelsblatt am Dienstag.
Viele Risikopatienten
Denn durch die Abwanderung von jungen Arbeitskräften, insbesondere medizinisches Personal, nach Westeuropa sind die Gesellschaften in Ländern wie Serbien, Montenegro, Albanien oder Nordmazedonien überaltert und daher mit überdurchschnittlichen vielen Risikopatienten bevölkert. „Einige der sonstigen Nachteile wie beispielsweise die schlechte Infrastruktur und damit mangelnde Konnektivität könnten sich allerdings ausnahmsweise positiv auswirken“, sagte Holzner zur vergleichsweisen geringen Mobilität der Bevölkerung.
Besonders Serbien setzt die Coronakrise zu. Das Land hatte vergangene Woche den Notstand ausgerufen. Präsident Aleksandar Vucic äußerte sich zudem verärgert über die mangelnde Solidarität der EU mit seinem Land.
Die serbischen Ärzte waren mit 249 Coronafällen bereits am Limit, das Land brauchte Hilfe – doch bekam sie nicht. Die EU-Mitgliedsländer waren in erster Linie mit sich selbst beschäftigt und verhängten zudem einen Exportverbot auf medizinische Ausrüstung an Drittländer – wozu eben auch die Länder des Westbalkans gehören.
„Die europäische Solidarität gibt es nicht“, kritisierte Vucic. „Sie war ein Märchen.“ Deshalb habe er sich an China um Hilfe gewandt und Staatschef Xi Jinping im Gegenzug jahrhundertelange serbisch-chinesische Freundschaft versprochen.
Für die EU ist dieser Vorfall problematisch: Erklärtes Ziel der EU-Integration des Westbalkans ist es auch, den Einfluss anderer Länder – wie China – in der Region zurückzudrängen. Außerdem droht Brüssel nun durch die nationalen Corona-Alleingänge der Mitgliedstaaten an Zuspruch im Westbalkan zu verlieren.
„Mangelnde europäische Solidarität wird im gesamten Süden Europas das Image der EU beschädigen, sollte es nicht doch noch gelingen, auf EU-Ebene Instrumente der gerechten Verteilung von medizinischem Material zu organisieren – auch für die Kandidatenländer am Westbalkan“, sagte Ökonom Holzner.
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