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EU-Gipfel Wie die Türkei die EU vor sich hertreibt

Vor dem anstehenden Treffen der EU-Regierungschefs am Donnerstag ist eine klare Türkeilinie nicht erkennbar. Ankara macht sich das zunutze – zulasten von Griechenland.
24.03.2021 - 15:01 Uhr Kommentieren
Dem türkischen Präsidenten werden massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Quelle: Reuters
Recep Tayyip Erdogan

Dem türkischen Präsidenten werden massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

(Foto: Reuters)

Istanbul, Athen Menschenrechtsorganisationen haben ihr Urteil in Sachen Türkei gefällt. Human Rights Watch (HRW) etwa hat der türkischen Führung einen beispiellosen Angriff auf die Menschenrechte vorgeworfen und die EU vor ihrem Gipfel zum Handeln aufgerufen. Die Staats- und Regierungschefs der EU sollten nicht zur Tagesordnung übergehen, „während die türkische Regierung ihre Angriffe auf Kritiker, die parlamentarische Demokratie und Frauenrechte eskaliert“, erklärte HRW-Geschäftsführer Kenneth Roth am Mittwoch.

Die EU müsse auf ihrem Gipfel am Donnerstag klarstellen, dass eine „positive Agenda“ mit der Türkei an eine Beendigung der Angriffe auf Oppositionelle und messbare Fortschritte bei der Menschenrechtslage gebunden sei. Präsident Recep Tayyip Erdogan demontiere den Schutz von Menschenrechten und demokratischen Normen in einem Ausmaß, das in seinen 18 Jahren an der Macht so noch nie da gewesen sei.

Ob die Menschenrechtler und andere Beobachter in Brüssel gehört werden, ist jedoch fraglich. Die Staats- und Regierungschefs der EU beraten beim Gipfel am Donnerstag unter anderem über ihre Beziehungen zur Türkei. Doch eine klare Linie ist bisher nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die EU fährt in Sachen Türkei eine Doppelstrategie, die nach hinten losgehen könnte. Auch ein Update des Flüchtlingspakts steht offenbar weiter auf der Agenda – zum Ärger Griechenlands.

Es geht um viele Themen, darunter, neben der möglichen Aktualisierung des „Flüchtlingspakts“ zwischen der EU und der Türkei, die Zollunion, eine Visaliberalisierung für türkische Staatsbürger, den Status der Türkei als EU-Beitrittskandidat und nicht zuletzt um die innenpolitische Situation im Land.

Die türkische Führung übt seit Langem Druck auf die Opposition aus. In der vergangenen Woche hatten mehrere Entwicklungen in der Türkei für Besorgnis gesorgt. Erdogan erklärte etwa den Austritt aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen. Die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara stellte zudem einen Verbotsantrag gegen die prokurdische Oppositionspartei HDP. Hinzu kam ein neuerlicher Wechsel an der Spitze der Zentralbank, der Konsumenten, Unternehmer und Investoren verunsichert hatte.

Unterschiedliche Signale in Richtung Türkei

Die EU hatte im Vorfeld des Gipfels unterschiedliche Signale an die Türkei gesendet. Wie auch zahlreiche Außenminister des Staatenblocks kritisierte Brüssel den Rückzug der Türkei aus der sogenannten Istanbul-Konvention des Europäischen Rats, mit der die Staaten Frauen- und LGBTQ-Rechte stärken.

Um die Situation zu entschärfen, ging der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, daraufhin einige Schritte auf die Türkei zu. Doch bei seinen Zugeständnissen handelt es sich nun mehr oder weniger um alle Themen, die Ankara seit gut einem Jahr von der EU fordert. Dazu zählen ein Update des Flüchtlingspakts, neue Gespräche über eine Erweiterung der Zollunion sowie häufigere Treffen auf Staats- und Regierungsebene.

Die EU stellt diese Türkei-Programmatik als letzten Schuss vor den Bug dar. Doch letztlich zeigt sie ein Einlenken gegenüber dem Kurs Ankaras. Kein Wunder, dass Borrell am Ende des Türkei-Reports noch schnell erwähnt, dass Sanktionen gegen den Beitrittskandidaten weiterhin eine Option bleiben würden. Doch in Brüssel sowie Ankara glauben die wenigsten, dass es wirklich dazu kommen wird.

Einige EU-Staaten, vor allem Deutschland, sehen in der Fortschreibung darin ein wichtiges Element der vielbeschworenen „positiven Agenda“ im Verhältnis zur Türkei. Auch in Ankara sieht man die Migrationspolitik als Hebel zur Wiederannäherung an die EU.

Für Griechenland gleicht das Vorgehen des Staatenbundes einem Schlag ins Gesicht. Grundsätzlich hat die Regierung in Athen zwar nichts gegen einen konstruktiven Kurs gegenüber der Türkei. Der Sprecher des griechischen Außenministeriums, Alexandros Papaioannou, sagt: „Wir sind offen dafür, Punkte einer positiven Agenda mit der Türkei zu prüfen – aber unter der strikten Bedingung, dass die Türkei die Verpflichtungen erfüllt, die sie eingegangen ist.“

Hier sieht die griechische Regierung allerdings erhebliche Defizite. Vor allem in zwei Punkten ist man in Athen unzufrieden. Der erste betrifft die Situation an der Landgrenze zur Türkei im Norden und in der Ägäis. Die türkischen Behörden begünstigten irreguläre Grenzüberquerungen, so der Vorwurf in Athen, obwohl sich die Türkei in Artikel 3 der Gemeinsamen Erklärung verpflichtet habe, „alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass neue See- oder Landrouten für die illegale Migration von der Türkei in die EU entstehen“.

2000 Migranten aus Griechenland zurückgenommen

Der zweite Punkt betrifft die in Artikel 1 der Vereinbarung geregelte Rückführung irregulärer Migranten aus Griechenland in die Türkei. In den fünf Jahren seit Inkrafttreten der Erklärung hat die Türkei nur etwa 2000 Migranten aus Griechenland zurückgenommen. Das lag anfangs daran, dass die griechischen Behörden die Asylverfahren nur sehr langsam bearbeiteten und in den Jahren 2016 bis 2019 unter der damaligen linksgerichteten Syriza-Regierung aus humanitären Gründen zögerten, Migranten in die Türkei zurückzuschicken. Sie wurde nicht als sicheres Drittland betrachtet.

Die seit Sommer 2019 in Athen amtierende konservative Regierung hat die Asylverfahren jedoch erheblich beschleunigt und will abgelehnte Bewerber zügiger abschieben. Konkret geht es um 1450 Migranten, deren Asylanträge in letzter Instanz abgewiesen wurden. Die griechische Regierung bemüht sich seit Monaten in Zusammenarbeit mit der EU um eine Rückführung dieser Migranten in die Türkei – bisher erfolglos.

Erschwert wird die Zusammenarbeit zwischen Athen und Ankara in der Migrationspolitik, weil das Thema eng verflochten ist mit den griechisch-türkischen Konflikten über andere Fragen. So streiten die beiden historisch verfeindeten Nachbarn seit Jahren um die Wirtschaftszonen und Bodenschätze im östlichen Mittelmeer. Dabei geht es vor allem um die dort vermuteten Erdgasvorkommen.

Diplomaten aus beiden Ländern nahmen zwar unter Vermittlung Deutschlands im Januar die fünf Jahre zuvor unterbrochenen Sondierungsgespräche über eine Beilegung dieses Streits wieder auf. Die jüngste Gesprächsrunde fand Mitte März in Athen statt. Diese streng vertraulichen Kontakte haben zwar offenbar noch nicht zu greifbaren Ergebnissen geführt.

Aber immerhin fassen die Regierungen in Ankara und Athen nun ein mögliches Treffen des türkischen Präsidenten Erdogan mit dem griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis ins Auge. Danach könnte tatsächlich so etwas wie eine Türkei-Roadmap ausgearbeitet werden. Dann ist der EU-Gipfel allerdings längst vorbei.

Mehr: Die Türkei setzt auf Deutschland als letzten geopolitischen Partner.

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