EU-Parlament Von der Leyen droht Polen mit Stopp der Milliarden-Hilfen

In der Debatte um das Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofes kündigt die EU-Kommissionspräsidentin Konsequenzen für das Land an.
Straßburg Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit von Polen will die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen milliardenschwere Corona-Hilfen solange blockieren, bis das Land bestimmte Justizreformen zurückgenommen hat.
Die Unabhängigkeit der Justiz müsse wiederhergestellt werden, sagte von der Leyen am Dienstag bei einer Debatte mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki im Europaparlament in Straßburg. „Dazu zählt der Abbau der Disziplinarkammer, der Abbau des Disziplinarregimes, die Wiedereinsetzung der unrechtmäßig entlassenen Richterinnen und Richter. Das ist die Grundvoraussetzung.“ Morawiecki habe dies angekündigt, sagte von der Leyen, und forderte: „Tun Sie es.“
Polen hatte seinen Corona-Aufbauplan im Mai eingereicht. Um Geld aus der sogenannten sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) der EU zu erhalten, müssen EU-Staaten einen Plan mit Investitions- und Reformvorhaben vorlegen, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten von der Kommission beurteilt wird. Die Genehmigung des Plans von Polen wurde allerdings verschoben. Nach derzeitigen Berechnungen soll das Land insgesamt 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen und zusätzlich auch noch Kredite erhalten.
In der Auseinandersetzung mit Polen gab von der Leyen sich nach mehr als vierstündiger Debatte im Parlament entschlossen. „Wir werden die Rechtsstaatlichkeit und die Verträge der Europäischen Union verteidigen, mit allen Mitteln.“
Die EU-Kommission werde jedoch klare Prozessschritte einhalten. „Ja, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit sind langsamer als die Autokratien, weil sie alle anhören, bevor ein Urteil gefällt wird oder eine Lösung gefunden wird. Aber genau das unterscheidet uns ja von den Autokraten und den Diktatoren dieser Welt.“
Mit Blick auf das jüngste Urteil des polnischen Verfassungsgerichts sagte die CDU-Politikerin: „Es ist ein einmaliger Vorgang, dass ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaats Artikel des europäischen Vertrages in Frage stellt. Das trifft mitten ins Mark der Rechtsstaatlichkeit. Das hat es so noch nicht gegeben.“ Das Verfassungsgericht lege die „Axt an die europäischen Verträge“.
EU-Parlament debattiert mit Polens Ministerpräsident
In Straßburg debattiert an diesem Tag das EU-Parlament mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Dieser verteidigte das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts vor dem Parlament. „Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden“, sagte Morawiecki. Die EU-Mitgliedsländer müssten Instrumente haben, um auf diese Entwicklung zu reagieren. Er zitierte aus Urteilen des Obersten Gerichtshofes in den Niederlanden, des französischen Verfassungsrats und des Bundesverfassungsgerichts, um seinen Standpunkt zu untermauern.
Als konkrete Optionen nannte von der Leyen ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren, die Nutzung eines neuen Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln sowie eine erneute Anwendung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens. Letzteres könnte sogar zum Entzug der polnischen Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen.
Hintergrund der Drohungen von der Leyens ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu ignorieren.
Von der Leyen droht Polen nach Gerichtsurteil mit Sanktionen
Das Urteil stelle die Grundlagen der Europäischen Union infrage, kritisierte von der Leyen am Dienstag im Parlament. „Es ist eine unmittelbare Herausforderung der Einheit der europäischen Rechtsordnung. Nur eine gemeinsame Rechtsordnung ermöglicht gleiche Rechte, Rechtssicherheit, gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und daraus resultierend gemeinsame Politik.“
Zustimmung erhält von der Leyen aus der größten Fraktion im EU-Parlament. Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, fordert Konsequenzen für Polen. „Die Europäische Union hat die Möglichkeit, Gelder zu stoppen, wenn die Unabhängigkeit der Justiz nicht gewährleistet ist. Und das erwarten wir von der Kommission“, sagte der CSU-Politiker am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin.
Klar sei auch, dass sich die Staats- und Regierungschefs an einen Tisch setzen und Klartext reden müssten, auch gegenüber Polen. Das Europäische Parlament debattiert im Laufe des Dienstags über Polens umstrittene Justizreform.
Mehr: Das Bundesverfassungsgericht hat den Boden für das polnische EU-Urteil geebnet
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Komisch ist halt, dass Brüssel gegen Despoten nie droht, jedoch gegen das "eigene Volk".
Wenn ich das richtig sehe, ist die Unabhängigkeit der Justiz eine der Grundprinzipien der EU. Insoweit ist es schon seltsam, dass die EU eine Regierung wegen eines Gerichtsurteils angreift.
Mich würde schon einmal interessieren, wie Rechtsexperten das Urteil des (immerhin( höchsten Gerichts Polens sehen.
Meines Wissens nach, ist das Verhältnis zwischen EU-Recht und Grundgesetz auch in Deutschland nicht abschließend geklärt.
Was will die PiS-Partei erreichen: Ausloten, wieweit man bei den Gremien in Brüssel gehen kann? Oder geht ausschließlich um die Umgestaltung des Staates bei gleichzeitiger Absicherung des Machterhaltes der PiS-Partei?