EU-Wiederaufbaufonds Mario Draghis Plan: Was Italiens Ministerpräsident mit Europas Milliarden vorhat

Den Investitionsplan auf den Weg zu bringen ist für Draghi eine große Herausforderung.
Rom Um den derzeit wichtigsten Plan für Italiens Zukunft macht Ministerpräsident Mario Draghi seit Wochen ein Geheimnis. Kaum etwas ist an die Öffentlichkeit durchgedrungen. Nicht einmal alle Kabinettsmitglieder bekamen das Milliardenkonstrukt vorher zu Gesicht. Eigentlich wollten sich die Minister schon am Freitag treffen, um über den Finanzierungsplan zu debattieren. Das Treffen wurde jedoch immer wieder verschoben. Am Ende gab es am Samstagabend eine Nachtsitzung.
Nun steht der Plan aber. Am Montag und Dienstag will Draghi ihn im Parlament präsentieren. Die Zeit ist knapp: Am kommenden Freitag läuft Italiens Frist bei der EU-Kommission aus. Rund 191,5 Milliarden Euro bekommt das Land aus dem Wiederaufbaufonds der EU. 68,9 Milliarden davon sind Zuschüsse. Obendrauf legt die Regierung einen nationalen Fonds in Höhe von rund 30 Milliarden Euro.
Im Gegensatz zum Plan seines Vorgängers Giuseppe Conte setzt Draghi neue Schwerpunkte: Rund 50 Milliarden Euro will er in die Digitalisierung investieren, wie aus dem 337-Seiten-Entwurf vorgeht, der dem Handelsblatt vorliegt. Mit dem Geld sollen das Glasfaser- und das 5G-Netz ausgebaut, die Industrie 4.0 gestärkt und Anreize für Unternehmen geschaffen werden, in neue Technologien zu investieren. Allein die Verwaltung bekommt zehn Milliarden Euro, um moderner zu werden.
Die Bereiche Forschung und Bildung erhalten rund 34 Milliarden Euro statt der zuvor veranschlagten 23 Milliarden. Das Kita-Netz will Draghi massiv ausbauen: 228.000 neue Plätze sollen entstehen. Auch die Berufsausbildung soll stärker gefördert werden. Allein 28 Milliarden Euro will Italien ins schnelle Schienennetz investieren, um den Süden des Landes besser anzubinden. Die Bahnhöfe sollen auch modernisiert werden. Im Gesundheitswesen sind Investitionen in Telemedizin und den Biotech-Sektor vorgesehen.
EU-Wiederaufbaufonds: Mario Draghi will jahrzehntealte Probleme angehen
Größter Batzen bleiben die Investitionen in den ökologischen Wandel. Fast 70 Milliarden Euro sind hier eingeplant, mehr als neun Milliarden davon kommen aus dem nationalen Fonds. Der Anteil der „grünen Projekte“ am Gesamtplan liege bei rund 40 Prozent, wie die Regierung erklärte. Das Geld soll unter anderem in die Produktion und Forschung von Wasserstoff gehen. Auch der Zugang zu erneuerbaren Energien soll vereinfacht werden. In der Landwirtschaft soll die Produktion von Biomethan gefördert werden.
Der größte Unterschied zum Conte-Plan ist die Zielsetzung: Draghi hat die angestrebten Reformen auf Dutzenden Seiten in den Entwurf geschrieben. Der 73-Jährige will die Justiz, das Bildungssystem und die öffentliche Verwaltung modernisieren. Bei der Justiz müsse es das Hauptziel sein, „die Gesetzgebung zu vereinfachen und den Einsatz von Mediations- und alternativen Streitbeilegungsverfahren zu verstärken“, meint der Ökonom Lorenzo Codogno. Nur so lasse sich der Rückstau bei den Gerichtsverfahren verringern. Auch für die öffentliche Verwaltung gab es schon vor Jahren den Plan einer tiefgreifenden Reform – „aber sie blieb weitgehend auf dem Papier“.

Der Ministerpräsident muss seine Pläne noch dem Parlament erklären.
Es sind jahrzehntealte, tiefgreifende Probleme, die Draghi herausfordern: Die Produktivität ist zu niedrig, die Frauenerwerbsquote zu gering, die Jugendarbeitslosigkeit zu hoch. Die öffentliche Verwaltung arbeitet zu ineffizient, die Justiz zu langsam. Gleichzeitig türmt sich ein Schuldenberg auf, der sich in diesem Jahr auf rund 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen wird. Der Wiederaufbauplan könnte für Italien eine historische Chance sein – vielleicht die letzte.
Die EU hatte immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig die Reformen für Italien und den EU-Wiederaufbaufonds sind. Bis zuletzt gab es Zweifel, ob der Plan dem gerecht werden kann. Draghi soll Ende der Woche sogar mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen telefoniert und ihr zugesichert haben, persönlich dafür zu sorgen, dass die so lange ersehnten Reformen endlich kommen.
24 Milliarden Euro sollen schon bis Juli aus Brüssel in Italien ankommen. Für die Wirtschaft, die im Pandemiejahr 2020 um fast neun Prozent eingebrochen ist, könnten all die geplanten Investitionen das Bruttoinlandsprodukt in den kommenden fünf Jahren um rund drei Prozent anheben.
Mario Draghi setzt sich durch: Italiens Premier streicht Rente mit 62
Inhaltliche Differenzen gab es bis zuletzt um den „Superbonus“: Dieser Steuerabzug von 110 Prozent gilt etwa für energieeffiziente Baumaßnahmen. Mehrere Parteien wollten die Förderung bis 2023 verlängern. Draghi hat das abgehlehnt und will das Programm nicht über den Wiederaufbaufonds finanzieren. Auch der Wunsch der rechten Partei Lega, ihr Rentenprojekt zu verlängern, wonach Arbeitnehmer nach 38 Jahren im Job schon mit 62 in Rente gehen können, wurde abgelehnt.
Den größten Streit gab es aber zuletzt weniger um die Verteilung der Gelder. Daran war die Koalition des ehemaligen Ministerpräsidenten Conte im Januar nach wochenlangem Hin und Her noch geplatzt. Die Kritik richtet sich nun vor allem gegen die Kontrolle über die Milliarden: Draghi will die politische Koordinierung im Finanzministerium und im Palazzo Chigi ansiedeln, also im eigenen Haus.
Auch dass das Finanzministerium künftig bei allen Fragen zum Plan der einzige Ansprechpartner für die EU-Kommission werden soll, wird nicht von allen Parteien der breiten Koalition gern gesehen. Das wird Draghi wohl auch in den kommenden beiden Tagen zu spüren bekommen, wenn er seinen Plan in den Parlamentskammern vorstellt – die beide zustimmen müssen.
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