
Nicht nur die Staatsschulden, sondern wirtschaftliche Ungleichgewichte sind der Grund für die Euro-Krise.
DüsseldorfSchwäbische Maschinenbauer, BMW, Mercedes – hochwertige Exporte aus Deutschland sind weltweit gefragt. Jahr für Jahr liegen die Exporte über den Importen und sorgen für einen satten Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz.
Einige Ökonomen verteidigen die deutschen Exportüberschüsse seit vielen Jahren vehement gegen jede Kritik aus dem Ausland. Ihr Credo: Wenn Deutschland niedrigere Überschüsse macht, nützt das dem Ausland und schadet Deutschland. Das ist ein teurer Irrtum. Die Euro-Krise zeigt auf dramatische Weise, welchen Schaden permanente Exportüberschüsse anrichten. Der größte Verlierer ist Deutschland.
Sarkozy und Merkel streben neue Europäische Verträge an. Sie bevorzugen einen neuen Vertrag aller 27 EU-Staaten, sind aber entschlossen, notfalls einen Vertrag nur der 17 Euro-Länder abzuschließen. Dem könnten sich auch Nicht-Euro-Länder anschließen. Die Verhandlungen sollten bis März abgeschlossen sein.
Es soll auf jeden Fall automatische Sanktionen gegen Schuldensünder geben - also Länder, die bei der Neuverschuldung gegen die Defizitregel von 3,0 Prozent der Wirtschaftsleistung verstoßen. Automatische Sanktionen sollen nur mit qualifizierter Mehrheit von 85 Prozent verhindert werden können.
Alle 17 Euro-Länder sollen bindende Schuldenbremsen in ihren jeweiligen Verfassungen aufnehmen. Diese sollen auf europäischer Ebene harmonisiert werden. Ihre Ausgestaltung wird vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüft. Der EuGH soll nicht die jeweiligen nationalen Budgets annullieren können, sondern die Vereinbarkeit der Schuldenbremse mit den Verträgen prüfen. Deutschland hat bereits eine Schuldenbremse im Grundgesetz verankert, andere Länder wie Österreich stehen davor.
Der dauerhafte Rettungsschirm ESM soll nach dem Willen von Deutschland und Frankreich auf Ende 2012 vorgezogen werden. Bisher soll er Mitte 2013 starten. Für diese Entscheidung soll laut Sarkozy eine qualifizierte Mehrheit von 80 Prozent ausreichen. Auch sollen künftig nicht mehr einzelne Länder ESM-Hilfen aufhalten können. Daher soll künftig laut Merkel eine Mehrheit von 85 Prozent reichen.
Die Beteiligung privater Banken und Versicherer an einer Entschuldung soll „in schwierigen Fällen“ nach den Regeln des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfolgen. Es wird bekräftigt, dass es keine Sonderregeln („Lex Europa“) geben soll, die Anleger von Staatsanleihen im Euro-Raum mehr verunsichern als Investoren anderswo. Der freiwillige Schuldenschnitt Griechenlands sei ein Sonderfall.
Merkel und Sarkozy sind sich „außerordentlich einig“, dass die Europäische Zentralbank (EZB) unabhängig ist. Maßnahmen der EZB sollen nicht kommentiert werden - weder positiv noch negativ.
Gemeinsame Staatsanleihen der Euroländer, sogenannte Eurobonds, sind aus Sicht von Berlin und Paris „auf gar keinen Fall“ eine Lösung der Euro-Schuldenkrise. Die Schulden dürften nicht vergemeinschaftet werden.
Die Staats- und Regierungschefs sollen Sarkozy zufolge regelmäßig zusammenkommen im Rahmen einer Art europäischen „Wirtschaftsregierung“. Laut Merkel will die Euro-Gruppe monatlich zusammenkommen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu überprüfen und Wachstum anzukurbeln. Es wurde zunächst nicht gesagt, auf welcher Ebene. Auch Nicht-Euro-Länder könnten teilnehmen.
Deutschland hat durch seine Leistungsbilanzüberschüsse über Jahre Forderungen gegenüber den am wenigsten wettbewerbsfähigen Ländern angehäuft. Deutschen Überschüssen standen hohe Defizite und damit Schulden von Ländern wie Griechenland, Portugal oder Spanien gegenüber. Unterm Stich blieb die Leistungsbilanz der Eurozone damit in etwa ausgeglichen. Das Problem für Deutschland: Seine Forderungen bergen ein hohes Verlustrisiko. Kein Land kann sich permanente Defizite leisten – ansonsten wird die Zinslast irgendwann zu hoch. Als Auswege bleiben dann nur Währungsabwertung und Notenpresse - oder ein Schuldenschnitt, bei dem die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten.
Die Forderungen und Schulden eines Landes gegenüber dem Ausland sind sehr eng mit seiner Bonität am Anleihemarkt verknüpft: Bis auf wenige Ausnahmen zahlen Länder mit Auslandsforderungen wie Deutschland, die Niederlande, Finnland vergleichsweise niedrige Risikoaufschläge für ihre Schuldscheine – Länder mit Auslandsschulden wie Spanien oder Griechenland dagegen hohe.
Kein Staat darf sein Defizit über drei Prozent der Wirtschaftsleistung steigen lassen. Tut er es doch, wird automatisch eine Geldstrafe gegen ihn verhängt.
Der EU-Finanzministerrat darf Strafverfahren gegen Haushaltssünder nur noch in absoluten Ausnahmefällen stoppen - und dann nur mit Zweidrittelmehrheit. Das wird im neuen EU-Vertrag von Lissabon festgeschrieben.
Jeder Euro-Staat muss eine Schuldenbremse in seiner Verfassung verankern. Der europäische Pump-Kapitalismus gehört der Vergangenheit an.
Euro-Länder, die die Schuldenbremse nicht vorschriftsgemäß in ihrer Verfassung verankert haben, können vor dem europäischen Gerichtshof verklagt werden. Damit bekommt Europa in Finanzfragen Vorrang vor den Nationalstaaten.
Der griechische Schuldenschnitt bleibt ein einmaliger Sündenfall, der sich nicht wiederholen darf. Rechtsicherheit für Investoren wird im Gründungsvertrag des permanenten Euro-Rettungsschirms ESM festgeschrieben.
Die Euro-Zone bekommt eine echte Wirtschaftsregierung: Die Regierungschefs der Mitgliedstaaten treffen sich jeden Monat zu einem Gipfel, um ihre Wirtschaftspolitik zu koordinieren und das Wachstum gemeinsam anzukurbeln.
Die Europäische Zentralbank ist und bleibt unabhängig. Sie entscheidet selbst, ob und wie viele Staatsanleihen sie ankauft. Die Regierungen der Euro-Zone äußern sich dazu nicht.
Euro-Bonds sind nicht geeignet, die Schuldenkrise zu lösen. Sie werden vorläufig nicht eingeführt. Jeder Euro-Staat haftet weiter individuell für seine Schulden.
Deutschland und Frankreich übernehmen als größte Volkswirtschaften de facto die politische Führung in der Euro-Zone. Das steht so nirgends, wird aber von fast allen akzeptiert.
Die Euro-Zone marschiert voran in Richtung Fiskalunion und lässt dabei notfalls die zehn Nicht-Euro-Länder hinter sich. Wenn EU-Vertragsänderungen nicht mit allen 27 Staaten machbar sind, werden sie eben von den 17 Euro-Ländern allein beschlossen.
Die Euro-Krise entstand letztlich daraus, dass sich die Defizitländer ihre Auslandsschulden auf Dauer nicht leisten konnten – und sie irgendwie drücken mussten. Da Währungsabwertungen und die Notenpresse als Optionen ausfallen (Problem Einheitswährung), kann dies in der Eurozone nur durch eine Umschuldung oder Transfers geschehen. Das möchten aber Deutschland und die anderen Überschussländer unbedingt verhindern. Deshalb lautet das Rezept nun: Spanien und Griechenland sollen so werden wie Deutschland - und selbst zu Exportweltmeistern werden.
73 Kommentare zu "Euro-Krise: Deutschland bringt Europa aus dem Gleichgewicht"
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
"...Ungleichgewichte habendie Krise verursacht"Der dialektische Trick der €-Profiteure und-romantiker ist immer derselbe : Die weitere -unveränderte-Existenz des € wird stillschweigend(!!) als alternativlos unterstellt! Mit unschuldig harmlosem Augenaufschlag wird dann, das monetäre Ungleichgewicht in der €-Zone-richtiger Weise -als Ursache der Katastrophe formuliert-- aber dabei mit unglaublicher Chuzpe unterschlagen,daß solche Ungleichgewichte im Grunde seit Erfindung des Geldes mit durchschlagendem Erfolg durch Auf-und Abwertung behoben wurden--was -wie jeder weiß ,beim gemeinsamen € nicht möglich ist!
Ich denke dass eine Zentrale Steuerbehörde mit eigenen Mitteln un Zuständigkeit für das Überleben des Euro wichtig wäre. So wie in der Schweiz, USA, Kanada.
Eine Währungsunion ohne Zentrale Steuerbehörde hat es in der Geschichte nie gegeben.
Das Handelsblatt liest sich plötzlich wie ein Ableger der Internetseite www dot nachdenkseiten dot de.
Diese Seite ist übrigens außerordentlich spannend und interessant zu lesen. Werktags (außer Samstag) täglich.
Es ist auf das LOB des Artikels von Mallien in den WWW.NACHDENKSEITEN.DE von heute, 16.12.2011 hinzuweisen. Endlich scheint das Handelsblatt zu merken, dass eine andere Sicht auf die Krise erforderlich ist, um Instrumente zu ihrer Abwehr anwenden zu können.
Deppe
Als Trost für die Neoliberalen bleibt noch zu erwähnen: Wenn alle Länder Überschüsse erzeugen wollten, kann mna immer noch darauf hoffen, dass wir eben irgendwann mit einem anderen Planeten Handel treiben werden.
Wir brauchen Exportüberschüsse (Handelsbilanz), weil Deutschland viel im Ausland investiert (= bei den Kunden) und herumreist (Leistungsbilanz). Man muß beides sehen! Die Finanzierung von Staatsschulden wird natürlich noch schwieriger, wenn zusätzlich der Saldo dieser beiden Bilan-zen noch finanziert werden müßte. Und bevor der Steuerzah-ler irgendwelche Sorglos-Länder untersützt, sollten diese zur Privatisierungen gezwungen werden. Dasselbe sollte auch innerhalb Deutschlands für überschuldete Gemeinden und Bundesländer (Stichwort: Länderfinanzausgleich)gelten!
Ist das ein Wunder, wenn man ausschließlich die eigene Sprache beherrscht? Übrigens sind die Nordländer bezogen auf das jeweilige BIP die absoluten Exportwelt-meister!
Ist das ein Wunder, wenn man ausschließlich die eigene Sprache beherrscht? Übrigens sind die Nordländer bezogen auf das jeweilige BIP die absoluten Exportwelt-meister!
Ist das ein Wunder, wenn man ausschließlich die eigene Sprache beherrscht? Übrigens sind die Nordländer bezogen auf das jeweilige BIP die absoluten Exportwelt-meister!
Sie können doch hier berichten, was Sie wollen, alles läuft nur auf Eines hinaus: Die Euro-Krise ist einzig und allein das um 2000 schon im Grundsatz vogegebene Ergebnis der politischen Fehlentscheidung, über eine Einheitswährung die europäische Einigung erzwingen zu wollen. Die Kanzlerin kann sich wenden wie sie will und noch so schöne Vorschläge unterbreiten: Der Euro steht im "Schach Matt" und Grund ist seine Fehlgeburt als Einheitswährung zu Anfang des 21.Jh. Und den "Klartext", den Herr Sloterdijk jetzt in ihrem Interview redet, hat um 2000 bereits die Expertengruppe geredet, die gegen die zu frühe Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung vor dem BVerfG geklagt hat. Sie ist aber gegen den Schwachsinn (pardon: eingeschränktes Wahrnehmungsvermögen bzw. eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit) von Juristen und Politikern, die zu zwei Drittel aus dem Öffentlichen Dienst" stammen und denen ökonomische Sachverhalte völlig fremd sind, nicht angekommen. Dazu fällt mir nicht mehr ein als die Berufsberatung bei Kurt Tucholsky: Lassen Sie Ihren Sohn Verfassungsjurist oder Politiker werden; da trägt er Verantwortung, hat aber keine.