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Europäische Union Mehr Jobs und Mindestlohn: EU-Ratspräsidentschaft will Sozialrechte stärken

Mit einer geplanten Richtlinie über Mindestlöhne will Portugal die Soziale Marktwirtschaft ausbauen. Doch nicht alle EU-Länder ziehen mit. Widerstand kommt vor allem aus Skandinavien.
12.03.2021 - 15:03 Uhr Kommentieren
In der Zeit der Ratspräsidentschaft in der EU will Portugal die Sozialrechte ausbauen. Quelle: Reuters
Portugals Außenminister Augusto Santos Silva

In der Zeit der Ratspräsidentschaft in der EU will Portugal die Sozialrechte ausbauen.

(Foto: Reuters)

Brüssel Während seiner EU-Ratspräsidentschaft will Portugal die Soziale Marktwirtschaft in der EU ausbauen. Lissabon plant, eine Richtlinie über Mindestlöhne in den Mitgliedsländern oder eine bessere Koordinierung der Sozialsysteme voranzubringen. „Ein stärkeres soziales Europa ist der beste Schutz vor dem gefährlichen Virus des Populismus“, sagte Portugals Außenminister Augusto Santos Silva dem Handelsblatt in Brüssel.

„Beim Wiederaufbau geht es nicht nur um Ökologisierung und Digitalisierung, sondern auch um den sozialen Wiederaufbau angesichts der tiefen Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit“, betonte Silva. „Wir müssen die sozialen Rechte der EU-Bürger implementieren.“
Kürzlich hat die EU-Kommission einen Aktionsplan der Sozialrechte vorgeschlagen. Bis 2030 hat die EU-Exekutive drei Ziele formuliert: Mindestens 78 Prozent der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren sollen einen Arbeitsplatz haben. Zudem sollen mindestens 60 Prozent aller Erwachsenen jedes Jahr an Fortbildungen teilnehmen. Zudem soll die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen um mindestens 15 Millionen sinken.

Mit dem Aktionsplan unter der Führung des Luxemburger EU-Kommissars für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit, soll soziale Ungleichheit bekämpft und Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt durch die Pandemie verbessert werden. Die Bundesregierung unterstützt grundsätzlich den Aktionsplan der Sozialrechte, wie EU-Kreise in Brüssel bestätigen. „Die europäischen Bürger erwarten und wollen, dass wir im sozialen Bereich handeln“, sagte Schmit im Europaparlament in dieser Woche. „Die portugiesische Ratspräsidentschaft würde sagen: ,Es ist Zeit zu liefern.'“

Bereits am Montag treffen sich die EU-Arbeits- und -Sozialminister, um über den von der Kommission vorgeschlagenen Aktionsplan der Sozialrechte erstmals zu sprechen. „Ich bin sicher, dass wir konkrete Ergebnisse noch in unserer Ratspräsidentschaft sehen werden“, sagte Chefdiplomat Santos Silva. „Wir müssen die sozialen Rechte der EU-Bürger implementieren.“

Mit der Verabschiedung des Aktionsplans soll auch Sicht der Ratspräsidentschaft ein Paradigmenwechsel in der EU eingeleitet werden. „Wir sehen das soziale Europa als ein Dreieck. Der Wiederaufbau und die Transformation unserer Wirtschaft in Richtung einer Ökologisierung und Digitalisierung und die Stärkung unseres Sozialmodells in Europa sind die drei Seiten des Dreiecks“, sagte Santos Silva dem Handelsblatt. Die Mitgliedsländer müssten sich sehr viel besser koordinieren, egal, ob es um Mindestlöhne, Gesundheitssysteme oder Schulausbildung gehe.

Im Europaparlament kommt die Initiative der EU-Ratspräsidentschaft gut an. Die breite Unterstützung reicht von der konservativen EVP über die Sozialdemokraten bis zu den Liberalen, Grünen und Linken. „Nach über dreieinhalb Jahren der Diskussion haben wir endlich einen Aktionsplan, von dem auch die EU-Bürger profitieren werden. Ich bin sehr froh über die Initiative der portugiesischen Ratspräsidentschaft, die sozialen Rechte in der EU zu stärken“, sagte die Europaabgeordnete Gaby Bischoff (SPD) dem Handelsblatt. „Die Pandemie hat den Fokus auf die Schieflage im europäischen Arbeitsmarkt gelenkt.“ Für die Konjunktur sei es wichtig, die Kaufkraft in der EU zu stärken.

EU-Sozialgipfel im Mai in Porto soll Durchbruch bringen

Im Mai lädt Portugal daher zu einem EU-Sozialgipfel in Porto ein. „Wir können den Klimawandel nur aufhalten und die digitale Transformation meistern, wenn wir die EU-Bürger auch dafür mobilisieren. Und das geht nur, wenn die soziale Zukunft gesichert und gestärkt wird“, sagte Santos Silva, der in Porto lebt, zu der Initiative. „Wir erwarten von den Staats- und Regierungschefs die Übernahme der sozialpolitischen Ziele für die EU, um die tiefe Krise in Europa zu überwinden.“

Nach einer vor wenigen Tagen vorgelegten Eurobarometer-Umfrage sehen 71 Prozent der befragten EU-Bürger den Mangel an Sozialrechten als ernstes Problem.

Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 führte die Sozialpolitik eher ein Schattendasein in der EU. Das soll sich nun grundlegend ändern. Denn die Pandemie ist die schwerste Wirtschaftskrise seit Gründung der EU. Die neue Richtlinie für Mindestlöhne soll innerhalb der 27 Mitgliedstaaten für mehr Konvergenz sorgen, auch wenn die EU nur über begrenzte Kompetenzen verfügt.

Die Direktive soll künftig garantieren, dass die Mindestlöhne in den Mitgliedsländern sich oberhalb der Armutsgrenze bewegen. Insider gehen davon ab, dass das Europaparlament über den Mindestlohn im Herbst abschließend abstimmen wird. „Wir hoffen, dass eine entsprechende EU-Richtlinie im nächsten Jahr umgesetzt wird“, sagte auch Santos Silva. Ähnlich äußert sich auch EU-Sozialpolitikerin Bischoff: „Ich hoffe bei den Mindestlöhnen auf eine Einigung bis spätestens Mitte nächsten Jahres.“

Beim Mindestlohn blockieren die Dänen. Sie haben bereits ein eigenes Tarifsystem, um faire Löhne sicherzustellen. Quelle: dpa
Grenze zu Dänemark

Beim Mindestlohn blockieren die Dänen. Sie haben bereits ein eigenes Tarifsystem, um faire Löhne sicherzustellen.

(Foto: dpa)

Die portugiesische Ratspräsidentschaft will bei der Richtlinie über Mindestlöhne bis Ende Juni eine Entscheidung im Europäischen Rat erreichen. Widerstand zeichnet sich hingegen von Dänemark, Schweden und Finnland ab. Die Skandinavier, die keine Mindestlöhne kennen, wollen ihr eigenes Tarifmodell verteidigen.

Die EU-Ratspräsidentschaft muss daher noch Brücken bauen. „In den nordischen Ländern, aber auch in Deutschland und Österreich wird auf die Unabhängigkeit der Tarifpartner beim Aushandeln von Löhnen ohne Einmischung des Staates gesetzt. In Südeuropa gibt es hingegen den Ansatz, dass das Festlegen eines Mindestlohns Angelegenheit des Staates und nicht nur der Arbeitgeber beziehungsweise Arbeitnehmer ist. Wir haben nun die Aufgabe, einen EU-Rahmen zu finden, mit dem alle leben können“, sagt Santos Silva.

Die geplante Regelung zum Mindestlohn betrifft rund 20 Millionen Arbeitnehmer in der EU. Nur Dänemark, Schweden, Finnland, Italien, Österreich und Zypern besitzen keine gesetzlichen Mindestlöhne. In diesen sechs Mitgliedstaaten wird das Problem bislang tarifvertraglich gelöst. Gleichzeitig stärkt die Kommission über die neue Direktive auch die Tarifpolitik. Es sollen künftig mehr Beschäftigte von Tarifverträgen erfasst werden.

In allen Mitgliedsländern, in denen weniger als 70 Prozent der Beschäftigten einen Tarifvertrag haben, müssen die Regierungen daher Aktionspläne erarbeiten. In Deutschland besitzen nur 48 Prozent aller Beschäftigten einen Tarifvertrag. Ziel der EU-Vorschläge ist es, in der gesamten EU existenzsichernde Löhne zu schaffen.

Der Vorschlag der Kommission legt aber weder ein gemeinsames Mindestlohnniveau fest, noch verpflichtet er die Mitgliedstaaten zur Einführung von Mindestlöhnen. Stattdessen schafft die Richtlinie einen Rahmen für Mindeststandards, der die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und die Autonomie der Sozialpartner im Bereich der Löhne berücksichtigt. Ziel des im Oktober vorgelegten Vorschlages ist es, die Löhne von Geringverdienern zu schützen sowie die Armut trotz Erwerbstätigkeit sowie Lohnungleichheit zu verringern.

„Fundament der Sozialen Marktwirtschaft stärken“

Aus der Sicht der Ratspräsidentschaft geht es um die Sicherung des sozialen Wohlstands in schwierigen Zeiten. „Wir müssen den Europäern klarmachen, dass die neuen Maßnahmen keineswegs ihre Arbeitsplätze oder ihren Wohlstand bedrohen, sondern vielmehr künftiges Wachstum und mehr Jobs schaffen. Deshalb wollen wir das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft stärken“, sagte Außenminister Santos Silva dem Handelsblatt.

„Nur so können wir weiter der Teil der Welt mit dem größten sozialen Wohlstand und dem besten Sozialsystem bleiben.“ Gerade angesichts der Wirtschaftskrise sei es notwendig, die Soziale Marktwirtschaft in Europa zu stärken, um aus der schwierigen Zeit stärker als zuvor hervorzugehen. „Wir werden den Verlust von vielen Arbeitsplätzen in der EU sehen, damit einher gehen ein drohender sozialer Abstieg der Mittelschicht und geringere Bildungschancen. Dagegen müssen wir uns mit einer koordinierten Sozialpolitik wappnen“, fordert Santos Silva.

Mehr: Wahlkampfvorstoß von Scholz und Heil: Zwölf Euro Mindestlohn und Tariftreuegesetz.

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