Europäischer Stabilitätspakt Frankreich will Rückfall in Rezession vermeiden – mit neuen Schuldenregeln

Frankreich ist es wichtig, einen wirtschaftlich überzeugenden Weg zu finden.
Paris Frankreich will erreichen, dass bereits Mitte 2022 neue Regeln für die Haushaltsführung in der EU in Kraft treten, die den bisherigen Stabilitätspakt ersetzen. „Wenn die Aussetzung des Stabilitätspaktes 2022 endet, sollten die neuen Regeln angewendet werden“, sagte ein Spitzenbeamter des französischen Finanzministeriums am Montag. Was die Neugestaltung angehe, gebe es eine „große Übereinstimmung mit den Vorstellungen von (Bundesfinanzminister) Olaf Scholz“.
Die französische Regierung hält die „überwuchernden“ europäischen Vorschriften für Kontrolle und Koordinierung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik nicht mehr für praktikabel. Bei strikter Anwendung würden sie derzeit geradewegs in eine neue Rezession führen, heißt es in Paris. Die EU-Regeln schreiben im Groben ein gesamtstaatliches Haushaltsdefizit von maximal drei Prozent und eine Gesamtverschuldung von höchsten 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vor.
Derzeit gilt die Vorschrift, dass jeder Mitgliedstaat mit einer Verschuldung von mehr als 60 Prozent die Differenz pro Jahr um ein Zwanzigstel verringern muss. Ein Staat, dessen Verbindlichkeiten bei 120 Prozent des BIP oder höher liegen, was derzeit bei sechs EU-Ländern der Fall ist, „muss also jährlich mindestens einen Betrag in Höhe von drei Prozent der Wirtschaftsleistung abbauen, das ist enorm und absolut nicht vernünftig“, heißt es im Finanzministerium. Unsinnig sei auch, dass alle Staaten nach derselben Vorschrift behandelt würden, egal, ob ihre Schulden hoch oder vergleichsweise niedrig sind.
„Der Abbau der Verschuldung ist nicht zweitrangig, aber wir müssen damit anfangen, wenn das Wachstum wieder gefestigt ist“, empfehlen die Franzosen. Das könne nach einer differenzierten Strategie erfolgen, bei der Länder mit niedriger Verschuldung ihre Spielräume nutzen und andere Länder stärker konsolidieren. Klar scheint, dass Frankreich die strikten Regeln um das 60-Prozent-Kriterium neu fassen will.
Bereits seit vergangenem Herbst bemüht sich Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune um eine Reform des EU-Stabilitätspakts. Defizite und Schuldenstände lägen wesentlich höher als vor der Krise, stellt er fest, und die Priorität sei: „Noch mehr als vor der Krise müssen wir gewährleisten, dass investiert wird.“
Stabilitätspakt kann bei Frankreichs EU-Präsidentschaft Top-Thema werden
Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire ist auf Beaunes Linie eingeschwenkt: „Wir brauchen Regeln, die an die neue Realität angepasst sind.“ Die sei durch deutlich höhere Schuldenstände aller EU-Staaten, eine gefährlich hohe Verschuldung einzelner Staaten und die Notwendigkeit, massiv zu investieren, gekennzeichnet.
Seit Anfang des Monats verstärkt der Macron-Vertraute Clément Beaune den Druck. „Wir müssen diese Debatte so schnell wie möglich führen“, sagte er vergangene Woche. Laxismus in der Haushaltspolitik müsse zwar vermieden werden, aber auch „die Fehler von 2011/12 dürften nicht wiederholt werden“, als die EU-Staaten nach der schweren Wirtschaftskrise zu schnell auf eine restriktive Budgetpolitik umgeschaltet und damit Investitionen sowie die wirtschaftliche Erholung abgewürgt hätten.
Frankreich wird zu Beginn kommenden Jahres die EU-Präsidentschaft führen und kann einen veränderten Stabilitätspakt ganz oben auf die Tagesordnung setzen. Ob es in Berlin dann schon eine neue Regierung gibt, ist fraglich. Vor allem die CDU/CSU sieht Aufweichungen des „Stabipaktes“ kritisch.
Doch Beaune zeigt Entschlossenheit: „Wir müssen diese historische Chance nutzen.“ Bis zum Ende des Jahres wolle Frankreich mit seinen Partnern, vor allem Deutschland, einen neuen fiskalischen Rahmen vereinbaren. Die Diskussion in der EU soll in drei Monaten beginnen.
Die Priorität sieht auch Beaune nicht bei einer Änderung der Drei-Prozent-Regel für das maximale Staatsdefizit, das im Protokoll zum Maastricht-Vertrag und dem Stabilitätspakt festgeschrieben ist. Wichtiger sei es, sich Gedanken über die Schuldenstände zu machen und Leitlinien dafür zu finden, wie sie zurückgeführt werden sollen, ohne Investitionen und Wachstum zu beeinträchtigen. Die Überlegungen des früheren IWF-Chefökonomen Olivier Blanchard über eine Schuldentragfähigkeitsanalyse bezeichnet Beaune als „interessant“. Enge Mitarbeiter von Scholz sehen das ähnlich.
Niedrige Schuldenstände und europäischer Ehrgeiz
Für Frankreich liegt der Akzent nicht auf der juristischen Frage, wie eine Reform umzusetzen wäre, ob man dafür an den Maastricht-Vertrag heranmuss. Das ließe sich vermeiden, wenn allein die Anwendungsbestimmungen verändert werden.
Paris ist es wichtiger, einen wirtschaftlich überzeugenden Weg zu finden, der niedrigere Schuldenstände verbindet mit dem europäischen Ehrgeiz, durch anhaltende Investitionen in die digitale und ökologische Wende nicht hinter die USA und China zurückzufallen.
François Villeroy de Galhau, Gouverneur der Banque de France, unterstützt diesen Ansatz. Allerdings warnt er vor der Gefahr, dass die Geldpolitik zur Gefangenen der Fiskalpolitik werden könne, wenn diese sich treiben lasse und keine glaubwürdigen Leitplanken habe.
„Ein besserer Weg wäre es, wenn fiskalische Regeln den Anker für den mittelfristigen Verlauf der öffentlichen Verschuldung bilden, aber in einem reformierten EU-Fiskalrahmen, da der bestehende zu komplex geworden ist und den heutigen wirtschaftlichen und finanziellen Gegebenheiten nicht mehr entspricht“, sagte er. Villeroy de Galhau geht es darum, einen Konflikt zwischen Geld- und Finanzpolitik zu vermeiden.
Mehr: EU-Stabilitätspakt könnte aufgeweicht werden: Finanzministerium spielt Reform durch
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