Europapolitik Rede zur Lage der EU: Das sind die wichtigsten Ankündigungen von Ursula von der Leyen

Die EU-Kommissionspräsidentin redet vor dem EU-Parlament in Straßburg: „Wir hängen von Hochleistungschips aus Asien ab.“
Brüssel Einmal im Jahr erläutert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem Europaparlament, welche politischen Projekte die EU-Behörde derzeit angeht und welche Gesetze sie demnächst vorschlagen will.
Ging es 2020 vor allem um den Umgang mit der Coronakrise und ambitioniertere Klimaziele im Rahmen des Green Deals, rücken nun wieder die geopolitischen Ambitionen der Kommission in den Fokus.
Folgende Gesetzesinitiativen, Strategien und Vorschläge hat von der Leyen an diesem Mittwoch angekündigt, die für die Wirtschaft von großer Bedeutung sein könnten:
Ein neues europäisches Chip-Gesetz:
Chips sind für digitale Produkte unerlässlich. Allerdings: „Wir hängen von Hochleistungschips aus Asien ab“, sagte von der Leyen. Im Laufe der Jahre ging der europäische Anteil an der gesamten Wertschöpfungskette immer weiter zurück, sodass von der weltweit explodierenden Nachfrage andere profitieren – insbesondere China.
Zugleich hemmen Lieferengpässe die Produktionskapazitäten europäischer Unternehmen. „Dies ist nicht nur eine Frage unserer Wettbewerbsfähigkeit. Es ist auch eine Frage der technologischen Souveränität“, sagte von der Leyen. Deswegen solle es ein neues europäisches Chip-Gesetz geben, auf das die EU ihre „ganze Energie“ richten solle.
Konkret soll das Gesetz dafür sorgen, alle europäischen Forschungs-, Entwicklungs- und Testkapazitäten zusammenzubringen. Alle Investitionen in der EU sollen entlang der Wertschöpfungskette koordiniert werden. Dabei geht es auch darum, einen fragmentierten europäischen Halbleitermarkt zu verhindern und öffentliche Subventionen zielgerichteter einzusetzen.
„Ziel ist es, gemeinsam ein hochklassiges europäisches Chip-Ökosystem zu schaffen, das die Produktion mit einschließt“, so die Kommissionspräsidentin. Dies gewährleiste die europäische Versorgungssicherheit und treibe Innovationen an, die letztlich wieder dafür sorgen sollen, dass Europa eine bedeutende Position auf dem Halbleiterweltmarkt einnehme.
Längst gibt es ein geopolitisches Wettrennen um die Führerschaft bei der Chip-Technologie. Zahlreiche Staaten, darunter die USA und Taiwan, arbeiten an ihren jeweils eigenen Strategien.
Eine neue Konnektivitätsstrategie:
Die deutsche Wirtschaft hat darauf schon lange gewartet: Von der Leyen kündigte eine europäische Antwort auf Chinas Seidenstraßen-Initiative an. Unter dem Label „Global Gateway“ will die EU künftig internationale Infrastrukturpartnerschaften schließen und sich dabei von einem strategischen Konzept leiten lassen, das sich vor allem gegen den Einfluss Chinas richtet.
„Wir sind gut darin, Straßen zu finanzieren“, sagte von der Leyen. „Aber es macht für Europa keinen Sinn, eine perfekte Straße zwischen einer Kupfermine in chinesischem Besitz und einem Hafen in chinesischem Besitz zu bauen.“ Die EU müsse bei dieser Art von Investitionen „klüger“ werden.
Über eine strategische Infrastrukturpolitik wird in Brüssel seit Jahren diskutiert, bisher unter dem sperrigen Schlagwort „Konnektivität“. Dabei geht es neben Straßen, Schienen und Häfen auch um Internetkabel und Cloud-Dienste.
„Wir wollen Verbindungen schaffen, nicht Abhängigkeiten“, sagte von der Leyen – und grenzte sich damit klar von den Bestrebungen der chinesischen Regierung ab, Infrastrukturhilfen als Druckmittel zu nutzen. Für die deutsche Wirtschaft ist das Vorhaben deshalb wichtig, weil Unternehmen seit Langem darüber klagen, dass sie bei chinesischen Infrastrukturprojekten kaum zum Zug kommen.

„Wir wollen Verbindungen schaffen, nicht Abhängigkeiten.“
Importverbot für Produkte bei Menschenrechtsverletzungen:
Menschenrechte stünden nicht zum Verkauf – „zu keinem Preis“, sagte von der Leyen und kündigte eine Initiative an, über die es in Brüssel noch viele Debatten geben dürfte. Die Kommission werde ein Verbot von Produkten auf dem EU-Markt vorschlagen, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden.
Damit stellte sie klar, dass sich die europäische Wirtschaft künftig noch viel stärker um die Einhaltung von Menschenrechten kümmern muss – auch bei ihren ausländischen Geschäftspartnern. Wie genau das Importverbot gestaltet wird, ist noch ungewiss. Sicher scheint dagegen zu sein, dass die EU-Vorschriften deutlich über das im Sommer verabschiedete deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen werden.
Wirtschaftsverbände sind alarmiert. Sie fürchten einen enormen bürokratischen Aufwand. Ihre Warnung: Im schlimmsten Fall könnten sich europäische Unternehmen aus einigen Entwicklungsländern ganz zurückziehen – und den Chinesen das Feld überlassen. Befürworter strenger Vorgaben argumentieren dagegen, dass die EU ihre wirtschaftliche Macht nutzen muss, um die Menschenrechtslage bei ihren Handelspartnern zu verbessern.
Impfspenden:
Bislang habe die EU bereits 700 Millionen Impfdosen an 130 Länder verteilt – etwa genauso viele Impfdosen wie die EU für sich selbst behalten hat. Eine Spende von weiteren 250 Millionen Impfdosen hat die EU zugesagt, außerdem investiert sie eine Milliarde Euro, um Produktionsstätten für mRNA-Impfstoffe in Afrika aufzubauen.
Die Kommission will nun weitere 200 Millionen Impfdosen bis Mitte 2022 spenden, hieß es. Ziel sei, vor allem Entwicklungsländer insbesondere in Afrika, mit Impfstoffen zu versorgen. Dort wird bislang nach wie vor kaum geimpft.
Dabei geht es nicht nur darum, die globale Pandemie zu beenden und wieder einen funktionierenden Weltmarkt herzustellen: Auch hinter Impfspenden verbirgt sich ein geopolitischer Wettbewerb. Vor allem China und Russland versuchen seit Beginn der Pandemie, mit Spenden von medizinischen Hilfsgütern – und mittlerweile auch mit Impfspenden – ihren Einfluss in Afrika und Asien auszubauen.
Generell habe die EU-Kommission 1,8 Milliarden zusätzliche Impfdosen bestellt. „Das ist genug für uns und unsere Nachbarschaft, wenn Auffrischungsimpfungen notwendig werden“, sagte von der Leyen.

Hinter Impfspenden verbirgt sich ein geopolitischer Wettbewerb.
Gesetzesvorschlag, um gegen Steuervermeidung und -hinterziehung vorzugehen:
Die EU-Kommission will einen Gesetzesvorschlag vorlegen, der „die versteckten Gewinne von Briefkastenfirmen ins Visier nimmt“. Zudem werde sie sich weiterhin vehement für einen globalen Mindeststeuersatz für Unternehmen einsetzen. Weitere Details zu dem Gesetzesvorschlag nannte von der Leyen aber nicht.
Weitere internationale Klimagelder:
Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens hat sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, bis zum Jahr 2025 jährlich 100 Milliarden Euro für Klimaschutzmaßnahmen in ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen. Der europäische Anteil daran beträgt pro Jahr 25 Milliarden Dollar.
Die EU-Kommission will nun vorschlagen, bis 2027 weitere vier Milliarden Euro zu geben. „Aber wir erwarten von den Vereinigten Staaten und unseren anderen Partnern, dass auch sie ihre Zusagen erhöhen“, sagte von der Leyen.
Maßnahmenpaket zur Unterstützung Afghanistans:
Das Afghanistan-Versagen des Westens ist auch für die EU ein großes Debakel – zeigt es doch ihre außenpolitische Machtlosigkeit. Zudem befürchtet man in den europäischen Hauptstädten eine neue Flüchtlingskrise.
Deswegen setzt Brüssel nun darauf, Fluchtbewegungen zu vermeiden. „Wir werden die humanitäre Hilfe für die Menschen in Afghanistan noch einmal um 100 Millionen Euro erhöhen“, kündigte von der Leyen an.
Dies sei Teil eines neuen Maßnahmenpakets zur Unterstützung Afghanistans. Die Kommission will es in den nächsten Wochen vorlegen. Dabei geht es auch darum, die Hilfsaktivitäten der jeweiligen Mitgliedstaaten miteinander zu koordinieren.

In den nächsten Wochen will die EU-Kommission ein Maßnahmenpaket zur Unterstützung Afghanistans vorlegen.
Schritte hin zu einer gemeinsamen EU-Verteidigung:
Zunächst berichtete von der Leyen von einer neuen gemeinsamen Erklärung von EU und Nato, die noch 2021 vorgelegt werden soll. Seit Langem ist es Ziel der EU, die Macht der Europäer innerhalb des Verteidigungsbündnisses auszubauen.
Doch das allein reicht von der Leyen nicht: „Was wir brauchen, ist die Europäische Verteidigungsunion“, sagte sie. Erneut kam sie auf die Idee einer europäischen Eingreiftruppe zu sprechen, kritisierte jedoch den mangelnden politischen Willen der Mitgliedstaaten in der Frage. „Es wird Missionen ohne die Beteiligung der Nato oder der UNO geben – hier sollte die EU Präsenz zeigen.“
Ein konkreter Vorschlag, die EU verteidigungspolitisch stärker aufzubauen, ist ein gemeinsames Lage- und Analysezentrum, um die verschiedenen Informationen der jeweiligen Mitgliedstaaten zusammenzuführen und so über einen Informationsvorsprung zu verfügen.
Zudem sollen die verschiedenen Verteidigungssysteme der Europäer besser miteinander integriert werden. Als konkrete Maßnahme nannte die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin eine Mehrwertsteuerbefreiung beim Kauf von Verteidigungsausrüstung, die in Europa entwickelt und hergestellt wurde.
Des Weiteren plant die Kommission Gesetze über gemeinsame Standards bei der Cyberabwehr.
Austauschprogramm Alma:
Auch sozialpolitische Vorhaben kamen in der Rede von der Leyens zur Sprache. Eines davon ist ein neues Programm namens Alma. „Wir müssen diejenigen unterstützen‚ die durchs Netz gefallen sind. Diejenigen, die keine Arbeit haben. Diejenigen, die weder zur Schule gehen noch eine Berufsausbildung absolvieren“, leitete von der Leyen die Vorstellung ihres Vorschlags ein.
Alma soll jungen Menschen die Möglichkeit bieten, eine Zeit lang in einem anderen Mitgliedstaat Berufserfahrung zu sammeln – quasi eine Art Erasmusprogramm für Ungelernte.
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