Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Europawahl

Europawahl Der italienische Patient: Warum der EU-Gründungsstaat eine Gefahr für Europa ist

Die gute Nachricht: Die Italexit-Gefahr ist gebannt. Doch seit in Italien die Populisten regieren, belasten außenpolitische und ökonomische Probleme.
09.05.2019 - 04:29 Uhr 1 Kommentar
Warum der EU-Gründungsstaat Italien eine Gefahr für Europa ist Quelle: Getty Images; Per-Anders Pettersson
Italiens Regierung

Matteo Salvini, Giuseppe Conte, Luigi Di Maio, Giancarlo Giorgetti: Die populistischen Politiker haben das EU-Gründungsmitglied destabilisiert.

(Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)

Rom, Treviso Mario Conte, der Bürgermeister von Treviso, breitet seinen Masterplan für die nächsten vier Jahre auf dem großen Tisch in seinem Büro aus. Darin ein Vademecum für die Bürger, Investoren und Besucher mit Ausbau der Uni, Infrastrukturprojekten und Ausstellungen. „Uns geht es gut“, sagt der 39-jährige Lega-Politiker, der vor einem Jahr mit großer Mehrheit gewählt wurde.

Die Region Veneto, zu der Treviso gehört, und die Lombardei sind seit Langem Lega-Land, und beide werden gut verwaltet. Das ist in Italien unbestritten. Die beiden norditalienischen Regionen sind exportorientiert und stellen den Löwenanteil des italienischen Bruttoinlandsprodukts. „Wir haben sogar ein leichtes Wachstum zu verzeichnen“, sagt Bürgermeister Conte, „aber die örtlichen Unternehmer, so innovationsstark sie auch sind, agieren mit angezogener Handbremse wegen der verkrusteten Bürokratie.“

Was er beklagt und mit ihm viele Unternehmer in Italien, ist eines der Hauptprobleme der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone. „Ich habe ein Projekt, und dann gehen acht Jahre ins Land, bis es realisiert ist“, sagt der Bürgermeister. Dazu kommen ein ineffizientes Justizsystem, Steuerflucht, Korruption und Klientelismus. Das sind Probleme, die Italien seit vielen Jahren lähmen. Reformvorhaben sind allesamt versandet. Die Folge: Seit Monaten sinkt das Unternehmervertrauen.

Welchen Maßstab man auch nimmt, Italien hinkt in Europa hinterher: beim Wachstum, bei der Produktivität, bei den Arbeitskosten, der Steuerbelastung und auch der Zahl der Hochschulabsolventen. Nur in einer Disziplin ist Italien ganz vorn: 2,3 Billionen Euro beträgt die Staatsverschuldung – und selbst in Relation zur Wirtschaftsleistung (132,2 Prozent) liegt das Land auf Platz zwei, gleich hinter dem völlig überschuldeten Griechenland (167 Prozent).

Als wäre die grassierende ökonomische Schwäche Italiens nicht schon Risiko genug für die Europäische Union, regiert in Rom seit einem Jahr auch noch die populistische Koalition von Lega und Fünf Sterne, die Brüssel offen zum Feind erklärt hat. Die „Regierung des Wechsels“, wie sie sich nennt, mit Premier Giuseppe Conte und den beiden Parteichefs und Vizepremiers Matteo Salvini und Luigi Di Maio, hat seitdem einschneidende Veränderungen durchgesetzt, die den Brüsseler Haushaltswächtern größte Sorgen bereiten.

Diese Maßnahmen haben weit größere Auswirkungen auf die Wirtschaft, den Haushalt und auch die Glaubwürdigkeit des Landes als das tägliche verbale Getöse der Populisten in den sozialen Medien und im Fernsehen „für das Volk“ und „gegen die Eliten“.

Vom Lega-Chef und Innenminister sagt man, dass er zwei Gesichter habe: das des volksnahen, polemischen und hemdsärmeligen Redners auf der Piazza und das des politischen Vollprofis bei Verhandlungen hinter geschlossenen Türen. Der zweite Vizepremier Di Maio kommt gegen ihn nicht an und versucht gerade mit viel Mühe, seine Partei zur Europawahl zu positionieren – denn die Koalitionspartner treten gegeneinander an.

Das allerdings hindert sie nicht daran, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu betreiben – als gäbe es kein Morgen. Die teuren Wahlversprechen wurden umgesetzt: etwa die Einführung einer Grundversorgung, die im Haushalt mit sieben Milliarden Euro veranschlagt ist, und das Absenken des Renteneintrittsalters, das allein dieses Jahr vier Milliarden Euro kostet, im nächsten sogar 8,6 Milliarden. Das reißt Löcher in die ohnehin defizitäre Staatskasse.

Umstrittener Flirt mit den Chinesen

Für den Industrieverband Confindustria ist das eine „riesige Verschwendung von öffentlichen Geldern“, da es auch an Menschen ginge, die nicht arm seien, heißt es in einer Veröffentlichung des Studienzentrums von Confindustria.

Immerhin, im ersten Quartal errechnete die Statistikbehörde ein Wachstum von 0,2 Prozent, nachdem das Bruttoinlandsprodukt in den beiden Vorquartalen geschrumpft war. Ein Grund, warum Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria sich „vorsichtig optimistisch“ zeigt, das angepeilte Wachstum von 0,2 Prozent Wachstum für 2019 zu erreichen, „vielleicht sogar zu übertreffen, wenn das internationale Umfeld positiv ist“. Die EU-Kommission ist etwas pessimistischer: Sie geht in ihrer aktuellen Prognose von einem Plus von 0,1 Prozent aus.

Zum Prüfstein wird der Haushalt 2020. Noch ist die EU-Kommission entgegenkommend, wie immer, wenn Italien in den vergangenen Jahren um Flexibilität gebeten hat. Dramatisch wird es im Herbst, wenn das Urteil aus Brüssel kommt und Rom konkrete Zahlen zur Gegenfinanzierung der Neuverschuldung vorlegen muss. Doch das ist nach der Europawahl.

„Die Wachstumsschwäche hat strukturelle Gründe und muss langfristig angegangen werden“, warnt der frühere Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan, dem auch der Einbruch bei den Investitionen Sorgen bereitet. Auch die Finanzmärkte sind alarmiert: Seit Monaten ist der Risikoaufschlag auf italienische Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen weit höher als vor Amtsantritt der Regierung. Führt die Regierung ihren Kurs fort, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Ratingagenturen die Bonität des Landes auf Ramschstatus absenken.

Auch in der Außenpolitik begibt sich die Regierung in Rom auf einen Sonderweg. Als einziger G7-Staat trat Italien im März der chinesischen Seidenstraßeninitiative BRI bei. Das brachte Verstimmungen nicht nur mit Brüssel, sondern auch mit der US-Regierung, die eigentlich Italien unterstützt. Enge Kontakte dagegen pflegt die Regierung mit Russland. Der China-Deal hat noch einen weiteren Aspekt, über den vorerst nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird: „Das bilaterale Abkommen mit China kann in gezielte Ankäufe von italienischen Staatsanleihen münden“, sagt der Ökonom Marcello Messori von der römischen Wirtschaftsuniversität LUISS.

Der Verdacht besteht, dass die Regierung auf diese Weise den Ausgleich des Staatshaushalts sucht. Wenn das so kommt, könnte Peking direkten Einfluss auf die Politik eines EU-Staats nehmen oder könnte zumindest die Kontrolle der Häfen oder Stromleitungen übernehmen, wenn Italien die Schulden nicht zurückzahlen kann.

Italiener wollen den Euro behalten

Noch brisanter allerdings ist die direkte Konfrontation mit Europa. „Die Illusion, nach dem Brexit entstehe ein Power-Dreieck Italien-Frankreich-Deutschland, ist geplatzt“, sagt Nathalie Tocci, Direktorin des auf internationale Beziehungen spezialisierten Thinktanks IAI. Das Gegenteil ist der Fall: Salvini, der starke Mann Italiens, baut unter tatkräftiger Mithilfe des ungarischen Premiers Viktor Orbán eine rechtspopulistische, antieuropäische Allianz auf.

 Luciano Violante, Oppositionspolitiker und ehemaliger Präsident des Abgeordnetenhauses, erklärt die europaskeptische Haltung vieler Italiener auch mit deren „Unkenntnis“. Anders sei nicht zu erklären, dass die verschiedenen Europa-Fonds von Italien nicht genutzt würden, in denen unter anderem auch Geld zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bereitstünde.

Immerhin, von dem oft diskutierten Austritt Italiens aus der EU halten die Italiener wenig. 65 Prozent der Italiener sind laut einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) für einen Verbleib in der EU.“ Das gilt auch für den Euro: Zwei Drittel der Italiener wollen in der Euro-Zone bleiben.

 „Der Brexit und mögliche steigende Zinsen haben vielen gezeigt, dass die Kosten eines Ausstiegs aus dem Euro größer sind als die Vorteile“, sagt Innocenzo Cipolletta, Präsident von Assonime, dem Dachverband der Aktiengesellschaften in Italien. „Das Thema ist durch.“

Trotzdem: Die ökonomischen Risiken Italiens stellen ohne Zweifel eine Bedrohung für die Europäische Union dar. Auch das Bankenproblem, auf deren Bilanzen Milliardensummen an faulen Krediten lasten, bleibt ungelöst. „Wir sind in einem kritischen Moment“, sagt der Unternehmer Sandro Parisotto, Chef des Gebirgsschuhspezialisten Scarpa, „aber wir sind es gewohnt, unter Schwierigkeiten zu arbeiten.“

Auch der Bürgermeister von Treviso gibt die Hoffnung nicht auf: „Die Politik hatte sich zu sehr von den Sorgen der normalen Leute entfernt, deshalb findet Salvini so viel Zustimmung“, sagt Conte. Wer Salvini bei Veranstaltungen beobachte, der sieht sein Erfolgsgeheimnis: „Das Volk erkennt sich in ihm wieder.“

 Im Wahlkampf verspricht Salvini, die Lega werde nach Brüssel marschieren und dort die Regeln ändern – vor allem die für die Haushaltspolitik. Auch Bürgermeister Conte ist überzeugt: Italien solle eine wichtigere Rolle spielen. „Oft müssen wir die Entscheidungen anderer, wie der Franzosen oder der Deutschen, hinnehmen und mittragen und schaffen es nie, auf europäischem Niveau Einfluss zu nehmen.“

Auf den Gedanken allerdings, dass der Mangel an politischem Einfluss in Brüssel zum Teil aus der gravierenden ökonomischen Schwäche des Landes resultieren könnte, kommt in Italien kaum jemand.

Sven Afhüppe, Thomas Sigmund (Hg.):
Europa kann es besser
Wie unser Kontinent zu neuer Stärke findet. Ein Weckruf der Wirtschaft
Herder Verlag 2019, 240 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-451-39360-0
Das Buch bei Amazon bestellen.

Startseite
Mehr zu: Europawahl - Der italienische Patient: Warum der EU-Gründungsstaat eine Gefahr für Europa ist
1 Kommentar zu "Europawahl: Der italienische Patient: Warum der EU-Gründungsstaat eine Gefahr für Europa ist"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • In Italien gibt es für Ehepartner und Kinder keine Erbschaftsteuer!

    In Deutschland zerstört diese Steuer den Deutschen Wohlstandsmotor, den Mittelstand! Diese Steuer treibt Unternehmer und wohlhabende Menschen in das nicht neidgetriebene Ausland. Deutschland verliert immer mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und Unternehmen!

    Österreich erkannte den volkswirtschaftlich kontraproduktiven Effekt der Erbschaftsteuer für Ehepartner und Kinder und hat diese 2008 abgeschafft! Seither gibt es in Österreich für Ehepartner und Kinder keine Erbschaftsteuer.

    Auch in Bulgarien, Estland, Griechenland, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Tschechien, Schweden, Schweiz, Slowakei und Zypern fallen keine nennenswerten Erbschaftssteuern für Ehepartner und Kinder an. Selbst in Russland gibt es für Ehepartner und Kinder keine Erbschaftsteuer!

    Sehr viele Unternehmen haben auf Grund dieses gewichtigen Nachteils des Wirtschaftsstandorts Deutschland die Konsequenzen gezogen und ihre Firmensitze verlagert. Neben Steuern gehen somit auch sehr viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren!

    Deutschland braucht einen Wandel, weg von der international ungerechten, wettbewerbsverzerrenden, kontraproduktiven und den Mittelstand zerstörenden Erbschaftsteuer!


Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%