Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Europawahl

Marina Mazzucato im Interview Deutsche Industriepolitik war „eine Art Blasphemie“

Die italienische Ökonomin glaubt, dass Innovationen Mithilfe des Staates benötigen, und möchte die Datenschätze zu öffentlichen Gütern erklären.
14.04.2019 - 15:02 Uhr Kommentieren
Die Ökonomin will die Hoheit über Daten nicht allein den großen Konzernen überlassen. Quelle: TANIA/CONTRASTO/laif
Marina Mazzucato

Die Ökonomin will die Hoheit über Daten nicht allein den großen Konzernen überlassen.

(Foto: TANIA/CONTRASTO/laif)

Bekannt wurde Marina Mazzucato 2014 durch ihren Bestseller „The Entrepreneurial State“. Darin zeigt die 50-Jährige, dass viele Innovationen ohne eine aktive Mithilfe des Staates undenkbar sind. Mazzucato lehrt am University College in London.

Frau Mazzucato, braucht Europa einen digitalen Airbus?
Airbus ist kein gutes Vorbild. Europa sollte sich mehr um digitale Plattformen und um die sogenannte „Sharing Economy“ für Daten als öffentliche Güter bemühen.

Was meinen Sie damit?
Die Datenschätze der großen Internetplattformen sind ja nicht von ihnen erzeugt worden, sondern von den Bürgern. Wir sollten uns ein Beispiel an Experimenten nehmen, wie sie im Moment in Barcelona laufen, wo die von den Bürgern erzeugten Daten genutzt werden, um die öffentliche Infrastruktur zu verbessern. Die Daten müssen nicht automatisch in den Privatsektor gehen.

Europäische Champions, wie sie von Deutschland und Frankreich gefordert werden, sind also keine gute Idee?
Die Idee eines „European Champions“ bringt uns nicht weiter. Damit wird nicht die Frage beantwortet, was dieses Champions tun sollen, welches Ökosystem von Unternehmen wir brauchen und wie diese zusammenarbeiten sollen. Wie würde ein solcher Champion helfen, unser Gesundheitssystem oder unser Wohlfahrtssystem zu transformieren? Ein digitaler Airbus führt am Ende nur zu einem fetten Großunternehmen, das dann irgendwann von einem Konkurrenten überholt wird.

Wo steht Europa im globalen Technologiewettbewerb mit den USA und China?
Europa kann sich nicht auf die Rolle eines globalen Schiedsrichters der Digitalwirtschaft beschränken. Wir müssen beides tun: die Technologien und die Regeln entwickeln. Der Staat hat nicht nur eine unternehmerische Funktion, sondern er muss auch die Märkte so gestalten, dass sie die gewünschten Ergebnisse bringen.

Sie fordern mehr Industriepolitik?
Deutschland hat seit langer Zeit eine Industriepolitik. Man hat nur nicht darüber geredet, weil es eine Art Blasphemie war.

Mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau hat Deutschland eine geduldige Bank, es hat das Fraunhofer- und das Max-Planck-Institut, und es hat eine duale Berufsausbildung – alles finanziert durch den öffentlichen Sektor. Warum brauchen wir dann eine neue Industriepolitik?
Gesprochen wird über eine neue Industriepolitik, weil Europa wirtschaftlich zurückfällt, die Produktivitätsraten sinken. Es gibt zwar Künstliche Intelligenz und andere neue Technologien, aber die meisten Unternehmen wissen nicht, wie sie die neuen Techniken einsetzen sollen. Es ist deshalb gut, dass wir über Industriepolitik reden.

Worüber genau sollten wir reden?
In vielen europäischen Ländern gibt es jedoch keine Industriepolitik. Italien hat nicht, was Deutschland hat. Das ist einer der Gründe, warum die Unterschiede in Europa größer und nicht kleiner werden. Und Europa und der Euro können nicht überleben, wenn sich die Länder auseinanderentwickeln.

Machen Sie einen Vorschlag.
Wenn wir ein Wirtschaftswachstum haben wollen, das von Innovationen und Investitionen und nicht vom Konsum getrieben wird, brauche wir Anstöße vom Staat. Es wird immer noch behauptet, dass die EU das nicht erlaubt.

Die EU-Mitglieder nutzen ihre Spielräume nicht aus?
Die europäischen Regeln für Finanzhilfen hindern kein Land daran, in dynamische Sektoren zu investieren, die von Privatunternehmen vernachlässigt werden. Wenn sich einige Länder über die EU-Kommission beschweren, sie könnten nicht in innovative Bereiche investieren, ist das nur eine Ablenkung.

Reicht das, damit Europa wieder Anschluss an die USA und China bekommt?
Ich plädiere seit Jahren für eine Industriepolitik, die eine Mission hat. Mit Mission meine ich Herausforderungen, die eine Gesellschaft angehen will: zum Beispiel die Energiewende, die Alterung der Gesellschaft, die Zukunft der Mobilität oder die Bekämpfung von Ungleichheit.

Wir erreichen wir diese Ziele?
Diese Missionen müssen die öffentlichen Investitionen in vielen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft bestimmen. Dabei müssen staatliche Stellen wie eine öffentliche Bank oder das Beschaffungswesen oder Kapitalbeteiligungen zusammenwirken. Und zwar für solche Unternehmen, die willens sind, diese Herausforderungen anzugehen. Es geht also nicht darum, Gewinner, sondern Gewillte auszuwählen. Alle öffentlichen Hilfen müssen an Bedingungen geknüpft werden, die sicherstellen, dass die öffentlichen Ziele unterstützt werden.

Mehr Geld für Künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz ist kein Sektor, sondern die Wirtschaftssektoren sind aufgerufen, die neuen Techniken einzusetzen und sich so zu transformieren.

Brauchen wir mehr Großunternehmen, wenn wir mit Google und Co. mithalten wollen?
Richtig ist, dass die Regeln für Finanzhilfen und Fusionskontrolle besser auf ein innovationsgetriebenes Wachstum abgestellt werden müssen. Große Unternehmen sind nicht per se schlecht. Probleme entstehen dann, wenn Großunternehmen Innovationen durch Patente blockieren oder den Wettbewerb behindern. Das hat aber nicht unbedingt etwas mit der Größe zu tun. Es kann auch einen harten Innovationswettbewerb zwischen Großunternehmen geben und kaum Wettbewerb zwischen vielen mittelgroßen Firmen. Innovationen und Wettbewerb stehen bei uns fast in einem schizophrenen Verhältnis. Wir haben eine quantitative Wettbewerbsvorstellung.

Frau Mazzucato, vielen Dank für das Interview.

Startseite
Mehr zu: Marina Mazzucato im Interview - Deutsche Industriepolitik war „eine Art Blasphemie“
0 Kommentare zu "Marina Mazzucato im Interview: Deutsche Industriepolitik war „eine Art Blasphemie“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%